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Zurück zum Rentenklau?
Das Wahljahr hat den Pensionisten eine Extra-Erhöhung gebracht. Damit ist das System der Pensionsdynamik gesprengt. Mit milliardenschweren Folgen. Zu unbedacht?
Das Wahljahr hat den Pensionisten eine Extra-Erhöhung gebracht. Damit ist das System der Pensionsdynamik gesprengt. Mit milliardenschweren Folgen. Zu unbedacht?
Im Zusammenhang mit Sozialpolitik ist man darauf eingestellt, nur in Kategorien des Fortschritts zu denken. Daß es allerdings auch einen Rückfall in überwundene Probleme geben kann, erleben wir derzeit recht anschaulich: am Beispiel der jetzt beschlossenen außer-tourlichen Pensionserhöhungen.
Was kann denn an aufgestockten Renten au kritisieren sein? Nun, an sich bestimmt nichts, ganz im Gegenteil. Die Art des Zustandekommens und das Drumherum lassen freilich beim Kenner der Materie arge Befürchtungen entstehen.
Blenden wir über ein Vierteljahrhundert zurück. Wir verfügten damals schon über ein recht gutes Sozialversicherungsgesetz. Es hatte allerdings noch einen ganz entscheidenden Mangel. Der Gesetzgeber wollte nämlich noch nicht zur Kenntnis nehmen, daß Geldentwertung eine Dauererscheinung unseres Wirtschaftssystems sein würde. Man sah Pensionsleistungen als grundsätzlich stabil an. Jede Anpassung, die sich als notwendig erwies, mußte daher mit einem eigenen Gesetz beschlossen werden. Höhe und Zeitpunkt solcher Aufbesserungen waren freilich immer Gegenstand heftiger politischer Auseinandersetzungen, die oft in blanke Demagogie ausarteten. Der Rentenklau unseligen Angedenkens war noch nicht in der Rumpelkammer politischer Requisiten versenkt.
Es mußte also zu dem kommen, was man mit Recht als die „Krönung" eines modern gestalteten Sozialsystems bezeichnete, nämlich zur Pensionsdynamik. Sie führte nicht nur eine alljährliche Wertsicherung der Renten und Pensionen herbei, sondern brachte darüber hinaus etwas ganz Entscheidendes: Die alte Generation sollte auch am Zuwachs jenes allgemeinen Wohlstandes teilhaben, den sie ja in ihrer Aktivzeit mitgeschaffen hatte. Die Realisierung dieses sozialen Grundsatzes war nicht ganz einfach. Als Ideal stellte sich wie so oft die Regelung für Beamte dar. Hier führt jede Änderung des Bezugsschemas automatisch zu einer entsprechenden Neuberechnung der Ruhebezüge. Eine Übertragung dieses Prinzips in den Bereich der Privatwirtschaft mit ihrer vielfältigen, meist freien und auch individuell stark schwankenden Lohngestaltung konnte naturgemäß nicht erfolgen.
Man half sich daher so, daß man von Jahr zu Jahr einen allgemeinen Einkommensdurchschnitt berechnete und die so ermittelte Steigerung an die Empfänger von Sozialleistungen weitergab. Die Pensionsanpassung war damit geboren. Tagespolitik, einschließlich der Verlockung zu unguter Lizitation, würde - so war zu hoffen - einer objektiven und gerechten Prozedur weichen.
Das neue System, das sich im Prinzip glänzend bewährte und tatsächlich die Alten am steigenden Wohlstand teilhaben ließ, hatte und hat freilich auch Schwächen. Das Umlegen der Lohnentwicklung auf die Pensionen erfordert nämlich schon aufgrund des statistischen Meßvorganges einen Verzögerungszeitraum, der jedenfalls über ein Jahr hinausgeht und um dessen Abkürzimg man sich mehrmals bemühte.
