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Parteien kommen und gehen

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Unverkennbar haben sich die wirtschaftlichen Verhältnisse in den Niederlanden in letzter Zeit gebessert. Man hat wieder mehr Vertrauen in die Krisenfestigkeit des Landes.

Das ist das Verdienst eines Mannes, der nicht einmal ein Politiker sein will und gewiß nicht der volkstümlichste im Lande. Trotzdem wurde er beides: Politiker und populär. Wir sprechen von Professor Jelle Zijlstra, dem Kapitän, der das gestrandete Staatsschiff fürs erste wieder flottgemacht hat.

Diese Leistung muß um so höher eingeschätzt werden, als sich der politisch-wirtschaftliche Horizont überraschend in besorgniserregender Weise verdunkelt hatte. Das war übrigens nicht nur hierzulande der Fall. Die Arbeitslosigkeit nahm auch anderswo zu, und Betriebssperrungen beunruhigten die Arbeiter und Angestellten. Ein Vergleich mit den dreißiger Jahren schien nicht abwegig. Astronomische Zahlen brachte das Haushaltsdefizit zum Vorschein. Die Volksvertretung war unzufrieden und forderte eine strenge Haushaltsführung durch Senkung der Staatsausgaben.

Als sichtbare Resultate ausblieben, wurde die schwarz-rote, oder wie man hier sagt, römisch-rote Regierung im vergangenen Oktober kurzentschlossen gestürzt. Da betrat, ein wenig widerwillig, der bereits erwähnte Finanzverständige bedeutenden Formats die politische Bühne. Während die Wähler in dem politischen Irrgarten nicht mehr ein noch aus wußten, gelang es ihm, die Gemüter durch einige weise Maßnahmen zu beruhigen. Daß die Partei, zu der sich dieser Mann bekannte, in den Wahlen sehr gut abschnitt (es handelt sich um die antirevolutionäre calvinistische Partei) kann unter diesen Umständen kaum noch wundernehmen.

Das war aber auch nahezu das einzige Wahlergebnis, das den Erwartungen entsprach. Wenn wir den Erfolg der Demokraten 66 einen Augenblick außer acht lassen — wir kommen darauf noch zurück —, scheint das Wahlresultat mehr das eines Lottos als das einer wohlüberlegten Entscheidung. Dennoch war dieser Wahlkampf lebhaft und modern geführt worden. Das Fernsehen gestattete' den führenden Politikern sozusagen den Eintritt in jede Stube. Die Spitzenkandidaten bekämpften einander angesichts der Gespaltenheit der Wählerschaft heftigst und überboten sich in der

Anpreisung ihres Programms. Der Erfolg war bescheiden, und das Unvermeidliche geschah. Beide Regierungsparteien verloren: Das gewagte Manöver der Katholiken, die in der berüchtigten Nacht von Schmelzer die Regierung zu Fall brachten und der Starrsinn der Sozialisten hatten ihre Früchte getragen. Unbegreiflich erscheint in dieser Sicht dann wieder der geringe Gewinn der Liberalen, die sich von ihrer oppositionellen Haltung einen bedeutenden Sieg versprochen hatten.

Das Verlangen nach Entkonfessionalisierung der Politik hat viele Katholiken bei der Wahl beeinflußt Die Auseinandersetzungen über dieses Problem erreichten kurz vor den Wahlen einen Höhepunkt, als der neue Bischof von Herzogenbusch, der Nachfolger des sehr populären Bischofs Bekkers, erklärte, daß die konfessionelle Parteibildung, einstens aus der historischen Isoliertheit der Katholiken entstanden, heute, da diese Isolierung durchbrochen sei, ihren Sinn verloren habe. Es stehe somit jedem Katholiken frei, die Partei zu wählen, die er für die beste halte. Diese Erklärung, in letzter Stunde vor der Entscheidung abgegeben, erregte viele Gemüter. Die schärfste Erwiderung kam von einem jungen katholischen Politiker, der mit Anspielungen auf seine Haltung ganz im Sinne des verehrten und betrauerten Bekkers dem Bischof entgegnete. Die Parteiführung beeilte sich, den Schaden auf ein Mindestmaß zu beschränken, fügte aber auch hinzu, die Erklärung sei überflüssig und in diesem Augenblick nicht taktvoll gewesen. Die Absicht des Bischofs aber könne es natürlich nicht gewesen sein, der katholischen Partei Schwierigkeiten zu bereiten. Nicht unerwartet dagegen kam der glückliche Start einer neuen, sympathischen, intelligenten Partei, die Partei, die kam, sah und siegte: die der Demokraten 66. Sie brachte es fertig, gleich mit sieben Vertretern ins Parlament einzuziehen. Die Demokraten werden ausschließlich von jugendlichen Politikern angeführt. Eine Untersuchung hat ergeben, daß ein Drittel ihres Anhangs Katholiken und ein anderes Drittel Unkirchliche sind. Die Führung folgert hieraus einen Erfolg der Entkonfessionalisierung ihrer Politik.

Zu den Rätseln dieser Wahl gehört schließlich auch, daß die Pazifisten statt des erwarteten Gewinnes einen leichten Verlust zu verzeichnen hatten. Diese PSP ist doch eine der wenigen Parteien mit einer deutlichen Einstellung zu der wichtigen Frage Friede — Krieg.

Alles in allem: Es war ein lebhafter Wahlkampf, bei dem die Demokratie nur gewonnen haben kann. Allerdings dürfte eine liberale Politikerin mit der Behauptung recht behalten, die ' Regierungsbildung würde die schwerste dieses Jahrhunderts werden. Zum erstenmal bilden die drei christlichen Parteien nicht mehr die absolute Mehrheit im Parlament. Da die Sozialisten in den letzten Monaten eine erfolg- und fruchtlose Opposition führten, geht von ihnen als Partner wenig Anreiz aus. So liegt eine Verschiebung nach rechts auf der Hand.

Zusammenfassend stellen wir fest: Die alten Parteien zeigen alle Symptome einer ernsten Altersschwäche. Die sozialistische Partei der Arbeit hat sowohl als Oppositionspartei wie auch als Regierungspartner viele Anhänger verloren. Die katholische Volkspartei wird sogar von promir nenten Katholiken in der heutigen Gestalt als erneuerungsbedürftig angesehen. Den alten Reim abwandelnd, kann man sagen: Die Parteien gehen, die Demokratie bleibt bestehen. Junge Politiker werden die offenen Stellen besetzen. Die neuen Demokraten 66, die noch kaum Regierungsverantwortung übernehmen werden, können nichtsdestoweniger die Schrittmacher einer modernen demokratischen Politik sein und somit den Weg zeigen, der aus dem verwirrenden Chaos einer erstarrten politischen Praxis herausführt.

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