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Machtergreifung an der Basis

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Die italienischen Christdemokraten können mit den Besitzern eines Schlosses verglichen werden. Sie sitzen im großen Saal und glauben, als rechtmäßige Eigentümer Herr und Meister in ihren vier Wänden zu sein. Während sie sich Festlichkeiten hingeben, haben feindliche Scharen die Kellergeschosse schon längst besetzt, mit der Zeit auch die anderen Stockwerke; jetzt klopfen die wahren Hausherren an die Tür und begehren Einlaß. Doch die Ritter wollen sich nicht stören lassen.

Ein Blick auf die tatsächlichen Machtverhältnisse in Italien bestätigt dieses Bild. Nur noch zum Schein wird die Apenninenhalbinsel von den Christdemokraten regiert. Von unten her erobern die Kommunisten mehr und mehr Machtpositionen. Wenn sie jetzt die Aufnahme in die Regierung beanspruchen, so kommen sie gleichsam nicht mit leeren Händen, sondern besitzen Stoßkraft, die ihrem Anspruch gehörigen Nachdruck verleiht. Die Weigerung der DC beruht auf einer Fiktion, die heute oder morgen wie ein Kartenhaus in sich zusammenzufallen droht.

In 15 von 20 Regionalverwaltungen sind die Kommunisten mit von der Partie. 29 Millionen Italiener werden vom kommunistischen, linkssozialistischen, sozialdemokratischen und republikanischen Assessoren unter Ausschluß der Christdemokraten verwaltet. In diesen linksregierten Regionen stehen die Schulen und Spitäler, die Banken, Immobiliengesellschaften, die Verkehrsbüros und die Entwicklungsprojekte unter kommunistischer Kontrolle. 600 von 2100 italienischen Gemeindeämtern werden von KPI-Experten geleitet.

Haben es die wohlhabenden Bürger aus Angst vor der kommunistischen Machtergreifung aufgegeben, ihre Gelder im Land der permanenten Krise zu investieren, so tun es an ihrer Stelle die von Kommunisten und Linkssozialisten verwalteten Gemeinden, ungeachtet des wachsenden Defizits, in steigendem Maße. 1976 wurde in ihrem Hoheitsbereich für 206 Milliarden Lire, 30 Prozent mehr als 1974, doch voraussichtlich 18 Prozent weniger als 1977, investiert. Seit kurzem steht ein Kommunist, Armando Sarti, der italienischen Vereinigung öffentlicher Dienstleistungsbetriebe in den Gemeinden vor. Für die Auswahl des Kadernachwuchses ist hier die KPI- Mitgliedschaft eher eine Empfehlung als ein Ausschließungsgrund.

Kaum etwas kann auf dem Kultursektor - Theater, Bibliotheken, Universitäten, Forschungsinstitute, Film, RAI (Radio-Televisione Italiana) - gegen den Willen der KPI geschehen. Seit die Radio- und Fernsehstationen aufgeteilt wurden ist den Kommunisten das den Christdemokraten verbliebene Giornale Radio 2, das Nachrichtenprogramm des zweiten Kanals, ein Dorn im Auge. Sie zögerten nicht, seinen Leiter, Gustavo Selva, als Faschisten zu diffamieren und bestehen mehr und mehr auf der Vereinheitlichung aller RAI-Programme. Diese Vereinheitlichung würde natürlich auf eine immer weniger antikommunistische und schließlich eine prokommunistische Programmgestaltung hinauslaufen.

Vorderhand ist der Einfluß der KPI auf die in Italien mächtigen „halbstaatlichen“ Betriebe noch bescheiden, doch vermag er mit der Kooptierung des einen oder anderen „aufgeschlossenen“ Beirates und Experten von Monat zu Monat zu wachsen. Für ihr Wohl verhalten als Ordnungspartei, die viele Streiks abgeblasen hat und die Regierung immer wieder über Wasser hält, läßt sich die KPI dieses und jenes, jedenfalls aber immer mehr, bezahlen. Um die Schloßbesitzer im Saal des Palazzo Chigi, des Regierungsgebäudes, nicht allzusehr vor den Kopf zu stoßen, bestehen die Kommunisten manchmal lediglich auf der Ernennung eines „Sachverständigen“, der gar nicht Kommunist, nur „aufgeschlossen“, zu deutsch: ihnen gewogen ist Ihr Bestehen auf „efficiency“ hat den Kommunisten die Sympathien vieler Italiener eingetragen, die unter der christdemokratischen Vorherrschaft jahrzehntelang Zusehen mußten, wie unfähige, doch bestens empfohlene Männer auf wichtige Posten gelotst wurden.

