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Italien: Craxi als Wunder arzt

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Seit Bettino Craxi am 21. Juli von Staatspräsident Sandro Pertini mit der Bildung einer Regierung beauftragt wurde, steht der Chef der italienischen Sozialisten (PSI) vor einer Aufgabe, an die sich vorsichtige Balancekünstler erst gar nicht gewagt hätten: nämlich dem krisengeschüttelten Land gleichzeitig politische Stabilität und wirtschaftliche Sanierung zu bescheren.

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Seit Bettino Craxi am 21. Juli von Staatspräsident Sandro Pertini mit der Bildung einer Regierung beauftragt wurde, steht der Chef der italienischen Sozialisten (PSI) vor einer Aufgabe, an die sich vorsichtige Balancekünstler erst gar nicht gewagt hätten: nämlich dem krisengeschüttelten Land gleichzeitig politische Stabilität und wirtschaftliche Sanierung zu bescheren.

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Zustandebringen will dies Craxi mit Hilfe der geschwächten, ge- demütigten, aber immer noch relativ stärksten Partei der Christdemokraten und gegen die Opposition der Kommunisten, die sich nun fast dreimal so stark wie Cra- xis Sozialisten — allein noch als „linke Alternative“ anbieten können.

Oder geht es Craxi vor allem um eine „historische Wende“, einen Machtwechsel? Etwas von solcher Stimmung umgibt seinen neuen Auftritt auf einer an alte Spiele gewohnten politischen Bühne: Er ist der erste sozialistische Re-

gierungschef Italiens und kann allein dadurch die mythischen Erwartungen einer lange frustrierten Linken beleben.

Dazu kommt der allenthalben wachsende Überdruß an Regierungskrisen, bei denen sich laut Lampedusa immer nur alles ändert, um zu bleiben wie es ist.

Bettino Craxi möchte seit langem diese grimmige Logik auf die gleiche Art durchbrechen, mit der er seit 1976 seine alt-marxistische Partei zu einer reformistischen glattzubügeln begann — ohne ihr freilich je großen Erfolg bei den Wählern zu verschaffen. Das mag an der italienischen Vorliebe für jenen „trpsformismo“ liegen, der verschwommene, vernebelte politische Wünsche einer hundertprozentigen, oft harten Klarheit vorzieht.

Als Taktiker weiß sich Craxi zwar in solchem Gelände zu bewegen, ohne sich festzulegen. Er sei „ein Demokrat für alle Jahreszeiten“, so bekannte er einmal. Als Stratege jedoch faßt er sein

Ziel direkt ins Auge und marschiert darauf zu, ohne mit der Wimper zu zucken, über bedenkenswerte Hindernisse ebenso wie über ideologische Leichen hinweg.

Der 1934 in Mailand geborene Craxi entstammt einer, wie er selber meint, deutschstämmigen, wahrscheinlich aber, wie der Name verrät, aus Albanien nach Süditalien eingewanderten Familie. Ein Jurastudium brach er ab; ein Ehrendoktorat für politische Wissenschaften, so gesteht er, würde ihm schmeicheln.

Er sagt: „Meine wirkliche Universität war die Partei.“ Sie hatte sich 1976 der Führung des damals 42jährigen nur als „Übergang“ verschrieben, um nach mißglückten Volksfrontversuchen der fünfziger Jahre (mit den Kommunisten) und ebenso glücklosen sechziger Jahren der „linken Mitte“ (mit den Christdemokraten) aus der Sackgasse zu kommen. Craxi gab ihr in wenigen Jahren etwas von dem Selbstbewußtsein, das er mehr als genug besitzt.

Dazu gehörte vor allem, sich von den Kommunisten eindeutig nach rechts abzusetzen — wobei es Craxis Pech war, daß die KPI zur gleichen Zeit ihren langen Marsch nach rechts beschleunigte und Kompromisse nicht mit ihm, sondern mit den Christdemokraten schloß. Während die Kommunisten von Lenin, jä Marx abzurük- ken begannen, holte Craxi 1978 gegen sie den vergessenen Frühsozialisten Proudhon (1809—1865) aus dem Museum und rannte mit dessen Thesen gegen den totalitären Staatssozialismus nahezu offene Türen ein.

