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Fanfani kann aufatmen

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Die katholische Massenpartei Italiens, die Democrazia Cristiana, kann mit den Ergebnissen der ersten großen Testwahlen nach der vom Parteikongreß in Neapel vollzogenen Linksschwenkung zufrieden sein: die am 10. Juni in Rom, Foggia, Bari, Neapel und Pisa sowie anderen Städten stattgefundenen Gemeindewahlen, denen die Parteien unterschiedslos eine eminent politische Bedeutung beigemessen haben, lassen den Schluß zu, daß die Wählerschaft der DC die sogenannte „Linksöffnung“, die Koalitionspolitik mit den Linkssozialisten Nennis also, keineswegs verurteilt. Weder ist es zu der gefürchteten Massenabwanderung zu den Rechtsparteien gekommen, noch haben die Kommunisten aus der angeblichen „Verbürgerlichung“ ihrer langjährigen sozialistischen Weggefährten Nutzen gezogen, noch zeigten die laizistischen demokratischen Mittelparteien, Republikaner und Sozialdemokraten, die vorausgesagten Auflösungserscheinungen im Gefolge einer angeblichen Überlebtheit und Nutzlosigkeit. Das genaue Gegenteil von all dem ist eingetroffen. Die zur Urne gerufenen Wähler haben, zum erstenmal vielleicht, eine außerordentlich überlegte, leidenschaftslose Wahl getroffen und damit eine überraschende politische Reife erwiesen. In Italien galt bisher das geflügelte Wort, daß der Italiener niemals für eine Partei stimmt, sondern immer nur gegen eine andere, daß seine Stimmen Proteststimmen sind und kein Bekenntnis zu einer bestimmten Parteiideologie oder politischen Konzeption.

Daran ändert auch nichts die Tatsache, daß die Democrazia Cristiana am Wahlsonntag vom 10. Juni 196.'' im Vergleich zu den vorangegangenen Gemeindewahlen im Jahre 1960 von 33,3 auf 31,5 Prozent der Gesamtwählerschaft zurückgegangen ist. Nach einer so folgenschweren grundsätzlichen Entscheidung, wie sie die „Linksöffnung“ ohne Zweifel darstellt, ist der Verlust von 1,8 Prozent in so bescheidenen Grenzen geblieben, daß er einer Bestätigung der Kursänderung des Parteisekretärs Aldo Moro und des Regierungschefs Amin-tore Fanfani gleichkommt. Beide hatten vor dem Kongreß erklärt, sich völlis darüber klar zu sein, daß die „Linksöffnung“ mit einem „kalkulierten Risiko“ verbunden sei. Es war klar, daß in einer Massenpartei, wie sie die DC ist, wo katholische Demokraten von sehr konservativer Einstellung bis zu Sozialrevolutionären Heißspornen vereinigt sind, eine neue profiliertere Politik teilweise Unzufriedenheit hervorrufen mußte. Das

Zusammengehen mit den Sozialisten hat gewisse programmatische Lösungen zur Voraussetzung, die den einen ungestörten und unangefochtenen Besitzgenuß anstrebenden konservativen Elementen unwillkommen sein müssen. Es wird sowohl für Moro wie für Fanfani eine frohe Überraschung bedeutet haben, daß die Zahl der Unzufriedenen so gering geblieben ist. So gering, daß auch die oppositionellen Rechtsparteien der DC keine Kehrtwendung abzuverlangen wagen.

Die 1,8 Prozent abgewanderter Christiich-Demokraten dürften ausschließlich der Liberalen Partei zugeströmt sein, die seit 1960 ihren Stimmenanteil von 2,8 auf 5,7 Prozent erhöhen konnte. Daraus auf eine Stärkung des liberalen Gedankens in Italien schließen zu wollen, ist natürlich abwegig: die „Neuliberalen“ aus dem DC-Lager sind eben keine Liberalen, sondern Leute, die mit der Verstaatlichung der Elektrowirtschaft, mit der in Aussicht genommenen Planwirtschaft, mit der Schaffung autonomer Regionen und was sonst noch auf dem Programm der Regierung Fanfani stehen mag, nicht einverstanden sind. Eine fluktuierende Wählermasse, die morgen bereits wieder zurückfluten kann, wenn sich herausstellt, daß die geplanten Maßnahmen nicht zu den apokalyptischen Folgen geführt haben, die die liberalen Stoßtruppredner prophezeit haben.

Doch ist es erfreulich, daß die Liberale Partei und nicht etwa die neofaschistische „Sozialbewegung“ Nutznießer der beschränkten Unzufriedenheit in dem christlich-demokratischen Rechtsflügel geblieben ist. Der MSI hat besonders in Rom und in Bari eine überaus intensive, überwältigende, dem Einsatz unproportionierte Propaganda entfaltet, deren Kosten gigantisch gewesen sein müssen und jedenfalls nicht aus der eigenen Tasche getragen werden konnten. Trotzdem ist der Erfolg ausgeblieben, oder so minimal, daß er, mit den zu Gebote stehenden Mitteln verglichen, geradezu einer Niederlage gleichkommt. Da die Neofaschisten in vielen Gemeinden mit den großen Verlierern der Wahlen, den Monarchisten, gemeinsame Listen gebildet haben, ist es nicht ganz einfach, ihre tatsächliche Stärke festzustellen. Wo sie allein auftraten, haben die Neofaschisten von 9,7 auf 10, also um 0,3 Prozent, zugenommen; wo sie zusammen mit den Monarchisten kämpften, sind diese Listen von 2,6 auf 2,2 Prozent zurückgefallen. Da die Monarchisten mit ihren autonomen Listen von 10,6 auf 8,7 Prozent sanken, hat die äußerste Rechte in Italien um ganze 2 Prozent abgenommen, nämlich von 22,9 auf 20,9, allerdings, wie zugestanden werden mag, mehr durch Schuld der Monarchisten als der Neofaschisten.

Die Absage an den Rechtsextremismus, doppelt bemerkenswert wegen der Polemik um eine prinzipielle Entscheidung, die zur Diskussion stand, ist die eine erfreuliche Tatsache der jüngsten Gemeindewahlen; die Absage an den Linksextremismus auf der anderen Seite ist eine weitere. Die Kommunisten, diesmal völlig isoliert, haben während der Wahlkampagne ihre Pfeile hauptsächlich gegen die Linkssozialisten Nennis gerichtet und sie in jeder Hinsicht anzuschwärzen versucht, allerdings mit kümmerlichem

Erfolg. Die kommunistischen Ein-bussen drücken sich in den Prozentziffern 23,8 und 22,9 aus. Nach Jahren langsamen, aber steten Vorrückens ist dieser erste Rückschritt ein hoffnungsvolles Anzeichen. Der Parteiboß, Palmiro Togliatti, hat die Wahlen als „sehr schwierig“ bezeichnet und den Abfall auf gewisse gemäßigte Tendenzen in der Arbeiterschaft zurückgeführt, die für die KP Italiens gefährlich seien. Er dachte wahrscheinlich an die Auswirkungen des wirtschaftlichen Aufstiegs, der in zunehmendem Maße auch die bisherigen Besitzlosen in die Bürgerlichkeit führt. Wie folgerichtig die italienische Wählerschaft die „Linksöffnung“ und die gesamte Aktualität des politischen Augenblicks beurteilt hat, geht daraus hervor, daß die beiden Sozialismen als Gewinner aus den Wahlen hervorgingen; Nenni hat sich durch die Zunahme von 11,4 auf 11,7 Prozent bestätigt, Saragat aber hat durch den Sprung von 3,3 auf 5 Prozent für die Demokratie, für die „Linksöffnung“ und indirekt damit auch für Moro und Fanfani den schönsten Sieg erfochten.

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