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Wie österreichisch sind die Vorarlberger?

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(jleich eingangs einer Betrachtung über das Thema „Wie österreichisch sind die Vorarlberger?“ wäre zu klären, wie es denn überhaupt zu einer derarti­gen Fragestellung kommen kann. Nüchtern besehen deutet nichts darauf hin, daß Vorarlberg oder seine Bewoh­ner in anderer Weise, mehr oder weni­ger intensiv, österreichisch sein könn­ten oder müßten als die Mitbürger in den anderen Bundesländern.

Auch Vorarlberg kam sehr früh über das Haus Habsburg zu jenem Staatsge­bilde der Monarchie, aus dem 1918 der heutige Bundesstaat Österreich, unsere Republik, entstanden ist, und zwar, was oft übersehen wird, durch einen Zusam­menschluß der Länder nach dem Erlö­schen der Pragmatischen Sanktion, der rechtlichen Grundlage der österrei­chisch-ungarischen Monarchie bis zu ihrem Zerfall und bis zur erzwungenen Abdankung Kaiser Karls.

Auch 1945 ist übrigens Österreich durch den Zusammenschluß der Län­der wiedererstanden, was oft, zum Bei­spiel bei der Diskussion über Zentralis­

mus und Föderalismus in Österreich, nicht erkannt oder anerkannt wird.

Vorarlberg oder besser gesagt, das Gebiet des heutigen Vorarlberg hatte eine bewegte Vergangenheit und Ge­schichte hinter sich - Frühbesiedlung durch die Kelten, Teil römischer Pro­vinzen, Besiedlung durch die Aleman­nen (455), Christianisierung, Herr­schaftsgebiet des Frankenreiches und der Grafen von Montfort, Waiserein­wanderung (aus dem schweizerischen Wallis beginnend 1313) -, als es im Zuge der Auseinandersetzungen der Habsburger mit der wachsenden Eidge­nossenschaft und nach dem Abstieg des Hauses Montfort in den habsburgi­schen Einflußbereich geriet.

Ein Bündnis der Montforter mit den Habsburgern, am 1. November 1337 in Brugg bei Zürich geschlossen, war als ewiges Bündnis gedacht - und so kam es dann auch. Die Montforter verkauf­ten damals ihre militärische Kraft den Habsburgern, sie hatten aber schon frü­her den Bürgern weitgehende Zuge­ständnisse gemacht, die nun - und im­mer wieder - auch von den Habsbur­gern bestätigt wurden.

Das demokratische Element fand hier frühzeitig einen günstigen Nährbo­

den. Der Bundesbrief von 1337, dem die Bürgerschaft zustimmte, was ihre starke Stellung beweist, wird von der Geschichtsforschung als erstes Doku­ment der vorarlbergisch-österreichi- schen Einheit betrachtet.

Dabei ist zu beachten, daß die Habs­burger von Westen her sich in Vorarl­berg festsetzten. Tirol war noch nicht habsburgisch oder, wenn man so sagen will, österreichisch.

1363 erfolgte nach der politischen Einflußnahme der erste Landerwerb durch den Kauf der Herrschaft Neu­burg. Die Grafschaft Feldkirch (1379), die Grafschaft Bludenz (1394) und die Herrschaft Jagdberg (1397) folgen. 1391 kommt es zur Vorarlberger Eid­genossenschaft, einem Bund gegenseiti­ger Waffenhilfe.

Da auch gerichtliche Zuständigkei­ten geregelt wurden, war damit auch ein gewisses Maß an politischer Einheit er­reicht. Die Vorarlberger Landstände

haben diesen Bundesbrief später als ihre eigentliche Gründungsurkunde an­gesehen.

Der Bund ob dem See mit St. Gallen und Appenzell (1405 bis 1408) gegen die Adelsherrschaft war letztlich erfolg­los, hatte aber zur Folge, daß der Adel in Vorarlberg seither ein im Vergleich zu anderen Gebieten des Römischen Reiches deutscher Nation und damit auch zu den östlichen heutigen Bundes­ländern nur noch eine unbedeutende Rolle spielte.

Adel und Klerus bestimmten nicht mehr die Politik der Stände, in denen Bürger und Bauern die Entscheidungs­gewalt sehr frühzeitig an sich brachten. Das ist der Grund für das sehr frühe de­mokratische Denken und Handeln in unserem Land.

In dieser geschichtlichen Situation ist eine Wurzel dafür zu suchen, daß Vorarlberg, das schon im frühen Mit­telalter demokratisch orientiert war, bei den Herrschenden und bei der Büro­kratie immer als „schwierig“ galt. Hierzulande wurde dem späteren Abso­lutismus starker Widerstand entgegen­gesetzt.

So, wie die politische Ausgangsposi­tion unseres Landes anders als in den meisten österreichischen Regionen war, lassen sich auch volkstumsmäßige und kulturelle Entwicklungen aufzei­gen, die viel stärker vom Westen und Norden beeinflußt waren als vom Wie­ner Raum. Auch das hat mit der Frage des österreichertums nichts zu tun, sondern ist durch die geographische Si­tuation und die Besiedlungsgeschichte gegeben.

