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Dem groben Geschichtsschreiber

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Obwohl Freunde und Verehrer seit einigen Jahren von einem Herzleiden mißten, das Heinrich von Srbik immer wieder befiehl, kam die Nachricht von seinem plötzlichen Hinscheiden am 16. Februar völlig unerwartet. War doch noch vor wenigen Wochen der erste Band eines großen Werkes über die Geschichte der deutschen Geschichtsschreibung erschienen und der abschließende zweite eben in Satz gegangen. Dieses letzte Werk des eben 72jährigen zeigte ihn in der Vollkraft seiner Fähigkeiten, des Durchdringens gewaltiger Stoffmassen und ihrer Formung zu Bildern von lebendiger Anschaulichkeit. Man hoffte, daß dieser stärksten Kraft unter den österreichischen Historikern, dessen WorV wie sich der Verfasser dieser Zeilen erst kürzlich überzeugen konnte, in der ganzen deutschen Geschichtswissenschaft mit Aufmerksamkeit gehört wurde, diesem Mann von weitem Internationalem Ansehen noch Jahre fruchtbaren Wirkens gegönnt 6ein würden. Nun hat ihn der Tod in seinem Haus in Ehrwald von uns genommen. Was den Mitlebenden bleibt, ist die Erinnerung an seine lautere, ganz dem Dienst an seiner Wissenschaft hingegebene Persönlichkeit, ist die gewaltige Reihe seiner Schriften, Bücher und Aufsätze, Darstellungen großen Stils, Quelleneditionen, Essays und gelehrte Einzeluntersuchungen, von deren Reichtum auch spätere Generationen noch lange zu zehren haben werden. Dieses Werk hat fast ganz der Geschichte seiner österreichischen Heimat gegolten, von hier freilich stets in die deutschen und europäischen Zusammenhänge ausgegriffen, ohne die die Geschichte des alten Österreich nun einmal nicht geschrieben werden kann.

Heinrich von Srbik ist wie so viele österreichische Historiker durch die strenge methodische Schulung des österreichischen Instituts für Geschichtsforschung hindurchgegangen; hier hat er auch mehrere Jahre als Assistent und Dozent gewirkt. Nach zehnjähriger Wirksamkeit an der Universität Graz kam er 1922 nach Wien auf die führende Lehrkanzel für neuere Geschichte. Der Wiener Universität, aus der er hervorgegangen war, ist er treu geblieben, solange ihm hier ein Wirken vergönnt war. Lockende Rufe, die zahlreich von führenden Universitäten des Deutschen Reichs an ihn ergingen, hat er keine Folge geleistet.

Schon früh hatte er sich der neueren Geschichte zugewendet. In seinen frühen Jahren in Wien und Graz galt eine Arbeit vorwiegend verfassungs- und wirt-schaftsgeschiditlichen Fragen, vor allem dem wichtigen Problem des Merkantilismus in Österreich. Auch an der Ausgabe der österreichischen Staatsverträge hat er mitgewirkt. 1920 erschien dann sein Buch über „Wallensteins Ende“, das ein lang umstrittenes Problem mit glänzender methodischer Beweisführung zu klären wußte. Wenige Jahre nach seiner Berufung nach Wien kam sein zweibändiges Werk „Metternich. Der Staatsmann und der Mensch“ (1925) heraus. Die Probleme, die er hier aufgegriffen hatte, ließen ihn nicht mehr los. Denn ein neues Bild vom Wesen und Wirken dieses vielumstrittenen Staatsmannes zu entwerfen, zwang zur Auseinandersetzung mit dem überkommenen national-staatlichen und liberalen Geschichtsbild des 19. Jahrhunderts, dessen stärkster Vertreter Heinrich von Treitschke gewesen war. In popularisierter und oft verflachter Gestalt war es zu einer nicht ungefährlichen Breiten- und Tiefenwirkung gelangt und hatte der Bedeutung der österreichischen Monarchie nicht gerecht werden können. So stellte denn Srbik diesem „kleindeutschen* Geschichtsbild das Programm einer „gesamtdeutschen Geschichtsauffassung“ entgegen. Der Ausführung dieses Programms galten dann seine Studien über die Niederlegung der deutschen Kaiserkrone durch Kaiser Franz, vor allem aber 6ein vierbändiges Werk „Deutsche Einheit. Idee und Wirklichkeit vom Heiligen Reich bis Königgrätz“. Die beiden ersten Bände (1935) führten die Darstellung bis 1859, die beiden letzten (1942) geben, gestützt auf die gleichzeitig von Srbik bearbeitete Aktenedition „Quellen zur deutschen Politik Österreichs 1859 bis 1866“ (fünf Bände), eine minutiöse Schilderung des Endkampfes um die deutsche Stellung Österreichs. Hieher gehört aber auch sein Buch „Wien und Versailles, 1692 bis 1697“ (1944), das ein bisher unbekanntes Kapitel aus der Geschichte des Ringens mit Frankreich aufgedeckt hat, seine Studien über den Prinzen Eugen, dessen Bild er von zeitpolitisch bedingten Verzerrungen reinigte, und seine Aufsätze über Kaiser Franz Joseph und seine Staatsmänner, die zum erstenmal ein von echtem historischem Gerechtigkeitsgefühl getragenes Bild dieses Herrschers entwarfen (gesammelt in dem Band „Aus Österreichs Vergangenheit“, 1949). Audi sein letztes großes Werk „Geist und Geschichte vom deutschen Humanismus bis zur Gegenwart“, I, 1950) ist durch diese seine Fragestellung mitbedingt, greift freilich weit darüber hinaus.. Aber die kritische Auseinandersetzung mit dem • kleifrdeutschen Geschichtsbild hat in diesem Buch doch zentrale Bedeutung.

