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Ein Leichtgewicht spielt „dritte Kraft“

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„Nicht den guten Schlaf, allenfalls einige Kilo“ raubt ihm nach eigener Aussage die verklemmte Lage zwischen den beiden „Großen“, den Christdemokraten und den Kommunisten. Es ist die eine Not, aus der er seit drei Jahren die stolze Tugend einer „dritten Kraft“ zu stilisieren sucht: Benedetto (genannt „Bettino“) Craxi.

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„Nicht den guten Schlaf, allenfalls einige Kilo“ raubt ihm nach eigener Aussage die verklemmte Lage zwischen den beiden „Großen“, den Christdemokraten und den Kommunisten. Es ist die eine Not, aus der er seit drei Jahren die stolze Tugend einer „dritten Kraft“ zu stilisieren sucht: Benedetto (genannt „Bettino“) Craxi.

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Vor drei Jahren war er der jüngste Sekretär, den sich die älteste und unter ihren Kämpfern meist zerstrittene Partei Italiens, die sozialisische (PSI) zulegte. Nun ist er der jüngste und erste „linke“ Anwärter aufs höchste Regierungsamt der Republik. Wer ihn in diesen Tagen auftreten sieht, kann nicht entdecken, daß er an körperlichem Gewicht verloren hat -sein politisches Gewicht wiegt ohnehin nur in dem Maße, in dem die großen Parteien zu „leicht“ gebheben sind und sich durch Craxis gesunde, von intellektuellem Zweifel unberührte Selbsteinschätzung überzeugen lassen.

Nach der ersten Überraschung ist auf sein glattes, rundes Gesicht die stets entschlossene Miene zurückgekehrt und keine Spur von Argwohn. Ein gewisser Argwohn ließe sich zum Beispiel aus dem Gedanken ableiten, daß ihn der 83jährige Staatspräsident, sein Parteifreund Pertini, auch deshalb mit der Regierungsbildung beauftragt haben könnte, damit dem .jungen Mann“ einmal gezeigt werde, was er kann - und was eben nicht.

Ist Craxi gleichwohl der Mann des längst fälligen Generationswechsels in Italiens Innenpolitik? Oder sogar, wie sein Stellvertreter Signorile unvorsichtig verkündete, der Mann„ dem vor den Wahlen die Hauptrolle das „Schiedsrichters“ im komplizierten Spiel um die Regierungsmacht übertragen wurde?

„Ich war dreizehn, als Andreotti schon ein Ministeramt hatte“, rief Craxi spöttisch im letzten Wahlkampf. Doch der Unterschied zwisehen ihm und dem politisch ebenso wetterfesten wie sachkundigen Christdemokraten liegt nicht nur im Alter. „Craxi trägt zwar keine kurzen Hosen mehr, aber er konserviert den Geist des Studentenverbandes“, entgegnete Andreotti.

Tatsächlich war Craxi in seiner Heimatstadt Mailand von seinem 18. Lebensjahr an Parteifunktionär; lange, bis zum Abbruch seines Studiums der Politologie, war er im sozialistischen Hochschulverband tätig, dann in regionalen und zentralen Parteigremien, ohne daß er von sich reden machte.

Journalistische Erfahrungen in der Parteipresse, politische in der Mailänder Stadtverwaltung und im römischen Parlament (seit 1968) mögen ihm nützlich geworden sein. Doch bestimmend für die Orientierung wurde die Faszination, die Pietro Nenni, der große Alte des italienischen Sozialismus auf ihn ausübte -mit allen Ungereimtheiten zwischen „Volksfront“ und „linker Mitte“, die Italiens Sozialisten in 30 Jahren von 21 auf 9,6 Prozent Wählerstimmen herunterbrachten.

Der ungarische Volksaufstand und die sowjetische Intervention von 1956 beeindruckten Craxi so sehr, daß er seitdem zu den „Autonomi-sten“ seiner Partei zählt, die sich gerne nachsagen lassen, daß sie vom Marxismus weg zu mitteleuropäisch-sozialdemokratischen Ufern streben. Das ist freilich in Italien, wo die Kommunisten den „demokratischen Sozialismus“ - -wenn auch mehr schlecht als recht - besetzt halten, leichter gesagt als getan.

So hat denn Craxi auch, indem er die rote Nelke über Hammer und Sichel ins Parteisymbol setzte, mehr kosmetische Korrekturen vollbracht als politische Klarheiten geschaffen. Seine Versuche, mit den Kommunisten über deren leninistische Ladenhüter zu streiten und sich „rechts“ zu profilieren, wirkten eher hilflos, ob-schon sie mit auftrumpfender Beredsamkeit vorgetragen wurden. Sein umstrittenes Ausscheren aus der Einheitsfront derer, die jedes Verhandeln mit den Entführern Aldo Moros ablehnten, hat ihn aber auch auf der extremen Linken nicht glaubwürdiger gemacht.

„Ich fürchte den Kommunismus, aber nicht die italienische KP“, erklärte er im Sommer 1976. Das ist in

Italiens Wirklichkeit gewiß weniger paradox als es klingt; widersprüchlich wurde es erst, als sich auf dem Turiner PSI-Parteitag 1978 Craxis Antikommunismus praktisch innenpolitisch darauf reduzierte, daß er Berlinguers Ziel eines historischen Kompromisses mit den Christdemokraten verwarf und statt dessen im PSI-Parteiprogramm jene „linke Alternative“ verankerte, die zwar keine Volksfront alten Stils bedeuten soll, aber auf ein Bündnis zwischen Sozialisten und Kommunisten hinausläuft.