Alles Ellbogen- und Muskelspiel hat Craxi nicht seinem Fernziel einer „großen Partei der westeuropäischen Sozialdemokratie“, wohl aber jetzt den Sessel des Regierungschefs gebracht. In den sieben Jahren unter Craxis Führung haben sich die sozialistischen Stitnmen nur von 9,6 auf 11,4 Prozent vermehrt.

Erst die Schwäche der beiden großen Parteien ließ Craxis Leichtgewicht zur entscheidenden dritten Kraft werden. So konnte er auch die sechs Regierungskrisen der letzten vier Jahre auslösen und dann vorzeitige Wahlen erzwingen. Und all dies im Namen der notwendigen „Re- gierbarkeit“ Italiens, die gerade er immer wieder in Frage stellte.

Wird Bettino Craxi nun die einzige Neuheit in einer wiederhergestellten Fünf-Parteien-Koali- tion sein? Er und mehr noch seine von den plötzlich eröffneten politischen Chancen faszinierten Genossen spüren, daß die „Neuheit“ ihres Auftritts nicht genügt, daß sie dem Land ein Programm präsentieren müßten, das die Probleme anpackt. „Italiens Übel sind heilbar“, sagt Craxi. Doch als Chefarzt am Krankenbett hat er es nicht nur mit einem schwierigen Patienten, sondern auch mit „Assistenten“ zu tun, die sich über die Rezepte schwerlich einigen können.

Für eine „Dritte Kraft“, die zu keinem Kraftakt reicht, liegt die Versuchung nahe, allen scheinbar nachzugeben: Die Reallöhne der Arbeiter und die Gewinne der Unternehmer einzufrieren, das Wachstum zu fördern und die Ausgaben zu begrenzen, die Inflation zu drosseln und die Deflation zu vermeiden, Staatsdefizit zu bekämpfen, ohne Arbeitszeit zu verkürzen.

Da gibt es sogar die Idee eines „nationalen Solidaritätsfonds“, der aus Aktien von Staatsbetrieben entstehen soll. Man spricht von Mitbestimmung und Miteigentum — bislang Fremdworte in Italiens Sozialpolitik. Die Plänemacher lassen ihrer Phantasie den Spielraum, der ihren Entscheidungen fehlt.

Während Craxi sich gleichwohl durch Gespräche mit allen Parteien und Sozialpartnern Wege zur Regierungsbildung ebnete, hat ihm der Unternehmerverband der privaten Metallindustrie bereits einen Prügel vor die Beine geworfen: Die Industriellen verweigerten rundweg die Unterschrift unter einen Tarifvertrag, für den der christdemokratische Arbeitsminister mit äußerster Mühe gerade erst die Gewerkschaft gewonnen hatte.

Es ist das Vorzeichen eines heißen Herbstes, in dem sich ein sozialistischer Regierungschef nicht nur als unparteiischer Vermittler betätigen darf, falls er nicht sein linkes Image riskieren und jede Hoffnung verlieren will, die kommunistische Opposition zu entwaffnen.

Immerhin ließ die größte kommunistisch geführte Gewerkschaft CGL durch ihren Vorsitzenden Lama dem Sozialisten Craxi einen Vertrauensvorschuß signalisieren, während KP-Chef Berlinguer aus seiner Skepsis, ja Voreingenommenheit gegenüber dem Kandidaten keinen Hehl macht.

Dies auch, weil Craxi seit langem ohne Einschränkungen am NATO-Doppelbeschluß festhält und nichts gegen die geplante Ra- keten-Stationierung in Sizilien zu haben scheint.

Noch hat Italiens Demokratie Alternativen auch zu Craxi. Und sei es nur, weil sich manche Christdemokraten schon drauf freuen, den Sozialistenchef ebenso scheitern zu lassen wie er es oft genug ihren Regierungen angetan hat. Craxi selber ahnt, daß man ihn allenfalls die heißesten Kastanien aus dem Feuer holen oder ihn dabei die Finger verbrennen läßt.

In einem Interview erinnerte er sich: „Ministerpräsidenten regieren in Italien durchschnittlich ein Jahr…“

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