6589067-1952_14_04.jpg
Digital In Arbeit

Wandlung des Diplomaten?

Werbung
Werbung
Werbung

Sehr geehrter Herr Herausgeber!

In der Ausgabe Nr. 11 vom 15. d. M. ist an leitender Stelle ein umfangreicher Aufsatz „Wandlung des Diplomaten — alter und neuer Sinn einer Institution“ erschienen, der von DDr. Willy Lorenz gezeichnet ist.

Der Autor wird es einem langjahrigen Praktiker des diplomatischen und konsula- rischen Berufes gewi/3 nicht veriibeln, wenn er zu einzelnen Ausfiihrungen des Aufsatzes in gedrangter Form — das Thema lohnte freilich eine breitere Auseinandersetzung —

Steilung nimmt.

Wenn der Verfasser — um nur einzelne Beispiele herauszugreifen — den „Wand- lungsprozefi" der europaischen Diplomatie mit dem zweiten Weltkrieg einsetzen Idpt, so ware darauf zu erwidern, dafi die Institution der Diplomatie, gerade weil sie eine lebendige und zwangslaufig elastische ist, weit friiher, ja seit ihrem Bestand be- gonnen hat, sich in der gesamten Kultur- welt automatisch Schritt fiir Schritt an die Wandlungen anzupassen, die in erster Lime der Zeitgeist und die Technik der Welt vollzogen haben. Dynastische Interessen sind parallel mit der politischen Entwick- lung hinter staatliche (oft republikanische!), hinter wirtschaftliche, soziale, kulturelle Interessen zuriickgetreten. Der „berittene Kabinettskurier Sr. Majestat“ wich dem technischen Fortschritt: dem Telegraph, dem Telephon, der Presseagentur, dem Radio und dem Flugzeug. Die an sich naheliegende Annahme, dafi damit der Wert der diplomatischen Vertretung im europaischen oder iiberseeischen Ausland auf ein vom Ge- sichtspunkt der Staatsfinanzen kaum mehr vertretbares Minimum reduziert worden ware, geht fehl und lafit sich durch eine Reihe von Tatsachen und Beispielen wider- legen. Ware zum Beispiel der Aufgaben- kreis des diplomatischen Dienstes in Europa tatsachlich, wie es der Autor annimmt, auf die „Reprasentationspflichten“ beziehungsweise auf konsularische Schutz- und kultur- und sozialpolitische Agenden eingeschrumpft, liefie sich der hciufig nach Hunderten zdh- lende Personalstand europaischer diploma- tischer Vertretungen nicht erkldren, den auch keineswegs verschwenderische Stoats- verwaltungen iw Europa und in Vbersee unterhalten. Es sei blofi auf die britischen, franzdsischen und sowjetrussischen Bot- schaften in den europaischen Hauptstddten hingewiesen. Der Grund dieser Erscheinung liegt eben darin, dafi der Aufgabenkreis der Diplomatie durch die Entwicklung in der Welt nicht nur keineswegs eingeengt, sondem vielmehr betrdchtlich, ja — fiir kleine und arme Ldnder — bedenklich gewachsen ist und weiter wachst. Es versteht sich daher auch, dafi diese vielseitigen und standig wachsenden Aufgaben heute nicht mehr, wie Anno Postkutsche, von einem Botschafter oder Gesandten allein mit Hilfe eines oder zweier Sekretare und Attaches bewaltigt werden konnen. Eine ansehnliche Anzahl von Spezialisten auf den verschie- densten Gebieten (wirtschaftliche, kulturelle, pttblizistische, militarische usw.) stehen dem

Missionschef mit ihren fachmdnnischen Wahrnehmungen, Gutachten und zuweilen audi Interventionen zur Seite. Dem Missionschef aber, der das Vertrauen seines Heimatstaates genie fit und das des Gast- staates erwerben soli, obliegt heute wie ehedem die Aufgabe, seine Regierung iiber alle sie interessierenden Vorgdnge fort- laufend, genau und erschopfend zu infor- mieren, sie zu beraten, Anregungen zu geben und als einzig autorisierter (be- glaubigter) Vertreter seiner Regierung beim Staatsoberhaupt beziehungsweise bei der Regierung des Gaststaates zu fungieren. Diese Auf gab en wird ihm niemals ein Fadiberater, ein Presseattache oder ein Aufienhandelsvertreter der Handelskammer abnehmen konnen noch abnehmen diirfen, denn die Verantwortung fiir das Ansehen und die Geltung des Staates, den er ver- tritt, fiir das Einhalten der G e s am t- linie in den Beziehungen zum Gaststaat und zur iibrigen Welt ruht allein auf seinen Schultern. Von seinem Charakter, seiner Bildung und seinem personlichen Geschick, nicht zuletzt von den Mitteln, die ihm seine Regierung zur Verfiigung stellen kann, um sich und seinem Land durch intimen Kon- takt rr\it alien mafigebenden Kreisen des Gastlandes Verbindungen, Sympathien und offene Tiiren“ zu verschaffen, wird es heute — und in Zukunft — abhdngen, ob er der richtige Vertreter auf dem richtigen Plate 1st. Die dem Aufienstehenden zumeist allein in die Augen springende und daher gelaufige „Reprasentationspflicht“ hat seit je hauplsachlich zur Diskriminierung der Diplomatie beigetragen und den „Diplo- maten“ schlechtweg in den Ruf eines sich in Aufierlichkeiten und gesellschaftlichem Leben erschbpfenden Bonvivants gebracht. Die Griinde sind durchaus verstandlich, wenn auch nicht stichhaltig, und mii’ssen heute, im Zeitalter neidvoller Nivellierung, um so besser begriffen werden. Es bleibt aber eine unumstofiliche Tatsache, dafi der beglaubigte Vertreter eines Landes samt seinem gesamten Mitarbeiterstab nur dann seinen umfassenden, nicht zuletzt „gesell- schaftlichen“ Auf gab en gerecht werden kann, wenn er audi materiell in der Lage ist, auf seinem Posten jenes Mafi an verniinftigem Lebensaufwand einzuhalten, das der Wiirde seines Landes entspricht. Der AufwancI fiir den diplomatischen Dienst wird sich, auch fiir kleine und armere Staaten, dann reich- lich bezahlt machen, wenn die Auswahl der einzusendenden Vertreter nach den strengen Grundsdtzen der personlichen Befdhigung, der charakterlichen, patriotisch-idealistischen Haltung und einer ausgiebigen, vielseitigen Bildung — unter Ausschlufi parteipolitischer Einfliisse — erfolgt. Dawn wird sich auch der „neue Sinn“ dieser Institution, mutatis mutandis, mit dem „alten Sinn" decken, der niemals ein anderer war noch sein kann als der, die Interessen der Heimat jenseits der Staatsgrenzen wirksam und aufs beste zu vertreten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung