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Scharfe Pfeile gegen Togliatti

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Wer das Kommunique liest, das vom Sekretariat der Kommunistischen Partei Italiens nach der Sitzung des Zentralkomitees verbreitet wurde, könnte den Eindruck erhalten, daß der in Moskau entfachte Sturm der Entstali- nisierung das Laubwerk des starken Baumes der KP nur leise bewegen konnte. Das Kommunique ist nur ein matter Spiegel jener erregenden Debatte, die sich im Anschluß an den Bericht des politischen Sekretärs Pal- miro Togliatti über den Moskauer Kongreß abgespielt hatte. Das Zentralkomitee war gar nicht in der Lage gewesen, von sich aus über einen Beschluß einig zu werden und hatte das Sekretariat beauftragt, die unangenehme, aber notwendige Unterrichtung der Öffentlichkeit durch ein Kommunique zu übernehmen. Das Sekretariat aber bekam es erst zu Gesicht, als es bereits im druckfeuchten Parteiblatt „Unitä“ zu lesen stand. Der Handstreich Togliattis war mit solcher Unverfrorenheit unternommen worden, daß auch sein Gegenspieler und eifrigster Kritiker, Giorgi Ämendola, nichts mehr dagegen tun konnte, ohne die Partei selbst bloßzustellen.

Die italienischen Kommunisten sehen sich heute vor die schwierige Frage gestellt, wieweit sie dem Prozeß gegen Stalin und der Kritik an sowjetischen Einrichtungen freien Lauf lassen können, ohne den Kommunismus selbst in Frage zu stellen. Die gleiche Frage hatte sich ihnen allerdings bereits 1956 gestellt, aber dem Parteisekretär war es damals verhältnismäßig mühelos gelungen, Unzufriedenheit und Gärungen, das Drängen nach größerer Autonomie für die KP Italiens und mehr Demokratie in ihr selbst mit einem an den Horizont gezauberten Trugbild vom „polizentrischen Kommunismus“ aufzufangen. Der 8. Kongreß der KPI segelte unter der bezeichnenden Devise „Für einen italienischen Weg zum Sozialismus“. Wer allerdings auf ihm allzusehr auf innere Demokratisierung bestand, wurde gezwungen, seine politische Heimstätte anderswo zu wählen. Das war bei dem jungen und feurigen Deputierten Antonio Giolitti aus Cuneo der Fall, der in das Haus der Nenni-Sozialisten übersiedelte.

munistischen Internationale gewesen, das den Ex-Sekretjir der . Koimntsin Bela Kun „antisowjetischer und gegenrevolutionärer Umtriebe" schuldig erkannt hatte. Bela Kun ist 1956 rehabilitiert worden, ln dem Organ der kommunistischen Emigration, in der in Paris veröffentlichten Zeitschrift „Stato Operaio“, antwortete Togliatti den Sozialisten, die legale Garantien für die Angeklagten der Säuberungsprozesse verlangt hatten: „Legale

Garantien! Wenn doch auf der ganzen Welt kein einziges Gericht existiert, das auf Grund seiner Zusammensetzung, seiner Gesetze und Prozedur eine so vollständige Garantie der Gerechtigkeit bietet, nicht nur einer formalen, sondern auch essentiellen, wie das sowjetische proletarische Gericht, Werk einer Revolution, die alle Ungerechtigkeiten und Privilegien mit den Wurzeln ausgerissen hat. Wunderbare proletarische Gerichte, wo das Geständnis der Angeklagten in so vollkommener Weise legal ist, daß das Verlangen der Sozialdemokraten, den Angeklagten normale legale Ga rantien zu gewähren, geradezu al skandalös empfunden werden muß."

Kennwort „Polizentrismus“

Togliattis Aufgabe ist heute ungleich schwieriger als vor fünf Jahren, denn die Unruhe an der Parteispitze ist ungleich größer. Nochmals versucht er sie zu dämpfen, indem er auf seinen alten Vorschlag des „Polizentrismus“ zurückgreift. Er will den „demokratischen Charakter der KPI weiterhin aufrechterhalten“ und durch die Förderung einer intensiven Debatte innerhalb der Partei entwickeln; er will der Partei selbst eine den Verhältnissen und Traditionen Italiens angepaßte eigene Physiognomie geben. „Schon die Ausdehnung der kommunistischen Bewegung auf die entferntesten Länder, die Verschiedenheit der objektiven Verhältnisse und die unausbleiblichen Unterschiede der politischen Aktion und der Arbeitsmethoden führen zu einer Vielheit von leitenden Zentren." Togliatti leugnet nicht, daß dies unter Umständen auch zu Divergenzen in Einzelfragen führen könnte, doch glaubt er, daß ein ständiger Meinungsaustausch und eingehende Diskussionen sie ausschalten könnten. Als Beispiele führt er die Versammlungen der kommunistischen Parteien in Moskau im Jahre 1957 und dann 1960 an, die seiner Meinung nach die ideelle und politische Einheit der Bewegung erwiesen haben.

Das Thema des polizentrischen Kommunismus im Gegensatz zu dem von Moskau auferlegten „demokratischen Zentralismus“ ist von den jüngeren Mitgliedern des Zentralkomitees eifrig aufgegriffen worden, und es war einer der wenigen Punkte, über die sie sich mit dem Parteisekretär einig waren. Giorgio Amendola meinte, der XXII. Kongreß der KPdSU habe den Riß zwischen Moskau und den anderen Zentren des Kommunismus klar erwiesen. Es gäbe nicht mehr jene falsche, von einigen Dokumenten sanktionierte, aber in Wahrheit nicht existierende Einheit. Es sei nötig, die Vielfalt der Situationen und Positionen der Sowjetunion, verglichen mit jfcnefflt. fi China, in/Italien, inFrankreich. i Jugoslawien, in Kuba anzu- erkennen. Es sei ein Polizentrismus erforderlich, der keineswegs den Internationalismus schwächen würde, sondern im Gegenteil Vorbedingung für einen wirklichen und nicht bloß formellen Internationalismus ist. Für Italiens Kommunistische Partei zieht Amendola die Schlußfolgerung, daß sich in ihr die Demokratisierung durch freie Aussprache zu entwickeln habe, wenn notwendig bis zur Gruppenbildung, zur Bildung von Mehrheit und Minderheit. Noch schärfer hat sich Fabiani ausgedrückt: „Man nützt dem Fortschritt nicht, indem man den falschen Ideen Konzessionen macht“,

sagte er im Zusammenhang mit der Haltung, welche die KP1 seinerzeit gegenüber der ungarischen und polnischen Erhebung eingenommen hatte. „Verschiedener Ansicht sein, heißt noch nicht Parteifeind sein." Ebenfalls als Kritik an Togliatti, der sich anläßlich der ungarischen Revolution an die Seite Chruschtschows gestellt hatte, sagte Trombadori: „Demokratie und

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