Unmittelbar nach der Überwindung der Barriere Arlberg durch den Eisen­bahntunnel wurde vor nun hundert Jah­ren vor allem in wirtschaftlicher Hin­sicht die Bindung zum Gesamtstaat entscheidend verstärkt und die österrei­chische Integration Vorarlbergs be­schleunigt.

Auch in kultureller Hinsicht - so ver­stehen sich etwa die Bregenzer Fest­spiele vor allem als Brücke der Wiener (österreichischen) Kultur zu den westli­chen Nationen Europas - sind enge Bindungen entstanden, die früher aus verkehrsgeographischen Gründen gar nicht möglich gewesen wären.

Die staatspolitische Bedeutung einer leistungsfähigen Ost-West-Verkehrs­

verbindung wurde durch die Errichtung des Arlberg-Straßentunnels bestätigt.

Heute ist offenkundig, daß Vorarl­berg ein Bundesland wie jedes andere ist. Geblieben ist eine naturgegebene Orientierung zu den Nachbarn im We­sten und Norden. Viel hat auch die Zu­wanderung nach dem zweiten Welt­krieg aus den Bundesländern, vor allem aus Kärnten und der Steiermark, dazu beigetragen, daß Unterschiede abge­schwächt wurden.

Man kann freilich nicht leugnen, daß leider nach wie vor Vorurteile bestehen, die vor allem immer dann erkennbar sind, wenn Vorarlberg seine Eigenstän­digkeit betont oder seine Vorstellungen durch eigene Kraft verwirklicht, ob­gleich hier selbstverständlich völlig le­gitim und auf Grundlage der österrei­chischen Verfassungs- und Gesetzes­lage vorgegangen wird.

Die Ereignisse von Fußach 1964 oder die Volksabstimmung über mehr Rechte der Länder und Gemeinden im Bundesstaat vom 15. Juni 1980 stoßen oft auf Unverständnis, weil man sich mit den wahren Gründen und Zielen zu wenig auseinandersetzt. Falsche Schlagzeilen, die Vorurteile nähren, wie etwa „Los von Österreich“, wären sonst nicht denkbar.

Die Meinung, die Vorarlberger seien anders als die übrigen Österreicher - ein sonderbares Vorurteil, das man nicht selten auch bei Intellektuellen und Journalisten antrifft - gründet wohl auch auf dem Umstand, daß viele von der Schweizer Anschlußbewegung des Jahres 1919 gehört haben. Dies ist zwar eine Tatsache, man darf aber das heu­tige Vorarlberg nicht mit der Situation nach dem ersten Weltkrieg vergleichen, so wie dies auch für Österreich insge­samt gilt.

Auch in anderen Bundesländern gab es im Zuge des Auseinanderbrechens der Monarchie Anschlußbewegungen, allerdings in Richtung Deutschland.

Die Idee, man könnte sich der Eidge­nossenschaft anschließen, war zu einer Zeit entstanden, als die Österreicher zum Deutschen Reich wollten. Sogese­

hen, muß man die Ereignisse der dama­ligen Zeit wohl ganz anders beurteilen. So unösterreichisch, wie das öfters hin­gestellt wird, war diese Haltung aus der damaligen Sicht und erst recht in der heutigen Betrachtung keineswegs.

Zu wenig bekannt ist auch, daß die führenden Politiker des Ländles sich trotz aller Vorbehalte für den Verbleib bei Österreich verwendeten.

Karl Heinz Burmeister schreibt in seiner lesenswerten „Geschichte Vor­arlbergs“ dazu: „Politisch bot die Schweiz Gewähr, Demokratie und Fö­deralismus nach den Vorstellungen des Vorarlberger Volkes zu verwirklichen. Gerade die frustrierenden Kämpfe des 19. Jahrhunderts um den eigenen Land­tag, das eigene Kronland, die eigene Verwaltung, sprachen deutlich für den Schweizer Anschluß.“

Nun, es kam anders, und das war gut so. Allerdings ist Vorarlberg nach wie vor entschiedener Kämpfer für eine bessere Ausgestaltung des Bundesstaa­tes, und es ist damit nicht allein.

Es dürfte allerdings die Eigenart und Eigenständigkeit der anderen Bun­desländer besser bekannt sein und da­her, vor allem in der veröffentlichten Meinung, mehr Anerkennung finden. Die Eigenarten Vorarlbergs hingegen, sein anderer geschichtlicher Werde­gang, die harten Zeiten, die in diesem einst armen Land bis ins 20. Jahrhun­dert herauf herrschten und der wirt­schaftliche Erfolg und der Wohlstand, der dann von der Bevölkerung schwer erarbeitet wurde, werden oft zu wenig gewertet.

Dies mag auch daran liegen, daß die übliche schulische Bildung unserer Ju­gend den Werdegang Österreichs zu sehr von der einstigen Haupt- und Resi­denzstadt Wien aus sieht und die ge­schichtliche Entwicklung der Länder vernachlässigt.

Es wäre-falsch, von den Vorarlber­gern zu verlangen, ihre Wertvorstellun­gen und traditionellen Grundüberzeu­gungen aufzugeben, um angepaßter zu wirken. Wir sind aus Überzeugung und aus ganzem Herzen mit unseren Gege­benheiten und Vorstellungen Österrei­cher. Und das ist gut so für unser Bun­desland und für den Gesamtstaat.

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