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Von Neapel nadi links

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Keine vierundzwanzig Stunden nach der Auszählung der Stimmen nach dem Parteikongreß der Christlichen Demokraten in Neapel hat Ministerpräsident Amintore Fanfani dem Staatschef den Rücktritt seiner Regierung überreicht. Weiterer Zeitverlust schien ihm überflüssig, auch die Vertrauensfrage im Parlament mit nachfolgender nutzloser Debatte. Denn die „Konvergenz“ der Sozialdemokraten und Republikaner, eine Formel, mit der ein Jahr und ein halbes regiert worden war, hatte seit dem 27. Jänner zu bestehen aufgehört. Die bisherigen demokratischen Reisegenossen hatten ihre Unterstützung nur zurückgezogen — sicherlich nicht ohne Einvernehmen mit Fanfani —, um der DC den Entschluß zu ihrem großen Sprung zu erleichtern, kein Sprung ins Dunkel, aber doch über einen breiten Graben, jenseits dessen sie auch unsanft landen kann. Sie hat den Sprung gewagt, Fanfani hat das Mandat des Kongresses bekommen, jene Zusammenarbeit mit den Linkssozialisten zu suchen, die seit dem für die demokratischen Parteien des Zentrums so unglücklichen Wahlausgang des Jahres 1953 das in vielen Variationen wiederholte Leitmotiv der italienischen Innenpolitik geblieben ist.

Der erstaunliche Stimmungsumschwung

Wahrscheinlich hätte es des Ansporns der Weggefährten nicht bedurft, auch ohne Hinweis auf den eingetretenen Zustand der Notwendigkeit zu einer Entscheidung hätte der Kongreß nicht anders beschlossen. Die Annäherung an die linkssozialistische Partei ist in Neapel als überreife Frucht vom Baum der Erkenntnis gefallen, daß sich die Alternative nicht ewig aufschieben läßt. Ein Zeichen für die Notwendigkeit der Entwicklung ist der erstaunliche Stimmungsumschwung, der sich seit dem Kongreß von Florenz im Jahre 1959 vollzogen hat. Dort hatten Gegner und Befürworter der „Öffnung nach links“ mit einem Fanatismus, der keinen Pardon kannte, ihre Thesen verteidigt und vertreten; 'In Neapel hatte es Polemik und auch scharfe Kritik gegeben, aber in keinem Augenblick war die Einheit

der Partei bedroht und das Gefühl der Zusammengehörigkeit verlorengegangen. Und während eine dramatische Entscheidung zur Debatte stand, war der Kongreß von Neapel der am wenigsten bewegte. Alles verlief programmgemäß, wie vorausgesehen, der

Bericht des Parteisekretärs Aldo Moro enthielt auch nicht einen Gesichtspunkt, den er nicht schon zuvor in Zeitungsartikeln und Interviews klargelegt hätte, die Oppositoren hielten ihre Reden aus Gewissenspflicht, aber in der resignierten Erkenntnis, daß ihre Stimme nunmehr kein Gewicht mehr hatte.

Seit 1959 ist die Opposition der

„öffnungsfeindlichen“ Rechtsgruppen und Anhänger des klassischen Mittelkurses degasperianischer Prägung auf 20 Prozent zusammengeschrumpft, der jetzige Verteidigungsminister An-dreotti, Haupt der Gruppe „Primavera“, hatte in Florenz 195.500 Me-

gliederstimmen auf sich vereinigt und in Neapel nur noch 97.650. Nur Innenminister Scelba,. heute als Chef der Opposition anerkannt, hat seine Position von 71.700 auf 116.550 verbessern können. Hingegen haben, mit Ausnahme der Fanfanianer, alle Linksgruppen zugenommen, am meisten aber die Anhänger Moros, der allein an die 700.000 Mitglieder hinter sich hat und

dessen Schlußresolution dann mit 92 Prozent der Gesamtstimmen angenommen worden ist.

Moros große Stunde

Die einzige Überraschung des Kongresses ist der Aufstieg des Parteisekretärs, der auch Fanfani verdunkelt hat und der sein Prestige einer ans Wunderbare grenzenden Leistung verdankt, nämlich eine von Zerfall“ bedrohte Wählergemeinschaft zur Einheit einer wirklichen Partei zusammenzuschmieden. Der Gegensatz zwischen ihm und Fanfani könnte nicht größer sein, obwohl ihre Ideen und Gesinnungen durchaus auf einer Linie Liegen. Fanfani: ein kleingewachsener Mann von unverwüstlicher Gesundheit, mit einem merkwürdigen Talent ausgestattet, anzuecken und zum Widerspruch herauszufordern, mit dikta-torialer Bestimmtheit, von einer beinahe mystischen Religiosität. Moro: hochgewachsen, aber ohne körperliche Widerstandskraft, der schmiegsame Meridionale mit dem verschleierten, melancholischen Blick der Leute aus der Magna Graecia, mit dem niemand zu zanken vermag, weil niemand von ihm einen Satz vernimmt, der nicht auch eine Konzession an den Gesprächspartner enthielte, ein schlechter Redner ohne Feuer, aber mit Überzeugungskraft, ein Katholik liberaler Einstellungen, wie De Gasperi es war.

Moro hat sechs Stunden lang seinen Bericht verlesen. Ein Referat von Punkt und Kontrapunkt, um alle möglichen Einwendungen vorwegzunehmen, den Gegnern wenig Spielraum lassend, zugleich versöhnlich und verbindlich, so daß die Zuhörer im Teatro San Carlo am Ende in einen Applaus ausbrachen, von dem sich niemand ausschließen wollte. Das Thema der Linksschwenkung der Partei durch die Verbündung mit den Linkssozialisten schlang sich als roter Faden durch das dichte und sehr komplexe Gewebe seiner politischen Auseinandersetzung. Für ihn ist die Verbindung mit der sozialistischen Linken eine parlamentarische Notwendigkeit, weil die Kräfte im Zentrum nicht mehr ausreichen und eine Lösung auf der Rechten unannehmbar ist; für ihn ist die Allianz mit den Sozialisten aber auch die einzige Möglichkeit, gewisse fundamentale Erfordernisse des ! Landes zu realisieren. Moro sieht die Begegnung mit den Sozialisten wie eine ihm gestellte Mission, diese konstitutionell dem demokratischen Staat verschriebene, aber zum Götzendienst marxistisch-leninistischer Parolen verführte Partei in den Kreis der demokratischen Ideale zurückzuführen. Er übersieht nicht die Gefahren, die sich

bei der Operation für die DC ergeben können, und rät daher, mit aller Vorsicht ans Werk zu gehen. „Um das Problem der Wiedergewinnung der Sozialisten für das demokratische Lager zu lösen, ist die ernsteste Aufmerksamkeit und ein tiefes Verantwortungsbewußtsein notwendig, ein wacher Sinn für die Wertung der Risken, welche die Operation mit sich bringt.

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