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Geriatrie

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Seit einiger Zeit gibt es unter den verschiedenen medizinischen Disziplinen etwas Neues: die Geriatrie — Heil- kunde fiir Greise —, also fiir die Grauen des Lebens, womit die Haarfarbe, nicht die innere Moglichkeit zum Tode ge- meint ist. Wir Menschen werden immer alter. Zu des Ciceros Zeiten (und friiher) "war man mit mehr als dreiBig Jahren der Gerusia, dem Greisenalter, beigerechnet. Heute ist es — wie ehemals nur bei den Kartausern — eine personliche Beleidi- gung, die das Leben uns antut, wenn wir nicht mehr oder weniger ehrenhaft achtzig Jahre alt werden ... Biologische Verlange- rung des Lebens war aber noch niemals eine Garantie fiir das Reifwerden. Das ist peinlich: fiir die Nichtgestorbenen und fiir die Zuschauer. Reife ist gut. Nicht- gestorbensein ist nur dann gut, wenn die Reife je kam, kam sie nicht, so ist die Peinlichkeit — an sich — um so auf- falliger. Aber da wir viel zu alt werden (ohne meistens reif geworden zu sein), ist es nur eine Frage der Diskretion: die Alten sollten wenigstens Schweigende geworden sein; die Nichtalten sollten barmherzig sein. Denn: bei uns heutigen Langlebigen ist Geriatrie viclleicht not- wendig geworden, aber es miiBte eine psychologische, keine medizinische Ange- legenheit sein. Nech besser: es miiBte nicht einmal eine psychologische, sondern eine anthropologische Frage sein. Und am allerbesten: die Jungcn und die Alten sollten beizeiten die Geriatrie als Problem der religiosen Situation unserer Gegen-

wart ansehen lernen. Und hier der An- schauungsunterricht:

DAS FEST AM ABEND. Roman. Von John Updike. S. Fischer Verlag, Frankfurt. Aus dem Amerikanischen iibersetzt von Maria C a r 1 s s o n. 230 Seiten.

Der noch junge Updike ist ein Phano- Aber wie er diese Manner und Frauen des Altersheims beschreibt: die klein- machende Ehrsucht, die groBwerdende Ohnmacht, die groteske Wendung ins Ver- gangene, das nie war, wie die Erinnerung es hewahrt, die unwillentliche Willigkeit zu Sterben mit alien Zweifeln an Gott und Nichtgott des Nachtodes die Rache am Jiingeren, die unaufholbare Eitelkeit auf Alterszahl, die auf Reifequalitat nichts mehr gibt...

Da soli man nur nicht sagen, daB Alt- werden und Altsein keine Medizin braucht. DaB sie keine Be-Sorgung braucht. Oder braucht Altsein nur einmal jung gewesen zu sein und die Freiheit des Geistes und die Freiheit der Kinder Gottes gerochen zu haben? Vielleicht kann die Geriatrie schlimmste Schaden lindern. Psychologische Geriatrie wird mehr fiir die Mit- lebenden lindemd wirken. Religiose Geriatrie muB bei der Taufe, spatestens beim Sakrament der Firmung, das heifit beim Symbol der Teilnahme an Christi Pro- phetenamt und allweltlicher Miindigkeit beginnen. — Auf alle Faile danken wir John Updike fiir den WamungsschuB. Ich frage mich nur, ob es wohl noch eine ganze Kollektion literarischer Werke fiber das Greisenalter geben wird ... ?

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