Wer Srbiks großes Werk nur flüchtig kennt, mag manchmal den Eindruck gewinnen, als ob es seinem Verfasser um eine der berüchtigten „Rettungen“ zu tun gewesen wäre, die einem einseitig absprechenden ein nicht minder einseitig übersteigerndes Bild entgegensetzen. Nichts könnte mißverständlicher sein. Denn was in ihm am stärksten wirksam war, ist das tiefste Ethos des echten Geschichtsschreibers gewesen,ein unablässiges Streben nach historischer Gerechtigkeit. Gewiß ist Srbiks wissenschaftliche Leistung wie jede wirkliche Geschichtsschreibung in einem gewissen Maß an ihre Zeit, an die Gegenwart gebunden gewesen. Aber das heißt nicht, daß sie jemals das Werkzeug zeitpolitischer Strömungen gewesen wäre. Das zeigt schon der Widerspruch, den sein Werk wie jede wissenschaftliche Arbeit, die nach neuen Wegen und Erkenntnissen sucht, gefunden hat. Denn er kam von allen .Seiten. Den einen war er zu „deutsch“ und den andern zu „österreichisch“, den einen zu „konservativ“ und die andern meinten, er unterschätze die „Macht“ und übertreibe die Wirkungskraft des .Geistes“. Preußisch - kleindeutsche und, von ganz anderen Voraussetzungen her, nationalsozialistische Autoren haben seinen „Universalismus“ bekämpft, während gleichzeitig andere ihn als „Pan-germanen“ und „Nationalisten“ abstempeln zu können glaubten. Schon die unvereinbaren Widersprüche in dieser Polemik zeigen, daß die innere Einheit von Srbiks geschichtlichem Denken Ton einen Gegnern nicht begriffen wurde.

Hier ist nicht der Raum, um das historisch-politische Weltbild, das der Verewigte in sich .trug, allseitig darzustellen. Aber es dürfen hier einige Sätze angeführt werden, die einem Brief an den Herausgeber der „Furche“ aus dem Jahre 1946 entnommen sind:

„Ich konnte und kann die Lebensverbundenheit und staatsrechtliche Gemeinschaft Österreichs und des außerösterreichischen Deutschtums, die durch neun Jahrhunderte bis 1866 gewährt haben, und ich konnte die große, unverlierbare Spitzenstellung nicht ▼ergessen, die Österreich durch Jahrhunderte im Reich und im Deutschen Bund eingenommen hatte, und es erschien mir als wissenschaftliche und sittliche Pflicht, neben der Linie der staatlichen allmählichen Verselbständigung und neben der Linie der kulturellen Sondernote Österreichs die gesamtdeutsche Linie in der österreichischen Geschichte herauszuheben und eine Synthese beider zu schaffen. Hiedurch konnte und wollte ich zugleich dem gesamtnationalen und dem übernationalen Gedanken in der Geschichte und zugleich meiner tiefen Liebe und Treue zu meiner österreichischen Heimat und ihrer geschichtlichen Ehre und zugleich meiner nationalen Uberzeugung dienen.“

