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Kein Rettungsanker

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Italien hat sich' vorn Schock eines erheblichen Stimmenzuwachses der KPI den Regional-, Provinz- und Gemeindewahlen vom 15. Juni noch nicht erholt. Bei den linksextremen Parteien herrscht ttochstinimung und nicht' wenige Genossen wittern Morgenluffc,, Jp^idiich, so könnte man in ihrer Mitte meinen, sind dife Kommunisten an der Reihe, die Geschicke des Landes zu bestimmen, und zwar nicht mehr auf die indirekte Weise, durch hartnäckige Opposition, sondern gleichsam im Vorzimmer der Macht, durch direkte Einflußnahme imd .baldige Übernahme von Regierungsverantwortung.

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Italien hat sich' vorn Schock eines erheblichen Stimmenzuwachses der KPI den Regional-, Provinz- und Gemeindewahlen vom 15. Juni noch nicht erholt. Bei den linksextremen Parteien herrscht ttochstinimung und nicht' wenige Genossen wittern Morgenluffc,, Jp^idiich, so könnte man in ihrer Mitte meinen, sind dife Kommunisten an der Reihe, die Geschicke des Landes zu bestimmen, und zwar nicht mehr auf die indirekte Weise, durch hartnäckige Opposition, sondern gleichsam im Vorzimmer der Macht, durch direkte Einflußnahme imd .baldige Übernahme von Regierungsverantwortung.

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Im Bewußtsein des Linksrutsches erhöhen die Linkssozialisten ihren Preis für eine weitere Zusammenarbeit mit den Christdemokraten und Republikanern. Mit Sarragats Sozialdemokraten wollen sie nichts mehr zu tun haben. Für die Bildung der Regional-, Provinz- und Gemeindeverwaltungen wollen sie völlig freie Hand haben. Lassen sich diese Verwaltungen an der Peripherie im Bund mit den Kommunisten aufstellen, so soll es ohne weiteres geschehen können. Bisher drangen die Christdemokraten, allen voran Fanfani, darauf, daß — wo immer es angeht — die Verwaltungen außerhalb Roms dem in der Hauptstadt eingeschlagenen Regierungskurs links von der Mitte entsprechen müßten. Die Nenni-Sozialisten mußten also überall, wo sich mit Christdemokraten, Sozialdemokraten und Republikanern eine Mehrheit fand, die Zusammenarbeit mit den Koalitionsparteien des Zentralstaates suchen. Dieses Diktat von oben, aus dem römischen Generalsekretariat der Democrazia Cristiana, soll nun in aller Form seine Wirksamkeit verlieren.

Die Zusammenarbeit auf Regierungsebene kann nach linkssozialistischen Vorstellungen nur noch unter den veränderten Vorzeichen eines entschossenen Kampfes gegen den Neofaschismus, einer veränderten Wirtschaftsführung und einer entschlossenen Reformpolitik erfolgen. Wiederum ist die Rede vom Verbot der italienischen Sozialbewegung und des nationalen Rechtsblocks, somit der neofaschistischen Partei Al-mirantes. Daß die Linkssozialisten am liebsten mit einem andern Mann als Fanf ani an der Spitze der Demo1-crazia Cristiana Verhandeln möchten, versteht sich von selbst. Fanfani hat den Wahlkampf wehiger im Zeichen des Antifaschismus als des An-tikommunismus geführt. Er bezichtigte die Linkssozialisten des Verrates und der Doppelzüngigkeit: einerseits hätten sie sich mit Freunden und Verwandten in der Staatsverwaltung eingenistet, anderseits an der Seite der Kommunisten die Rolle einer Oppositionspartei gespielt. Unter solchen Vorzeichen seien die Regierungen des linken Zentrums gleichsam von innen her ausgehöhlt und zur Untätigkeit verurteilt gewesen.

