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Stabilitat oder Wachs turn?
Osterreichs neue Regierung hat eine reiche Erbschaft an offenen Pro- blemen iibernommen. In den meisten Fallen handelt es sich um wirtschaft- liche Angelegenheiten, bei denen die Entscheidungen keineswegs eindeu- tig vorgegeben sind. Zu den sach- lichen Diflerenzen dtirften nicht sel- ten auch Interessengegensatze kom- men, die, wie bereits in verschie- denen Kommentaren hervorgehoben worden ist, nicht nur zwischen ver- schiedenen Parteien, sondem auch zwischen verschiedenen Gruppen der gleichen Partei aufzutreten pflegen. Die Opposition wird nicht darauf verzichten, die unterschiedlichen Meinungen in der Regierungspartei propagandistisch auszuwerten. Das ist ihr gutes Recht. Ja es ist sogar ihre Pflicht, den Regierenden das Regieren nicht zum reinen Vergnii- gen werden zu lassen. Es ware aber fur eine allein regierende Volks- partei verhangnisvoll, wenn etwa der OAAB als „Hoffnungsbund“ aus falsch verstandener Parteiloyalitat schwiege, wenn Anliegen der Arbei- ter und Angestellten zuriickgestellt Oder unzureichend berucksichtigt wurden.
Erste Hiirde: Budget 1966
Das zeitlich nachstliegende Problem ist der Bundesvoranschlag fiir die zweite Halfte des Jahres 1966. Der Finanzminister will dem bis Ende Juni geltenden Provisorium ein Sparbudget folgen lassen. Sparen list popular geworden. Beide Parteien haben sich im Wahlkampf einen ver- balen Sparsamkeitswettbewerb ge- lieferf. Sparen ist aber nicht nur popular, sondem auch verniinftig. Auch fiir den Staat, der — so hort man — wie ein guter Hauisvater wirtschaften miisse.
Leider haben die Nationalokono- tnen diese traute Idylle in Frage gestellt, und dais sogar zu unserem Gluck. Es hat sich nur noch nicht iiberall herumgesprochen, daher im- mer wieder die besorgte Frage vieler Menschen, wie lange das nodi so weitergehen kijnne mit der Steige- rung des Lebenisstandands und der Vollbeschaftigung. Man traut viel- fach dem Frieden nicht und fiirchtet eine Krise.
Nun, es kann so weitergehen, wenn die Regierung will und die Regierungen der mit uns wirtschaft- lich verbundenen Lander mittun. Allerdings gibt es hier eine Vorbe- dingung: Der Staat darf nicht wie ein guter Hausvater wirtschaften, son- dern nach jenen Regeln, die nur fiir ihn gelten. Er hat namlich nicht fiir einen kleinen Haushalt, sondern fiir eine funktionierende Volkswirtschaft Sorge zu tragen. Er verfiigt auch, so er will, iiber wirksame Handhaben. Reichen zum Beispiel seine Einnah- men zur Deckung aller Anspriiche nicht aus, wird er sich als Staat nicht ohne Gefahr gleich den Giirtel enger schnallen konnen. Das tat man in den dreiBiger Jahren und verschlim- merte nur die Situation. In manchen Fallen wird es also zweckmaBiger sein, die von der SPO — hoffentlich — wider besseres Wissen verteufelte Schuldenpolitik wieder hoffahig zu machen. Das kbnnte vielleicht schon fur das Restbudget 1966, vor allem aber fiir 1967 gelten.
Die falsche Alternative
Unsere Wirtschaft ist 1965 nur um drei Prozent gewachsen. Diese Wachstumsrate lag weit unter jener des Jahres 1964 (6,6 Prozent), aber auch unter dem langjahrigen Durch- schnitt.
Es wird nun kaum jemand geben, der die Wirtschaft nicht gerne wach- sen sahe. Das Wachstum wird jedoch als konkurrierendes Element der Wahrungsstabilitat angesehen. Etwa nach der Faustregel: Mehr Wachstum — mehr Inflation; weniger Wachstum — weniger Inflation. Die erhohte Inflationsneigung ergibt sich im Sinne dieser Regel aus einer das Angebot iibersteigenden, daher preiserhohenden Nachfrage nach Arbeitskraften und Giitern.
Unter den heutigen Umstanden ist die Lage eines bsterreichischen Finanzministers nicht beneidens- wert. Die Klagen iiber das schwache Wachstum, das den steigenden Ein- kommenserwartungen nicht ganz ge- recht wird, vereinen sich mit den Besorgnissen iiber die unzureichende Preisstabilitat. Die Wirklichkeit, die sich zum Leidweisen der National-
okonomen nur selten als Abbild ihrer theoretischen Vorstellungen er- weist, hat die Lehrbuchweisheit vom logisch notwendigen Zusammenhang zwischen stabilem Geld und verrin- gertem Wachstum hinter sich gelas- sen — das Jahr 1965 mit seiner Wachstumsrate von nur drei Prozent und der bisher hochsten Preissteige- rungsrate von fiinf Prozent demon- strierte es hinlanglich. (Um MiBver- standnissen vorzubeugen: die Ein- kommen stiegen insgesamt starker als die Preise, es diirfte also kaum jemand einen Kaufkraftverlust er-
litten haben.) Die Alternative Wachstum Oder Stabilitat gibt es also unter den gegebenen Verhaltnissen in Osterreich gar nicht. Wenn vom Finanzressort wie auch von der Notenbank eine restriktive Politik verfolgt wird — und die Leiter dieser beiden wirtschaftspolitischen Instanzen pladieren zumindest offi- ziell dafiir —, dann wird das Resultat kaum wie erwiinscht ausfallen. Die „englische Krankheit", d. i. Preisauf- trieb bei Stagnation Oder nur gerin- ger Expansion, diirfte dann eher chronisch werden.
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