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Milleleuropaplan vor 100 Jahren

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Die abendlSndische Kulturgemeinschaft hat zweimal einen starken Einbruch er- litten, einmal im Westfalisdien Frieden (1648), zum anderen im Pariser Vorstadte- frieden (1919/20). Heute sind die neuen .Friedensbringer in gleicher Weise be- reit, die Reste dieser Solidaritat ihren Gewaltzielen zu opfem. Dabei ist im Laufe der letzten Jahrhunderte der Ruf nach europaischer Einheit nie verstummt, so auBert zum Beispiel der Gefangene von St. Helena kurz vor dem Tode:

.Ich wollte die Verschmelzung der groBen europaisdien Interessen vorbe- reiten, so wie ich die der Parteien unter uns bewerkstelligt habe ... Diese Zusam- menballung wird sich friiher oder spater durch die Madit der Tatsachen voll- ziehen; der AnstoB ist gegeben, und idi glaube nicht, daB nach meinem Sturz und dem V ere ch win den meines Systems in Europa ein anderes grofles Gleidigewicht moglich sein wird als ZusammenschluB und Biindnis unter den groBen und kleinen Volkem.

Zwei Jahre nach dem Tode des groBen Korsen, also 1823, tritt ein Mann in die Schule Mettemichs, der bis 1848 auch in fremden Kontinenten die Problematik Europas sich spiegeln sieht und dann In schwerster Stunde die Leitung d,er von alien Seiten bedrohten Politik des 6ster- reidiischen Kaiserstaates iibernimmt: Fiirst Felix Schwarzenberg. Soldat und Diplomat, steht er gleidisam zwischen seinem Oheim, dem Sieger von Leipzig, und seinem Neffen, dem Erz- bischof von Salzburg und Prag, eine mensdilich und geistig eindrucksvolle Personlidikeit, die freilich in Ihrem Kampf um Europa allzu friih erliegen soil.

Nach fiinfjahriger Dienstzeit bei den SdiwaTzenberg-Ulanen wendet sich der am 2. Oktober 1800 geborene Fiirst dem diplomatischen Dienet zu, seinem aus- gedehnten Interessenkreis, seinen leben digen sprachlichen und geographischen Studien konnte der Gamisonsdienst auf die Dauer nicht geniigen. Er wollte nidit langer, wie er seinem Sdiwager Windisdi- gratz einmal schrieb, von den heroischen Erinnerungen von 1813 bis 1815 zehren. Seine Lehr- und Wanderjahre filhren Schwarzenberg zunMchst nadi St. Petersburg, wo er bald durch seine markante Berichterstattung iiber Land und Leute, ,vom Bojaren bis zum Muschik , die besondere Aufmerksamkeit Mettemichs auf sich lenkt. Ein gesunder Klimawechsel ftihrt ihn dann fiber Lissabon nach Rio de Janeiro und zuruck nach London. Die Julirevolution erlebt er in Paris, ein Jahr spSter finden wir ihn als Legationsrat in Berlin, spater in Turin und Neapel. Diese letzten Wanderjahre ermoglichten also Schwarzenberg, die wichtigsten Madite des eiidlichen miftleren Europa, wie PreuBen, Sardinien und Neapel, naher kennenzulernen, was ihm fiir seine sp8- tere selbstandige politisdie Tatigkelt van besonderem Wert wurde. Die Revolution von 1848 trifft ihn In Neapel, nach kur- zem Aufenthalt in Wien kehrt er zunSchst zur Armee zuriick, wo ihn Radetzky zu alien moglidien Sondermissionen mit Er- folg verwendet, zuletzt vertraut ihm der Feldmarsdiall die Militarverwaltung des wdedergewonnenen Mailand an. Von dort holt ihn sein Sdiwager Windisch- gratz auf besonderen Wunsdi der Erz- herzogin Sophie in das kaiserlidie Exil nadi Olmfltz, wo er zunachst den Thron- wedisel durchsetzt. Denn nur einem jungen regierungsfahigen Herrsdier, wie es eben nun der 18jahrige Franz Joseph sein wird, kann er ein aktionsfahiges Ministerium zur Seite stellen, in dem atKh einige Mberale Politiker nicht iehlen.

