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Ohne Craxi geht nichts

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Wären wir letzten Herbst zu den Urnen gegangen“, argwöhnt der italienische Sozialisten-Vorsitzende Bettino Craxi, „hätten wir mehr Stitnmen als jetzt bekommen. Gehen wir erst im Herbst, werden es weniger sein“.

Meinungsumfragen scheinen dies zu bestätigen: Die Popularität der Partei, die trotz ihrer knapp zehn Prozent Wählerstimmen (Wahlen 1979) die alles entscheidende Kraft der italienischen Innenpolitik zu sein scheint, hatte sich im politischen Tagwerk etwas erschöpft. Die Beteiligung sozialistischer Politiker am Korruptionsskandal in Turin, die Mitarbeit führender Parteifunktionäre an der dubiosen und verbotenen Freimaurerloge „Propaganda 2“ und diverse Beispiele einer unbekümmerten Machtpolitik ließen im Laufe des vergangenen Jahres den vermuteten PSI- Wähleranteil von 17 auf 12 Prozent schrumpfen.

Vor zwei Wochen war es schließlich soweit: Die PSI entzog der Regierungskoalition des christdemokratischen Premiers Amintore Fanfani die Unterstützung. Die ursprünglich für Herbst vorgesehenen Parlamentswahlen sollen, so Craxi, gemeinsam mit den Provinz-, Regional- und Lokalwahlen schon im Juni abgehalten werden.

Von dieser Zusammenlegung erhofft sich die PSI-Führung zusätzliche Impulse zur Erreichung ihres Zieles: erstmals in der Nachkriegsgeschichte Italiens den Premierminister zu stellen. Sein Name stünde bereits fest: Bettino Craxi.

Bei 12 Prozent der Wählerstimmen (Regionalwahlen 1980) sicherte sich die PSI mittels geschickter Koalitionspolitik einen überverhältnismäßig hohen Anteil an öffentlichen Ämtern (31 Prozent der Provinzpräsidenten, 30 Prozent der Regionspräsidenten und 17 Prozent der Bürgermeister), entsprechenden Einfluß und verbreitete Wertschätzung ihrer Lokalpolitik.

Ein günstiger Einfluß auf die Parlamentswahlen ist also durchaus denkbar. „Wir gehen zur Wahl“, schlußfolgert Marco Pan- nella, Vorsitzender der Radikalen Partei und enfant terrible der italienischen Polit-Szene, „um Craxi ein oder zwei Prozentpunkte zu schenken … Letztlich wird sich gar nichts ändern“.

Die sechste Regierungskrise der achten italienischen Legislaturperiode kam vielleicht plötzlich, unerwartet kam sie keineswegs: Bereits während der Koalitionsgespräche, Ende 1982, hatte Craxi den Ubergangscharakter der geplanten Zusammenarbeit mit

Christdemokraten, Liberalen und Sozialdemokraten betont.

Vorrangige wirtschaftspolitische Maßnahmen, so hieß es damals, sollten gemeinsam ergriffen werden. Danach sei mit einer Prolongierung des „Regierbarkeits- paktes“ („patto della governabi- litä“) nicht zu rechnen.

Schon der Versuch, 9 Prozent Arbeitslose, 16 Prozent Inflation und die exorbitant steigende Staatsverschuldung wirtschaftspolitisch in den Griff zu bekommen, gab der Unvereinbarkeit der Wirtschaftsprogramme der Koalitionspartner — die bereits zum vorzeitigen Ende von drei der fünf vorangegangenen Regierungen geführt hatte — erneut Konturen.

Wieder ließ sich zwischen der monetaristischen und angebotsökonomischen Ausrichtung der Democristiani und dem dirigistischen, an gezielter Ausgabenpolitik orientiertem Credo der Sozialisten kein Konsens finden, der damals wie künftighin die wirtschaftspolitische Entscheidungsfähigkeit der italienischen Regierung garantiert hätte.

Mit welchem Programm also wird sich die PSI im Juni präsentieren, mit welchen Koalitionspartnern gedenkt sie es zu verwirklichen? Zentrale Fragen, angesichts der Schlüsselstellung, die die Partei bei den prognostizierten Wahlergebnissen einnehmen wird.

Den Luxus des Nicht-Antwortens kann sich Craxi leisten — ohne ihn dürfte derzeit gar nichts gehen. Bei jeder der drei denkbaren Regierungsvarianten sind er und seine Partei der zentrale Faktor:

• Das Bündnis mitden Democristiani wird verlängert; Republikaner, Sozialdemokraten und Liberale unterstützen das Bündnis. Craxi würde dabei der Posten des Ministerpräsidenten zugestanden werden. Innerhalb der DC wird diese Lösung derzeit vom Parteiflügel um Ex-Ministerpräsident Forlani und Donat-Cattin favorisiert.

• Der Annäherungsprozeß zwischen Sozialisten und Kommunisten,der im März auf dem 16. KPI- Parteitag unter der Chiffre „Demokratische Alternative“ (zur DC) eingeleitet wurde, führt zu einer Koalition, die von Sozialdemokraten und Republikanern unterstützt wird. Craxi als Ministerpräsident würde die außenpolitische Unabhängigkeit und innenpolitisch das Bekenntnis zu demokratischen Verkehrsformen demonstrieren.

Doch PSI-Vizesekretär fylartel- li lehnt dieses Ansinnen derzeit schlankweg ab: „Solange die Stellung der KPI zur internationalen Lage, zum Frieden wie zu Fragen der Sicherheitspolitik sich nicht ändert, fehlen die prinzipiellen Prämissen für ein gemeinsames Programm“.

• Der „laizistische Pol“, Sozialisten, Sozialdemokraten, Liberale und Republikaner mithin, bilden eine Minderheitsregierung, die durch die parlamentarische Unterstützung der Kommunisten mehrheitsfähig würde. Als größte laizistische Partei (Parteien, die — anders als Democristiani und Kommunisten — keinem geschlossenen Wertsystem, keiner „Religion“ verpflichtet sind) stellt die PSI den Ministerpräsidenten.

Die KPI sähe hierin einen realisierbaren ersten Schritt in Richtung „Demokratische Alternative“, somit gleichzeitig einen Schritt aus der innenpolitischen Isolation.

Ohne die bündnispolitische Bereitschaft der Sozialisten dürfte keiner der drei Pole der italienischen Innenpolitik — Katholiken, Kommunisten und Laizisten — mehrheits- und regierungsfähig werden. Und der versierte Mac- chiavellist Craxi will sich alle Wege offenhalten und hüllt sich in gedankenvolle Verschwiegenheit — bis nach der Wahl.

„Craxis Methode“, resümmiert der Christdemokrat D’Onofrio, „sich die Lagerwahl für nach den Wahlen aufzuheben, ist pure Arroganz. Denn sie verhindert, daß der Wähler wirklich wählen kann. Gleichzeitig ist sie ein Zeichen von Schwäche, weil er es nicht wagt, sich eindeutig festzulegen“.

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