Neuerdings haben Vertrauensleute der KPI ihren Einzug in wichtigen nationalen Kreditinstituten mit je über 4000 Milliarden Aktivsaldo gehalten. Ihre Aufnahme in den Verwaltungsrat der Banco di Sicilia dürfte nicht lange auf sich warten lassen. Im Banco di San Paolo di Torino sind sie bis ins Vorzimmer des Generaldirektors vorgerückt. Wahrscheinlich werden bin-, nen weniger Monate KPI-genehme Generäle die Kommandoposten der Luftwaffe, der Marine, des Heeres und des Generalstabes besetzen.

Vorderhand dürfte erst einer von zehn Präfekten und lediglich jeder achte Quästor mit Interesse und Sympathie zur KPI hinüberschielen. Im Gegensatz zu den Gemeinde-, Provinz- und Regionalverwaltungen ist die Staatsverwaltung noch immer eine Hochburg der Democrazia Cristiana, die, mit ihren rund 40 P rozent Wählern im Rücken, fast 80 Prozent der Posten besetzt. Auch die meisten Richter leisten den kommunistischen Verlok- kungen Widerstand ... doch nicht mehr lange, denn die alten Richter sterben aus, treten in den Ruhestand oder werden, wenn sie allzu gemäßigt sind, wie Prokurator Occorsio, von den Roten Brigaden aus dem Wege geräumt oder entsprechend eingeschüchtert. Zahlreiche junge Richter sind im „Verband Demokratischer Richter“ zusammengeschlossen. „Demokratisch“ heißt hier - wie meistens in Italien - aufgeschlossen gegenüber kommunistischen Infiltrationsversuchen. Zwei solchen Richtern konnten kürzlich Verbindungen zu linksextremen Terrororganisationen, zwei anderen Hilfeleistungen bei Ausbruchsversuchen aus Gefängnissen nachgewiesen werden.

Wo die Italiener in leitenden Positionen nicht von sich aus zur Besinnung kommen, helfen die Gewerkschaften mit verschiedenen Druckmitteln - Streikdrohungen, Absetzung von oben oder Absetzung von unten - dem Prozeß einer wachsenden „demokratischen Aufgeschlossenheit“ nach.

Vor 15 Jahren - bei der berühmten Apertura a sinistra - sind die Linkssozialisten nie wirklich zum Zuge gekommen, weil sie allzu sehr darauf erpicht waren, durch diesen Schulterschluß mit der DC von oben her Einfluß und Macht im italienischen Staat zu gewinnen. Die Kommunisten haben aus den Fehlern der „Genossen zu ihrer Rechten“ gelernt und sind seit drei Jahren dabei, von unten her, also umgekehrt, melir und mehr Schlüsselpositionen zu erobern. Als dreimal stärkere Partei sind sie natürlich eher in der Lage, die Christdemokraten unter Druck zu setzen. Freilich bedeuten die Kommunisten für viele Bürger nach wie vor ein großes Ärgernis, eine dauernde Gefahr und - allem Gerede von einem freien, menschlichen und demokratischen Eurokommunismus zum Trotz-vielleicht sogar das Krebsübel. Aus diesen und anderen Gründen ist das Problem der totalen Linksöffnung in Italien immer noch nicht gelöst. Es läßt sich nur mit Sicherheit sagen, daß die Machtbeteüigung der KPI in den letzten Monaten große Fortschritte erzielt hat und daß der Schulterschluß zwischen DC und KPI auf Regierungsebene gleichsam an der Basis von einem „historischen Kompromiß von unten her“ getragen wird. Das merkwürdige Spiel zwischen christdemokratischen Schloßbesit- zern und kommunistischen Okkupanten um die Macht im italienischen Staat hätte in seinem letztlich undurchsichtigen, ja gespenstischen Verlauf Franz Kafka zweifellos das Sujet für einen seiner beklemmenden Romane geliefert.

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