Dem neuen Ministerprasidenten kommt es zunachst darauf an, die innerpoliti- sdien Verhaltnisse zu konsolidieren, was ihm in der am 4. M&rz 1849 erlassenen Gesamtstaatsverfassung gelingt. Die vom Fiirsten selbst verfaBte Einleitung verrat seine Bereitschaft, seine konservative Grundhaltung den gerediten Forderun- gen der Zeit anzupassen, eine innere Freizugigkeit, die ihn auch bei seinen spateren Europaplanen auszeichnet: .Die Einheit des Ganzen mit der Selbstandig- keit und freien Entwiddung seiner Teile, das soil eine starke, das Recht und die Ordnung schiitzende Gewalt garantieren. Die Freiheit des einzelnen, der Gemein- den und Lander und der verschiedenen Nationalitaten muB eine kraftige Ver- waltung miteinander in Einklang bringen, die, gleich weit von beengender Zentrali- sation und zersplittemder Auflosung, den edlen Kraften des Landes hinreichenden Spielraum gewahrt. Erst als diese oster reichische Verfassung unter Dach war, wandte sich Schwarzenberg den schwie rigen Problemkreisen der deutschen Nationalversammlung in Frankfurt am Main zu, wo er unentwegt die Interessen Osterreichs als Prasidialmacht des Deutschen Bundes vertrat. Dabei war er sidi iiber die sehr geringe realpolitisdie Be- deutung des Bundes keinen Augenblidc im unklaren, er wuBte vielmehr, dafl nur in seinem Rahmen sich die doktri- naren Parteikampfe zwischen GroB- deutsch und Kleindeutsch abspielen konn- ten, deren Ergebnisse doch nur im Theoretisdien haftenbleiben muBten. So stellte Schwarzenberg den langwierigen Diskussionen, die in ihren nationalisti- schen Ressentiments jede groBzugige Entwiddung zu hemmen sdiienen, seinen

Mitteleuropaplan entgegen: Alle Lander des Deutschen Bundes und des osterreichischen Kaiserstaates sollten in einem .Siebzigmillionenreidi vereinigt werden, das nach Schwarzenbergs eigenen Worten .von Rendsbftrg bis Ancona , also von der Sudgrenze Dane- marks bis zum Kirchenstaat reichen sollte. Die gemeinsame politisdie Verwaltung sollte einem .Staatenhaus anvertraut werden, Einheit von Wahrung und MaB sollte Mitteleuropa wirtschaftlich und handelspolitisdi zusammenfassen. — Diesem gewaltigen Plan lag der abend- lflndische Gedanke unbedingt zugrunde, das Bewufltsein, daB die 1648 zum eTsten- mal zerst3rte, seitdem immer wieder be- drohte Solidaritat Europas unabhangig von alien nationalen Madit- und Sonder- interessen wiederhergestellt und bewahrt werden miisse. Von dieser Grundlage aus wollte Schwarzenberg auch die Be- ziehungen zu den iibrigen MBchten er- neuem, indem er zur Schaffung von h - stltutionen Anregung gab, die spater in den Haager Friedenskcmferenzen, dem Volkerbund und schlieBlich den Verein- ten Nationen irgendwie verwirklidit wurden. Sofort nach Bekanntwerden des Sdiwarzenbergschen Mitteleuropaplans erhoben sich freilich im Ausland Beden- ken, besondeas von seiten der West'

machte und Rufllands, also der Alliierten der spateren Entente cordiale. Ganz ab- gesehen von PreuBen, das eben aus seinem Kaisertraum erwacht war, und den Mlttelstaaten — sie alle sahen nicht Mitteleuropa, nicht die Neugestaltung des Kontinents, sondern sie fiirchteten die Vormachtstellung O erreichs, von dessen Premier dieser Plan ausgegangen war.

