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Die funfte Spaltung

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Mit kühler Bestimmtheit haben die Wortführer der linkssozialistischen Dissidenz, Tullio Vecchietti und Aldo Valori, auf der im Roms Kongreßhalle einberufenen Nationalversammlung der Anhänger des linken Flügels in der Nenni-Partei die Spaltung im italienischen Sozialismus betrieben und die neue Partei konstituiert. Die Versammlung war ohne jenes menschliche Fluidum, das sonst sozialistische Veranstaltungen in Italien kennzeichnet, zum Unterschied von jenen der Kommunisten, und es fehlte die Wärme, die sonst durch die offizielle Deckfarbe hindurch spürbar wird. Die Beobachter auf der Pressetribüne haben es in ihren Zeitungen erstaunt vermerkt, und erst dann begannen sich die Redner etwas zu erwärmen. Nach dem pathetischen Abschied des Dritten im Triumvirat, Lelio Basso, von dem politischen Leben aus Gesundheitsgründen, gelangte der Saal bis zu Applaus und Ovationen. Aber sie galten dem Mann, nicht der Sache, die von der Rednertribüne herab vertreten wurde.

Mit guten Gründen haben die Exponenten der sozialistischen „Rebellen“ die Stimmung auf geringen Temperaturen gehalten. Die Versammlung bestand zwar durchgehend aus umsichtig ausgewählten Delegierten, von denen kein Widerspruch gegen die Spaltung im Sozialismus Italiens, die fünfte in seiner Geschichte, zu erwarten war. Aber das einzige, was den Entschluß noch in Gefahr bringen konnte, war das Aufkommen der Sentimentalität, die Erinnerung an die langen Jahre gemeinsamen Kampfes, gemeinsam erlebter Genugtuung und Enttäuschung, womöglich würde der eine oder andere Redner feuchte Augen bekommen und nach Einheit rufen. Das mußte vermieden werden. Die Gründung des neuen „Partito Socialista Italiano di Unitä Prole-taria“ ging demnach auch ohne psychische Komplikationen vor sich, mit nicht mehr Gefühlsaufwand, als ihn ein Notariatsakt erfordert. Melancholie und Polit

Wie eine Trennung von Tisch und Bett auseinandergelebter Eheleute ist eine Parteispaltung eine melancholische Angelegenheit. Solange es sich darum handelte, vor der Versammlung ätzende Kritik an Pietro Nenni und der Mehrheit im Partito Socialista Italiano zu üben, konnten die vielen unschönen Dinge im Hintergrund bleiben, die wie vor einem Scheidungsanwalt plötzlich zum Vorschein kommen. Aber die Kongreßhalle hatte hinter dem letzten Delegierten ihre Tore noch nicht geschlossen, als allenthalben im Lande, „an der Peripherie“, wie es im Parteijargon heißt, handstreichartig und mit wechselndem Glück der Griff nach der Parteikasse und den Parteilokalen erfolgte. Nicht immer war entscheidend, ob das Mitglied, das nominell mit der Prokura ausgestattet ist, sich zum PSIUP oder zum PSI bekennt: in Livorno zum Beispiel, wo die Dissidenten die Mehrheit haben und den Sitz des PSI in Beschlag nahmen, hat der Richter die sofortige Rückstellung an die Nenni-Partei verfügt. In Turin haben die Nenni-Sozialisten in einer ähnlichen Situation rundweg die verschiedenen, immer mehr ermäßigten Kompromißvorschläge der PSIUP-Leute abgelehnt, wahrscheinlich einer Weisung aus Rom folgend, die ein hartes Vorgehen empfahl. Sie wollten, auch als sie die Pforte des „Palazzo“ versperrt fanden, nichts von einer Teilung und von einem Zusammenwohnen wissen. Sie schickten ihren Vertrauensadvokaten zu der Telephongesellschaft und meldeten die drei Nummern kurzerhand ab. Wie die Telephonverhältnisse in Italien liegen, werden Wochen vergehen, bis die PSIUP-Besatzung wieder fernmündlich erreichbar ist.

Die sozialistische Parteidirektion hat 48 Stunden nach der vollzogenen Spaltung eine Nachtsitzung abgehalten und die Bilanz gezogen. Das Ergebnis war positiver als erwartet. Es hat sich eindeutig herausgestellt, daß die Gründung der dritten sozialistischen Partei in Italien eine Angelegenheit der Spitze und nicht der Basis ist, der Erfolg der extremistischen und jn einer starren Ideologie verhafteten Exponenten des linken Flügels am ehesten unter den Parlamentariern zu verzeichnen ist, aber sich immer dünner zeigt, je mehr man hinuntersteigt, von den Regionalausschüssen zu den Provinz- und Gemeinderäten und schließlich bis zu den Zellen in den Fabriken. Die parlamentarische Situation der Regierung Moro-Nenni wird in keiner Weise bedroht, das breite Glacis ihrer Mehrheit schützt sie vor jeder Überraschung. Von den 44 sozialistischen Senatoren sind nur 8 zu Vecchietti übergegangen und von den 87 Abgeordneten nur 25; dabei hat der linke Flügel im Senat 15 und in der Kammer 33 Vertreter gehabt, aber die übrigen wollten sich den demokratischen Spielregeln nicht entziehen und haben in loyaler Weise für die Regierung votiert, obwohl sie keineswegs den Eintritt ihrer Partei in die Regierung billigen und starke Vorbehalte gegen deren Programm haben. Dieser neue linke Flügel, als dessen Wortführer der veronesische Abgeordnete Ber-toldi auftritt, ist dabei, sich zu organisieren, einen eigenen Apparat zu schaffen und eine politische Linie zurechtzulegen. Auch er hat eine Nationalversammlung einberufen, auf der die Aufgaben der neuen Opposition umrissen werden sollen.

Pietro Nenni erblickt in der neuen Partei Vecchiettis und Valoris nicht mehr als ein vorübergehendes Element der Störung und der Verwirrung, ohne wirkliche politische Aussichten für die Zukunft. Valori hingegen behauptet, daß „Nenni jetzt eine sozialistische politische Kraft vor sich hat, die dazu bestimmt ist, immer größeren Umfang und Einfluß zu gewinnen, in dem Maße, als Nennis Unterordnung unter die Politik Moros und Sara-gats zu den logischen und unausweichlichen Konsequenzen führt. Es wird das eine Kraft sein, die sich nicht auf Polemik und unfruchtbare Kritik an der Sozialistischen Partei gründet, sondern auf ihre Fähigkeit, einen politischen Ausweg für die Arbeiter zu finden, der innerhalb der italienischen Situation über das Unternehmen Moro-Saragat-Nenni hinausgeht.“ Dabei zählt Valori nicht nur auf die eigene Partei, sondern auch auf die „katholische Linke“ und auf die acht Millionen kommunistischer Wähler.

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