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Sechs Millionen Italiener haben bei den letzten Provinzialwahlen KP ge- wahlt. Bei den Parlamentswahlen von 1958 hat die KPI mit 6,704.000 Stim- men 22,7 Prozent aller abgegebenen Stimmen erhalten. Die von der KP kontrollierte Gewerkschaft CGIL hat 3,700.000 Mitglieder (etwa ein Viertel davon sind Nenni-Sozialisten). Die CGIL hat allerdings im Jahre 1953 noch fiinf Millionen Mitglieder gehabt. Seither sind die christlichen Gewerk-

schaften, die CISL auf 2,300.000 ge- wachsen und die sozialdemokratische UIL auf 1,300.000. 53 Prozent aller italienischen Betriebsrate wurden auf CGIL-Listen gewahlt; man nimmt an, daB drei Viertel von ihnen Kommu- nisten sind. Die CISL hat 28 Prozent der Betriebsrate, die UIL rund zehn Prozent. Dreieinhalb Millionen Italiener gehoren Konsum-, Produktiv- und landwirtschaftlichen Genossenschaften an, die gleichfalls von der KPI kon- trolliert werden. Es sind weiterhin noch die Millionen Frauen umfassende Massenorganisation „Unione donne italiane” zu nennen und die meh- rere Hunderttausend Jugendliche umfassende „Fronte della gioventii”. Uber den Stand der Parteimitglieder fehlen verlaBliche aktuelle Angaben, doch hat die Partei nach Angabe ihres Fuhrers, Palmiro Togliatti, nach 1956 900.000 Mitglieder eingebiifit; seither diirfte durch Neuwerbungen hochstens ein Drittel dieser Verluste wieder ein- gebracht worden sein, eher aber weni- ger.

Was sind die Ursachen des besonde- ren Erfolges der KPI? Besitzen die Italiener eine besondere Anfalligkeit fiir den Kommunismus? Es ist bekannt, daB die Italiener ein Volk von Indi- vidualisten sind, in nicht geringerem, in verschiedener Hinsicht sogar in hb- herem MaBe, wie etwa die Franzosen und Briten. Allerdings sind sie ein bedeutend armeres Volk als jene. Die italienischen Bauern sind nur um etwas weniger armer als die von Griechen- land und Spanien. Der italienische Mittelstand ist seit eh und je arm und besitzt seit dem Risorgimento sehr radikal-liberale Tradition. Die italienischen Arbeiter war der Faschismus auch nach zwanzigjahriger Herrschaft nicht imstande zu korrumpieren. Auf diese drei Schichten stiitzt sich die KP vor allem, und sie stiitzen sich auf die KP. Sie hat es zweifelsohne besser als irgendeine andere KP verstanden, so wenig als mbglich den iiblen Vorstel- lungen zu entsprechen. die man heute von kommunistischen Parteien hegt.

Geburtsort: Turin

Die eigentliche Geburtsstadt der KPI ist Turin. Ihre Vater waren eine Gruppe sozialistischer Studenten der Turiner Universitat, die dort eine gute Schule hatten, mit Lehrern wie Luigi Einaudi, dem Panlogiker Pastore, dem groBen und so sensitiven Dichter Arturo Graf, dem philologischen Rie- sen Renier, dem idealistischen He- gelianer Cosmos und vor allem dem