Doch gelang es Schwarzenberg Ende 1850, vor allem PreUBen noch einmal in seine Grenzen zurilckzuweisen und zur

Wiederherstellung der Bundesverfassung zu zwingen, nachdem sich die Pforten der Paulskirche schon im Herbst 1848 ziemlidi ruhm- und gerauschlos geschlossen hatten. Denn des Fiirsten groBartige Real- politik war den Ideologen in Frankfurt ebenso unbegreifbar wie den Unions- politikern in Berlin, einer freilich ver- mochte sie zu erfassen und hatte sie darum mit alien Mitteln bekampft: Otto von Bismarck. Freilich sollte es nicht mehr zu diesem Gigantenkampf zwischen diesen beiden Staatsmannern kommen, denn Schwarzenberg erlag dem UbermaB an politischer Arbeit und gesellschaft- lidier Verpfliditung allzu friih. Seine an sidi immer etwas labile Gesundheit war den Anforderungen der letzten Jahre nicht mehr gewachsen. — Sein allzu friiher Tod am 5. April 1852 war nicht nur ein Verlust ftir Osterreich, sondem fiir die gesamte friedliche Europapolltik.

Das Bemuhen um die Zusammen- fassung der positiven Krafte Europas — immer wieder gegen den historischen Ansturm aus dem Osten — kam nicht zur Ruhe, konnte nicht zur Ruhe kommen. Wie schon eingangs angedeutet wurde, kam man nach beiden Welt kriegen zu der verspateten Erkenntnis, daB der Kampf um Europa nicht auf den Schlachtfeldem der Gewalt ausgetragen beziehungsweise entsdiieden werden kann. Diese spate Erkenntnis findet auch in den Memoiren zahlreicher Politiker der Gegenwart wie der jiingsten Vergan- genheit Ihren Ausdruck. Winston Churchill zum Beispiel, heute einer der Haupt- trager der Idee von den Vereinigten Staa- ten von Europa, verurteilt mit.den sdiarf- sten Wendungen das Unrecht der Frie- densvertrage von St-Germain und Trianon:

.Eine besondere Tragodie war die vSllige Zerstorung des osterreidiisch- ungarisdien Reiches. Jahrhundertelang hatte dieser uberlebende Korper des Heiligen R8mischen Reiches ein gemein- sames Leben gewahrleistet, mit Vorteilen im Handel und Sidierheit einer ganzen Anzahl von Vfilkem, von denen keines in unserer eigenen Zeit die Kraft und

Vitalltat hat, sidi selbst zu behaupten. Alle diese Rassen wollten sidi von einem Punkt losmachen, und ihre Wilnsche zu ermutigen, wurde als liberale Politik be- trachtet... Allen diesen VOlkem hat der Gewinn ihrer Unabhangigkeit Qualen elngebracht, die die alten Diditer und Theologen fiir die Verdammten reser- vierten.

Nun sind heute alle aufbauenden Krafte fdr den Kampf um Europa aufgerufen, die Kulturgeschidite stellt die emste Frage nadi dem .Verlust der Mitte , die Wirt- schaftsgesdiichte geht von den alten .europaisdien Strukturen aus, und die .Gesdiichte Osterreichs" von Hugo Hantsdi sdilieBt mit den Worten:

.Nur das Christen turn kann den zer- stdrenden und egoistisdien HaB iiber- winden und die Kuppel der Liebe wdl- ben, die den Neubau Europas und der Welt krftnen muB. Europa aber, ein ge- eintes Europa, in dem sich die Volker und Staaten in wa disen der Ztisammen- arbeit finden, bedeutet die Zukunft Osterreichs und die Zukunft der Welt.

Alle diese AuBerungen gesdiehen hun- dert Jahre nach dem Ringen Schwarzen- bergs um die Neugestaltung Europas, hundert Jahre, nachdem dieser groBe Staatsmann Altosterreichs aus dieser Welt geschieden ist

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