Allerdings sah man in dieser Zeitverschiebung auch etwas Positives, nämlich einen sogenannten „antizyklischen" ökonomischen Effekt. Auf längere Sicht würde ja immer das Verhältnis stimmen, aber in einem Wirtschaftsrückschlag könnten nachgezogene Pensionseinkommen belebend wirken. Umgekehrt würde eine etwas verzögerte Steigerung der Sozialeinkommen in der Hochkonjunktur helfen, eine Überhitzung zu vermeiden.
Nun sind wir in ein Wahljahr gelangt. Und genau letztere Situation spielt sich derzeit ab. Die nach der Dynamik für den ersten Jänner berechnete Anpassung gibt noch jene sehr gedämpfte Lohnentwicklung wieder, die in den abgelaufenen Jahr ren stattfand und die ein bewußter Beitrag der Arbeitnehmer zur Erholung unserer Wirtschaft war. Nun steigen die Arbeitseinkommen wieder kräftig an. Die Beamten, die sich in der Sanierungsphase zu zweijähriger Bescheidenheit verpflichtet hatten, kündigten angesichts der sich füllenden Kassen einseitig ihr Stillhalteabkommen. Was sie erreichten, schlägt sich -siehe oben - sogleich in den Börsen ihrer Ruheständler nieder. Die Pensionisten der Sozialversicherung müssen hingegen noch zuwarten.
Nach der Stunde der Beamtengewerkschafter schlug daher die der Politiker. Sie riefen (noch kurz vorher skeptisch gegenüber der Beamtenforderung) flugs nach Gleichbehandlung für alle. Parteisekretäre, denen das Pensionssystem entweder unbekannt oder unwichtig ist, überboten sich in Steigerungsbeträgen. Und selbst Leute, die sonst eher seriös agieren, „beweisen" jetzt einer staunenden Öffentlichkeit, daß eindeutig sie und niemand anderer die außer-tourliche Erhöhung erstritten haben.
Noch einmal: Den alten Menschen sei jeder Schilling von Herzen gegönnt. Nur wirft der Rückfall in „politische" Pensionserhöhungen die Frage auf, was geschehen soll, wenn sich die derzeitige gute Einkommensentwicklung nach unserem System in dem folgenden Jahre zu Buche schlägt. Wird man dann die Pensionsprozente von 1990, die man offensichtlich in Wahlprozente ummünzen will, als eine Art von Vorschuß deklarieren und wieder in Abzug bringen? Wird also dann konsequenterweise unter der geltenden Formel angepaßt? Denn eine Doppeldynamik, die einmal gegeben wird, wenn die Zeiten besser werden, und dann noch einmal, wenn diese Besserung korrekterweise ihre Auswirkung zeitigt, wird nicht möglich sein.
Die Experten werden also jetzt das Problem lösen müssen, politische Vorgaben in ein objektives System zu bringen. Dies ist schwierig. Wie verlautet, will man sich hinkünftig bei der Dynamik weitgehend auf aktuelle Prognosezahlen stützen. Derart soll eine Phasenverschiebung im Auf und Ab der Einkommenszuwächse zwischen Aktiven und Pensionisten vermieden werden. Was sich rundherum abspielt, wird beobachtet, geschätzt und sogleich den Soziallei-stungsempfängern zugeteilt.
Weiß man wirklich, auf welchen unsicheren Boden man sich damit begibt? Prognosen waren schon oft falsch, die nachfolgenden Meßzahlen aber werden immer unerbittlich genau sein. Weichen sie von dem ab, was man annahm, wird die Korrektur schwierig und möglicherweise sehr unpopulär. Es geht hier immerhin um Milliardenbeträge.
Womit wir beim Kern des Problems angelangt sind. Ob unsere Pensions- und Rentendynamik gut oder schlecht ist, wurde jetzt wohl zu unbedacht und nicht sachgerecht, sondern eben nach anderen politischen Gesichtspunkten entschieden. Ob dies dem Sinn eines echten und soliden sozialen Fortschritts entspricht?
Der Autor ist Volksanwalt.
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