Das Verhältnis des „Nationalen* und des „Universalen“ in der europäischen Geschichte war letztlich das Grundthema seines geschichtlichen Denkens. Die hier verwendeten Formeln stammen noch aus dem großen Streit um die Bedeutung des alten Kaisertums, der um 1860 ausgeformten worden war; aber, angeregt durch die geistesgeschichtliche Methode Friedrichs Meineckes, ist Srbik hier neue Wege gegangen. Auch er rang auf seine Weise um das große Grundproblem unserer Geschichte, um die Bewahrung der europäischen Einheit in der Vielfalt ihrer Gliederung in Nationen, um die Aufdeckung der geschichtlichen Grundlagen des Abendlandes.

Heinrich von Srbiks Leben ist äußerlich glatt und ohne sichtbare Störungen verlaufen. Ungehemmt strömte seine wissenschaftliche Produktion aus seiner Feder hervor, verhältnismäßig früh hat er die Spitzenstellungen im akademischen Leben erreicht. Und doch liegt ein tragischer Zug in seinem Leben. Die Welt, der er entstammte, der er sich innerlich zugehörig fühlte, sah er zerfallen. Seine vornehme, zartbesaitete Natur hat darunter gelitten. Das konnte niemand entgehen, der ihn ein wenig näher kannte. Der Sproß einer altösterreichischen Beamtenfamilie wuchs in der Tradition der alten Monarchie, in der Spätzeit Kaiser Franz Josephs, in der gerade von der zentralen Bürokratie vertretenen Überlieferung der deutschen Führung in diesem Staat auf. Aber damals war schon der Völkerstreit im Gange und war auch unter den Deutschen Österreichs eine „nationale“ Richtung hervorgetreten. Auch Srbik ist von ihr ergriffen worden. Noch aber bestand das Bündnis mit dem Deutschen Reich und „deutschnationale“ und österreichische Haltung wurden noch nicht als Widerspruch empfunden. Dann aber brachen die Mittelmächte zusammen und dje österreichische Monarchie auseinander. Weite Kreise ergriff der „Anschlußgedanke“, den man auf Grundlage des „Selbstbestimmungsrechts der Völker“ auf demokratischem Weg zu verwirklichen hoffte. Sicherlich gehört Srbiks „gesamtdeutsches Geschichtsbild“ in diesen Zusammenhang und fand hier Widerhall, weil es der neuen Lage zu entsprechen schien. Schon damals erwies sich aber als schwierig, für Srbiks so stark in der Zeit vor 1918 verwurzeltes Denken volles Verständnis zu finden. Als dann der „Anschluß“ auf ganz anderen als den von Srbik gedachten Wegen kam, konnte manchem Zeitgenossen seine geschichtliche Arbeit als nicht mehr aktuell erscheinen. Niemand hat das stärker empfunden als Srbik selbst. Aber er hat seine innere Linie, den Geist der wissenschaftlichen Verantwortlichkeit und Gerechtigkeit, über alle politischen Wandlungen hinweg festgehalten. Es mag noch nicht an der Zeit sein, Srbiks Leben und Wirken in aller Breite darzustellen und zu würdigen. Wenn dies einmal möglich sein wird, so wird es doch nur aus jenem Ethos heraus geschehen können, das ihn zutiefst beseelte und das ihm auch in seinen letzten, von Sorgen und Bitternis erfüllten Jahren die Kraft gab, im Geist des von ihm so verehrten Leopold von Ranke Großes zu schaffen. Es wird einmal die Stunde kommen, davon sind wir überzeugt, da ihm auch seine österreichische Heimat, die er so sehr geliebt hat, eben diese Gerechtigkeit widerfahren läßt, deren Geist er, mag er wie jeder Gelehrter da und dort geirrt haben, sein Leben und das unermeßliche Feld seiner wissenschaftlichen Arbeit geweiht hatte. Nicht darauf kommt es an, wie diese oder jene seiner Ansichten in Zukunft beurteilt werden wird, sondern daß das ihn beseelende Ethos in unserer Wissenschaft lebendig bleibe. Dann wird man auch diesen großen Gelehrten aus seiner Zeit, aber auch und nicht zuletzt aus den überzeitlichen Kräften, die in ihm lebendig waren, verstehen. Denn er hat uns ein Erbe hinterlassen, auf das wir nicht verzichten könnten.

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