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Nationale Kommunisten

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Wie in anderen Landern, traten auch in Italien die Kommunisten damals in die Regierungen der nationalen Koali- tion ein, in die Kabinette Badoglios, Bo- nomis, Parres und in das erste Kabinett de Gasperis. Togliatti hat als Justiz- minister die. Ausdehnung des Wahl- rechtes auf die Frauen und in der Ver- fassung die Ausdehnung demokrati- scher Prinzipien auf wirtschaftliche Gebiete veranlaBt; seine Genossen haben unter vielem anderen agrarische Reformen und den Aufbau eines landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens initiiert.

Die „umgekehrten Streiks”

Als es 1947 zum Bruch zwischen Ost und West kam und die kommunistischen Parteien die von Moskau vorgeschriebene „Internationalisie- rung”, will sagen allseitige Verschar- fung des kommunistischen Verhaltens mit entsprechenden Aktionen, wie Massenstreiks, Versenkung von NATO- Kriegsmaterial, Bodenbesetzungen bis zu bewaffneten Kampfen ausfuhrten, da tat die KPI dabei brav mit. Sie bezahlte es mit einem starken Mit- gliederruckgang und liefi sich darauf eine geradezu grandios ausgedachte und indisch anmutende Kreuzung von Massenaktion und konstruktivem Ver- halten einfallen: die sogenannten „um- gekehrten” Streiks, die darin bestan- den, daB groBere Trupps von Arbeits- losen und armen Bauern von sich aus und ohne Bezahlung Assanierungen, Entsumpfungen, Bewasserungsbauten und andere ausstehende offentliche Arbeiten in Angriff nahmen und da- durch die Regierung unter Druck setz- ten, die Arbeiten bezahlt weiterzu- fuhren.

Die italienische KP hat mit fast horbarem Aufatmen auf den 20. Par-

teitag der KPdSU und die Entstalini- sierung reagiert. Wahrend die stalini- stischen Fuhrungen — zum Beispiel in der KPF — die neue Entwicklung zu ignorieren suchten, rief die KPI 1956 einen Parteitag ein, dem sie einen Programmentwurf vorlegte, der unter dem Titel „Der italienische Weg zum Sozialismus” die friedliche und derno- kratisch-parlamentarische Entwicklung in den Vordergrund stellte. Die fran- zosische und die italienische Partei- fiihrung fuhrten damals eine heftige Polemik in den respektiven theoreti- schen Organen der beiden Parteien, den „Cahiers du Communisme” und der „Rinascita’’. Der vielleicht charakte- ristischste Gegensatz zwischen deti beiden Standpunkten aufierte sich hierbei in der Haltung zu den Mono- polen. Die KPI verlangte in ihrem Programm eine „Demontage” der Monopole im Sinne einer Neugliede- rung der Besitz- und Einkommensver- haltnisse und damit eine breitere Ver- teilung des Privateigentums an Produk- tionsmitteln. Garaudy, der Diskutant der KPF und Vertreter ausschlieBlicher Katastrophenldsungen und Verelen- dungstheorien, fiihrte dagegen an, daB die Entwicklung der Monopole dem „hbchsten Stadium des Kapitalismus” (Lenins veraltete Formulierung) ent- sprache und deshalb zu begruBen und nicht riickgangig zu machen sei; die breitere Streuung des Privatbesitzes an Produktionsmitteln jedoch begiinstige die Positionen der Bourgeoisie, weil dadurch mehr kleine Kapitalisten ent- stunden, die am Bestand des Systems interessiert seien.

Charakteristisch fiir die Haltung der KPI — oder wenigstens der ihr aus der Nation zukommenden Impulse, denen sie, ob sie wollte oder nicht,

Ausdruck verleihen muBte — waren die weiteren Satze Togliattis in jener Polemik:

,,Die KPI hat keine andere Wahl, denn als Partei mit einem unmittelbar realisierbaren Regierungsprogramm aufzutreten und die Beteiligung an dessen Verwirklichung zu verlangen. Und es ist nicht das Programm einer Regierung, die eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen hat, noch das- jenige einer Regierung, die sich auf die negative Funktion beschrankt, eine reaktionare Entwicklung zu verhindern. Wir wollen nichts, als gestutzt auf eine starke Massenbewegung, eine Reihe von Reformen durchfuhren, die gegen die groBen Monopolgruppen ge- richtet sind und den Arbeitern und dem Mittelstand zugute kommen. Und wir geben keines unserer Prinzipien preis, wenn wir erklaren, daB das Wirtschaftsprogramm einer sozialisti- schen Regierung die Wahrung und Hebung des Lebens nicht nur der Arbeiter, sondern auch von Lehrern, Staatsangestellten, ja sogar auch Rich- tern vorsieht. bestimmt aber nicht die Verstaatlichung der Tausende und aber Tausende von Handwerksbetrie- ben und Kleinunternehmungen, die es in unserem Lande gibt. In Ungarn und Polen hat man gesehen, ryohin es fiihrt. wenn man derartige Dumm- heiten macht.”

Vor-und-Zuriick

Man moge sich durch die obigen Satze Togliattis nicht verfiihren lassen, zu glauben, daB er und die iibrige Parteifuhrung allzeit so zu sprechen bereit sind. Es gibt hier ein standiges Vor-und-Zuriick, je nach der Gesamt- situation — insbesondere auf inter- nationalem Gebiet. So spricht Togliatti in seinem jungsten Artikel in der „L’Unita” an sich dieselben Gedan- ken und Forderungen, aber mit sozu- sagen umgekehrten Vorzeichen aus, mit dem Hinweis, daB alles Positive nicht deshalb positiv ist, weil es posi- tiv ist, sondern vor allem deshalb, weil es zum Sozialismus fiihrt. Nichtsdesto- weniger ist es aber interessant und charakteristisch fur die Stellung der KPI, daB Togliatti sich in dieser Zeit groBer Spannungen von den in der Sowjetunion, China und in den Volks- demokratien begangenen Wegen aus- druc’klich distanisiert und weiter auf seinen italienischen besteht. Und er spricht sich ausdriicklich dagegen aus, daB eine KP fiir Irrtiimer verantwort- lich gemacht werde, die eine andere KP begangen hat. Derlei kann in der heutigen Situation sehr wohl als ein Hinweis an die Genossen gewertet werden, Kriegstreiber nicht nur im anderen Lager zu suchen. Kann ihm da- fur verziehen werden, daB jene „Irr- tumer” begangen wurden, da die Komintern samtlichen ihrer Parteien die Verhaltensweise genau vorschrieb, und auch spater noch, als das Kominform gleichfalls jeder Partei auf die Finger klopfte, wenn es das fur notig befand? Und beiden Organisationen gehorte Palmiro Togliatti als Exekutivmitglied an. Nein, diese Verantwortung kann ihm auch nicht ob seiner ganzen Klug- heit und seiner verzweifelten Bemii- hung, eine Partei trotz aller kommunistischen Tabus in Tuchnahe zum italienischen Volk zu halten, verziehen werden!

Togliatti: "I comunisti italiani e la monarchia”, „Belfagor”, V. Jahrg., Nr. 2.

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