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Die Lander leiteten zur Republik iiber

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Die Bundeslander bilden den wichtigsten Kontinuitdtsfaktor in der Geschichte Osterreichs im zwanzigsten Jahrhundert. Dies war Inhalt und Feststellung einer Tagung der Osterrei-chischen Forschungsgemeinschaft, die in der Vorwoche mit dem Thema „Demokratisierung und Landesverfassung 1918-1920“ den Startschufifur eine vergleichende Landesgeschichte in Osterreich abgab.

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Die Bundeslander bilden den wichtigsten Kontinuitdtsfaktor in der Geschichte Osterreichs im zwanzigsten Jahrhundert. Dies war Inhalt und Feststellung einer Tagung der Osterrei-chischen Forschungsgemeinschaft, die in der Vorwoche mit dem Thema „Demokratisierung und Landesverfassung 1918-1920“ den Startschufifur eine vergleichende Landesgeschichte in Osterreich abgab.

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In ihren Zusammenfassungen am Schlufi der Tagung kamen die Pro-fessoren Alfred Ableitinger (Graz) und Gerald Stourzh (Wien) nochmals auf diesen Kontinuitatsfaktor zu sprechen und erlauterten, dafi zu den Landern die politischen Parteien ge-kommen seien, dafi nie eine der politischen Parteien diese Lander und ihre Funktion abgelehnt habe, ja, dafi nach 1918 an die Stelle des Lan-desfiirsten die politischen Parteien getreten seien. Stourzh zog auch noch den Bogen iiber 1945 hinaus und vermerkte, dafi „das Zusam-menstromen der Lander 1945 die Zweite Republik begriindet habe“.

Die Wiener Zeitgeschichtlerin Erika Weinzierl und der amerikani-sche Historiker osterreichischer Ab-kunft Klemens von Klemperer ga-ben mit Referaten iiber Revolution, Demokratisierung und Konsens in Osterreich gewichtige Grundsatz-Aussagen. Prof. Weinzierl verwies vor allem darauf, dafi das revolutionare Geschehen einen Demokratisie-rungsprozefi von bleibendem Wert ausgelost und eine partielle Demokratisierung auf Dauer durchgesetzt hat.

Prof. Klemperer verwendete den Begriff der „improvisierten Revolution“ und erganzte nach Schlufi der Tagung noch, dafi in Osterreich hin-ter dem revolutionaren Geschehen keine revolutionare Ideologie ge-standen sei. Osterreich konne kei-neswegs als Juniorpartner der Wei-marer Republik bezeichnet werden. Es sei etwa auch die Haltung der katholischen Bischofe in Osterreich zur Neugestaltung ganz anders gewesen, als die der evangelischen Kirche in Deutschland. Insgesamt hielt Klemperer fiir die osterreichische Ent-wicklung Kontinuitat und Konsens bedeutsam.

Im Rahmen der Lander-Berichte hob Prof. Harry Slapnicka (Linz) fiir Oberosterreich den reibungslosen Ubergang, den von alien Parteien mit Dankesworten bedachten Riicktritt des kaiserlichen Statthalters hervor, aber auch die Tatsache, dafi neben einem gestarkten Landtag die Funktion des Landeshauptmannes nach Ubernahme der bisherigen Agenden des Statthalters ganz aufierordent-lich gestarkt war.

Fiir Salzburg verwies Univ.-Dozent Ernst Hanisch auf die etwas anders geartete jiingere Geschichte des Landes, etwa, dafi es zeitweise nur einen Kreis von Oberosterreich bil-dete, meinte aber in bezug auf die Entwicklung nach 1918, dafi es den Parteieliten gegliickt sei, den Druck der Massen aufzufangen.