Während die Christdemokraten in den Linkssozialisten die Sündenböcke für die schlechte und vor allem unwirksame Staatsverwaltung sehen, neigen die Linkssozialisten selber dazu, alle Schuld für das Versagen des bisherigen Regierungskurses links von der Mitte dem „rückständigen, reaktionären Fanfani“ in die Schuhe zu schieben. Bei diesem gefährlichen Hin und Her gegenseitiger Anklagen droht die Koalition des linken Zentrums endgültig auseinan-derzübrechen und es besteht die Gefahr, daß demokratische Lösungen zur Überwindung der politischen Krise und des Immobilismus, der letzten drei Jahre überhaupt nicht mehr gefunden werden können. Wenden sich die Linkssozialisten nicht nur an der Peripherie, sondern auch noch in der Hauptstadt den Kommunisten zu, so ist die politische Aufspaltung Italiens unausweichlich. Die Volksfront der Kommunisten und Linkssozialisten hätte dann gleich viele Stimmen hinter sich wie die Zentrumsparteien der Christdemokraten, Sozialdemokraten, Republikaner und Liberalen, und das Zünglein an der Waage wäre Almirantes Rechtsblock. Steht die Democrazia Cristiana bei den Wählern im Ruf, Italiens sinkendes Schiff zu sein, so könnte plötzlich ein' allgemeines Überlaufen zu den Sozialisten und Kommunisten stattfinden, was den Untergang der parlamentarischen Demokratie in Italien bedeuten müßte.

• In dieser beängstigenden Lage drängt sich die Frage auf, ob Italien am 15. Juni wirklich den Linksrutsch vollzog, von- dem alle in der Folge mit großer Genugtuung oder aber mit Angst und Bangen sprachen. Was sogar Kissinger veranlaßt • haben soll, im Hinblick auf Portugal und „nun auch Italien“ die „Neuordnung einer NATO auch unter Beiziehung von halbkommunistischen Ländern“ ins Auge zu fassen.

Am 15. Juni kam zum erstenmal das neue Wahlgesetz zur Anwendung. Zweieinhalb Millionen Italiener zwischen 18 und 21 Jahren sahen sich aufgerufen, die Geschicke des Landes mitzubestimmen. Es waren mehr als sechs Prozent der gesamten Wählerschaft. Nach einem Meinungsforschungsinstitut sind 43,1 Prozent der Neuwähler kommunistisch orientiert. In der Dunkelkammer italienischer Wahllokale habe sich aber ein noch höherer Prozentsatz von Jugendlichen für die KPI-Kandidateri entschieden.

War es die Hälfte der Neuwähler, die einer Sichel- und Hammerpartei den Vorzug gaben, so würden diese mit drei Prozent des Elektorates den ganzen Vormarsch der Linksextremen bei den Wahlen vom 15. Juni erklären. Wären es gar noch mehr, dann hat allerdings die KPI bei den mehr als 21jährigen, die bereits 1970 stimmen durften, einen Teil ihres Anhangs eingebüßt. Sie hätte in diesem Fall also die Wahlen vom 15. Juni nicht gewonnen, sondern verloren. Denn der Vormarsch der KPI beträgt im Grunde nur drei bis 3,5 Prozent. 1970 und 1972, bei den letzten Regionalwahlen und Parlamentswahlen, standen noch 3,2 beziehungsweise 1,8 Prozent der Wähler auf seiten der linkssozialistischen Partei, die mittlerweile mit der KPI verschmolzen wurde.

Die ganze Euphorie der Sichel- und Hammer-Parteien nach dem 15. Juni erklärt sich wahrscheinlich nur aus einer einseitigen und verfälschten Auslegung der Wahlresultate und aus dem Zuzug der jungen Wähler, die wie in andern Ländern vorwies gend links- oder aber rechtsextrem eingestellt sind. Treffend bemerkte der französische Soziologe Duverger: „Mit 18 ist es schwierig, nichtkommunistisch, mit 30 ist es schwierig kommunistisch zu wählen.“

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