Das Bündnis soll den „historisch notwendigen Ubergang zum Sozialismus“, zu einer Art titoistisch angehauchtem „Selbstverwaltungs-Sozialismus“ ermöglichen. Es soll das kapitalistische System ohne Diktatur und Freiheitsbegrenzung „überwinden“, wenn auch nicht zerstören.

Kann man solche Ziele - und seien sie auch noch so fern - mit irgendeiner Aussicht ansteuern, wenn man kaum ein Zehntel der Wähler hinter sich hat? Noch dazu, wenn man neben, ja gegen sich eine kommunistische Partei hat, die für ganz ähnliche Ziele ein Drittel der Wähler gewann und dennoch entschlossen ist, lieber in der Opposition zu bleiben und aufs Mitregieren mit den Christdemokraten zu warten als sich auf linke Alternativexperimente einzulassen?

Craxi ahnte die Schwierigkeit; das Wort von der „linken Alternative“ kam ihm selten oder nie von den Lippen. Spielte er, wie manche ihm unterstellten, mit dem Gedanken einer Rückkehr zur einzigen anderen Alternative, nämlich zum Bündnis mit den Christdemokraten?

Mit dem Selbstgefühl eines Taktikers, der kleine Münze in großes Kapital verwandeln möchte, ließ er absichtsvoll alles offen. Bis ihm am 3. Juni die Wähler bescheinigten, daß sich zwischen zwei Stühlen allenfalls sitzen, aber nicht lange und schon gar nicht glorreich schaukeln läßt: Statt der erhofften drei bis vier Prozent gewannen die Sozialisten nur 0,2 Prozent zu ihren kargen 9,6 hinzu. Damit läßt sich kein Staat machen -aber vielleicht eine Regierung?

Zunächst versuchte Craxi den Christdemokraten, die mit 38 Prozent die Partei der relativen Mehrheit bleiben, seine Bedingungen zu diktieren. Da ihm Andreotti, der drei Jahre lang unter dem Mantel der „nationalen Solidarität“ zu regieren verstand, nur Komplexe einflößt, ließ er dessen mühseligen Versuch einer Regierungsbildung scheitern.

Doch seine Hoffnung, das Staatsoberhaupt werde nun einen bequemeren Christdemokraten beauftragen, erfüllte sich nicht. Seit dem 9. Juli muß Craxi selbst Farbe bekennen -jetzt sind es die Christdemokraten, die Bedingungen nennen, unter denen alleine sie bereit wären, der drittgrößten Partei des Landes das Steuer zu überlassen und selbst nur noch mitzurudern;

Hart und mit jener Arroganz, die lange genossene Macht erzeugt, verkündete der Parteivorstand der De-mokrazia Cristiana am 13. Juli: Wenn ihr von Craxi in der ersten Verhandlungsrunde „die volle Anerkennung ihrer entscheidenden Rolle“ zugesagt worden sei (eine erstaunliche Konzession nach aller bisherigen Polemik), dann stehe das im „schwerwiegenden Widerspruch“ zur programmatischen Linie der sozialistischen Partei, die doch auf die „linke Alternative“ eingeschworen sei.

„Sich darauf einzulassen hieße für die Demokrazia Cristiana, sich selbst zu zerstümmeln, es hieße, aktiv an der zunehmenden Reduzierung ihrer eigenen Rolle teilzunehmen“, erklärte Parteichef Zaccagnini in der Vorstandssitzung. Darin war auch ein kritischer Seitenhieb auf manche seiner Freunde auf dem rechten Flügel enthalten, die mit einem Experiment Craxi nur deshalb liebäugeln, weil sie hoffen, sich mit Hilfe eines opportunistischen Sozialistenchefs von jeder kommunistischen Hypothek befreien zu können.

Eben weil Zaccagnini von der Ernsthaftigkeit Craxis keineswegs

überzeugt ist und auf längere Sicht Berlinguer doch für den seriöseren Partner hält, hat er die Bedingungen hochgeschraubt, ja überdreht: Nicht nur Craxi selbst, der ganze sozialistische Parteivorstand solle in einem verbindlichen Dokument die Parteilinie der „linken Alternative“ widerrufen und zum Beweis der Aufrichtigkeit alle sozialistisch-kommunistischen Bündnisse in den Kommunalverwaltungen Italiens aufkündigen.

Keine Partei könnte solche Zumutungen hinnehmen, ohne sich selbst aufzugeben. Daß Craxi gleichwohl nicht schon Anfang letzter Woche das Handtuch warf, sondern noch einmal verhandeln wollte, ließ nur zwei Schlüsse zu: Entweder nahm er die Demokrazia Cristiana nicht ernst, was reine Torheit wäre. Oder er wähnte, sie entwaffnen zu können -etwa mit der Versicherung seines Stellvertreters Signorile, „linke Alternative“ bedeute für seine sozialistische Partei nicht mehr als für eine christdemokratische das Ziel der „christlichen Gesellschaft“.

Also Ausverkauf der Ideale oder Abschied von Utopien - je nach Bedarf? Damit könnte Craxi vielleicht Regierungschef werden, doch kaum lange bleiben. Nicht nur seine eigene Partei, auch Italies labiles politisches System könnte aus solchem Kraftakt nur noch schwächer, wenn nicht gebrochener hervorgehen. „Auch mit zehn Prozent der Stimmen kann man Wunder tun“, meint Craxi. Doch zum Wundertäter fehlt es ihm an mehr als einer Dimension.

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