Georg Schmitz und Anton Stau-dinger zeigten vor allem auf, wie das urspriingliche Kernland der Monarchie, das auch keine „Beitritts-erklarung“ zur neuen Republik abgab, nun in zwei Lander, Wien und Niederosterreich, geteilt wurde und wie krafi vor allem in Wien die letzten Wahlergebnisse nach dem Kuriensy-stem und 1919 nach dem allgemeinen gleichen Wahlrecht auseinander-klafften. Gerade die Tatsache, dafi das fur das Abgeordnetenhaus des Reichsrates schon 1906/07 einge-fuhrte gleiche Wahlrecht erst ab 1919 in den Landern realisiert werden konnte, bildete den Kern der Demokratisierung in den Landern.

Fiir die Steiermark erwahnte Prof. Robert Hinteregger, wie der Ratege-danke 1918 fast alle Bevolkerungs-gruppen erfafite. In Karnten - Refe-rentin Claudia Frass-Ehrwald - ver-zogerte das kriegerische Geschehen und die Teil-Besetzung des Landes die Demokratisierung und den Auf-bau demokratischer Institutionen, so dafi erst im Juni 1921 erste Land-tagswahlen stattfinden konnten.

Dr. Gerhard Wanner (Feldkirch) verwies auf die a typische Entwicklung in Vorarlberg, auf die weit zu-riickreichende demokratische Entwicklung und Gesinnung und die Anschlufibestrebungen an die Schweiz, die erst jiingsten Datums und eine echte Volksbewegung waren. Auch die Loslosung Vorarlbergs von Tirol erfolgte sang- und klanglos. Fiir Tirol charakterisierte Universi-tatsprofessor Josef Riedmann die positive Stellungnahme zur republika-nischen Staatsform, die als Beitritt-serklarung gewertet wurde, obwohl es einen vorbehaltlosen Beitritt zur Republik nicht gab. Dies zeigt auch die Tatsache einer eigenstandigen Aufienpolitik, eines eigenen Aus-schusses fur Aufieres und die unzah-ligen Vorschlage zur Neu- und Um-gestaltung des Landes, nur um die Landeseinheit zu erhalten. Uber das Burgenland, das in den Jahren zwischen 1918 und 1920 ja noch nicht zu Osterreich gehort hatte, referierte Johann Chemlar (Eisenstadt); er zeigte auf, dafi kaum demokratische Ansatze vorhanden waren und keine politischen Parteien bestanden.

Die vermutlich schwerste Aufgabe ubernahm der Prof. Ableitinger beim „Versuch einer Bilanz“, also dem ei-gentlichen Versuch einer verglei-chenden Zeitgeschichte fur die Jahre 1918-1920. Er verwies auf die Entsta-bilisierung der politischen Herr-schaftsstrukturen, die einer von au-fien kommenden Bedrohung nicht mehr standhalten konnten. Damit entstand jene revolutionare Situation, die vor allem im breiten Wunsch bestand, wesentliche Anderungen durchzufiihren.

Prof. Ableitinger erwahnte die „spontane Basisdemokratisierung“ in den Landern; die Demokratisierung im engeren Bereich, allgemei-nes Wahlrecht und Frauenwahlrecht gingen vollig unproblematisch iiber die Biihne der Landtage; die Zeit war reif dazu. Es kam aber auch dazu, dafi sich linke Postulate, etwa das Frauenwahlrecht, fiir die Rechte auswirk-ten.

Schon einleitend hatte Wiens Vize-burgermeister Erhard Busek den Versuch begriifit, iiber die jetzige Ge-schichtsdarstellung hinaus auf die Ebene der Lander, ihre Entwicklung und Kontinuitat, aufmerksam zu ma-chen und sprach von dem „hoffent-lich vorhandenen Spannungsver-haltnis zwischen Wissenschaft- und Politik“. Und nicht unberechtigt konnte abschliefiend der Leiter des wissenschaftlichen Beirates der „Osterreichischen Forschungsgemeinschaft“, Prof. Stourzh, feststel-len: „Seit heute gibt es in Osterreich eine vergleichende Landesgeschichte und Sie konnen sagen, da-beigewesen zu sein!“

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