Tbter des so banal gewordenen Positi- vismus, dem Kampfer um eine philo- sophische Wiedergeburt: Benedetto Croce; und dem Marxisten Labriola. Das Laboratorium aber, in welchem Gramsci, Togliatti, Montagnana, Tasca, Terracini und andere die neuen, viel- diskutierten Theorien ausprobierten, waren die Turiner Fiat-Werke, einer der ersten Grofibetriebe Italiens, dessen Arbeiter keinen rechten Gefal- len mehr an dem sturen Syndikahsmus der Okonomisten und an der idea- listisch-fortschrittglaubigen Rhetorik Turatis und Treves fanden. Die KPI wurde verhaltnismafiig spat — 1921 — gegriindet und erfreute sich nicht lange der Legalitat; 1925 wurde sie von Mussolini i -den jUntergrund und ins Exil getrieben. Einer der Fiihrer. der KPI wurde Mitglied der Fiihrung der Komintern: Ercoli, recte Togliatti. Der Fiihrer der italienischen Jungkommu- nisten, Luigi Longo, war der erste Kommandant des aus italienischen Fluchtlingen gebildeten Garibaldi-Ba- taillons der internationalen Brigaden in Spanien. Politische Kommissare des Bataillons waren der Sozialist Pietro Nenni und der radikale Liberale Ran- dolfo Pacciardi, spaterer Verteidigungs- mimster der italienischen Republik. Als eine von Mussolini zu Francos Hilfe gesandte Division von 300.000 Schwarzhemden sich 1937 bei Guadalajara in vollem Vormarsch befand, traf sie auf Italiener, die sie fiir einen ihrer Vortrupps hielten. Sie fragten sie nach dem Weg, und jene Italiener wiesen ihnen einen, was zur Folge hatte, daB die republikanischen Trup- pen zusammengezogen und den Schwarzhemden in den Riicken gesetzt werden konnten. Die gesamte Division wurde von den Republikanern zusam- mengeschlagen oder gefangengenom- men. Jener Vortrupp waren Leute des Garibaldi-Bataillons gewesen, die hier in Spanien Mussolini seine erste Nie- derlage bereiteten. Etwa die Halfte von ihnen iiberlebte den spanischen Krieg und die Lager. Die iiberlebenden Gari- baldianer wurden die Instruktoren und Fiihrer der italienischen Partisanen. die 1943 den bewaffneten Kampf gegen die deutsche Wehrmacht und Mussolinis Milizen erbffneten. Ein anderer Garibaldianer, in Spanien unter dem Namen Nicoletti bekannt, organisierte im Winter 1943/44 die groBe Streikbewegung von 133.000 Ar- beitern in den ober- und mittelitalieni- schen Betrieben, mit der die Wehrmacht, SS, Gestapo und OVRA nicht fertigwerden konnten. Nicoletti wurde spater unter dem Namen di Vittorio Fiihrer der kommunistischen Gew’erk- schaften Italiens und dann des Welt- gewerkschaftsbundes. LIntiichtig sind sie nicht, die Italiener.

Partisanen gab es auch anderswo, aber einen Streik derartigen Ausmafies hat es in keinem Land unter deutscher Besetzung gegeben, auch nicht in RuBland. Das kam auch daher, daB die wahrend des Krieges fiir samtliche kommunistischen Parteien ordinierte

Politik der nationalen Einheit von kei- ner Partei mit soviel Konsequenz, aber auch soviel Fingerspitzengefiihl durch- gefiihrt wurde, wie von der italienischen. Hinsichtlich der neuerstehenden Partei selbst erklarte Togliatti bei seiner Riickkehr aus dem zwanzigjahrigen Exil im Marz 1944; „Sie soil eine Partei eines neuen Typs, eine Partei der Arbeiter und des Volkes sein; sie soli sich nicht auf Kritik und Agitation beschranken wie vordem, sondern posi- tiv und konstruktiv in das Leben des Landes eingreifen; sie soli eine nationale, italienische Partei sein ...”

Auch andere kommunistische Parteien haben zu jener Zeit ahnliches verlauten lassen. Keine aber hat dabei soviel politische GroBzugigkeit und Haltung ihrer Fuhrung aufgebracht wie die KPI.

Togliatti und die Monarchic

Kurz nach seiner Ankunft in Neapel im Marz 1944 zeigte Togliatti, wieviel in dieser Beziehung in ihm steckt. Bei der Bildung der ersten nichtfaschisti- schen Regierung .Italiens unter Marschall Badoglio gjng es um die Frage, ob sie eine Regierung der Republik, oder immer noch der Monarchic sein sollte. Sozialisten, Burgerlich-Radikale und die meisten Kommunisten waren der Meinung, daB das Konigshaus am Aufkommen des Faschismus mitschul- dig war und sich durch langjahrige Zusammenarbeit mit ihm kompromit- tiert hatte. Togliatti jedoch wies den Widerstrebenden nach, daB es kein Zufall war, wenn im Juli 1943 zwar Mussolini, nicht aber der Konig davon- gejagt worden sei. Die Entscheidung ob Monarchic oder Republik konne nur vom ganzen Volk getroffen und diirfe nicht von einer Regierung vor- weggenommen werden, die am auBer- sten Zipfel des Landes residierte, und soviel nationaler Einheit als nur mog- lich bedurfte. Togliatti schreibt in seinen Erinnerungen aus jener Zeit iiber den auBerordentlichen Jubel, den das kommunistisch-liberale Kompromifi mit der Monarchic damals bei der Bevol- kerung im Siiden erweckte: „Ich muBte mir eingestehen, daB dieser all- gemeine Jubel nicht etwa von durch den Eintritt der Komunisten in die Regierung geweckten Hoffnungen auf soziale Reformen hervorgerufen worden war... Die Zustimmung und Freude erstreckte sich auch auf soziale Gruppen, mit denen wit — was sie sehr gut wufiten — hatten zusam- menstoBen mussen, sobaid wir auch nur das unbedeutendste wirtschaftliche Problem beriihrt hatten. So war ich gezwungen, den SchluB zu ziehen, daB unser und der Liberalen Vorgehen in jenem Augenblick vielmehr das tiefste Streben des nationalen Bewufitseins ausdruckte” .

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