Quo vadis Aldo Moro?

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Die Diaspora der italienischen Christdemokratie - vor und nach den italienischen Wahlen.

Scheinbar abseits der vor wenigen Wochen geschlagenen Wahlen gedenkt Italien heuer auch eines anderen Themas: Obwohl 30 Jahre zurückliegend, polarisiert es nach wie vor: mit einer Person als Symbol, einer Tat als Fanal und zahllosen Fragen, die immer noch einer Antwort harren und Politiker der Gegenwart betreffen. 1978 war Aldo Moro, der ehemalige Ministerpräsident und Vorsitzende der Democrazia Cristiana (DC), nach Entführung und rund 50 Tage dauerndem Gefängnis von den Roten Brigaden ermordet worden.

Dabei ging es weniger um den von den Brigate Rosse konstruierten Bezug zum Erbe von 1968. Vielmehr wollten die Linksextremen jenen Mann tödlich treffen, der wie kein anderer in seiner Bewegung - worin er, für Freund und Feind ausschlaggebend, dem Flügel der Democrazia Cristiana Sinistra angehörte - für den Historischen Kompromiss zwischen Christdemokratie und Kommunismus gestanden war. Das suchten bewaffnete Fanatiker weit links der Mitte zu verhindern! Hatten sie duldende Verbündete weit rechts davon?

Hehre Theorie, …

In der Tat bildete der Mord an Moro, dem intellektuellen und sensiblen Universitätsprofessor, den Schluss der Annäherung zwischen den Lagern der historischen Regierungs- und Oppositionsparteien. Enrico Berlinguer, Aldo Moros Pendant als Vorsitzender des Partito Comunista, starb wenige Jahre später. Sich von ihrer hehren Theorie ab- und ihrer dumpfen Praxis zuwendend, unterstützte die DC in den 1980er Jahren das korrupte System des Sozialisten Bettino Craxi.

Langsam aus dem Schatten kommend, machte sich schließlich Craxis Freund Silvio Berlusconi umsichtig bereit, in die Politik zu gehen: weniger aus Lust an Inhalten denn an Geld, Macht und Ruhm. "Moriate democristiani" (Sterbt Christdemokraten), war sein - bald nicht mehr inoffizielles - Motto. Tatsächlich brach mit dem Aufdecken der Korruption zu Beginn der 1990er Jahre (Mani Pulite) nicht nur die Democrazia Cristiana zusammen, sondern auch die von ihr durchwegs dominierte so genannte Prima Repubblica.

Auch Craxi war gescheitert, nicht aber Berlusconi. Italiens apostrophierte Zweite Republik trägt seine und seines Widersachers Züge, des aus der Schule Aldo Moros kommenden linken Christdemokraten Romano Prodi. Was Moro gehabt hatte, nämlich Charisma, fehlte jedoch seinem Schüler. Seriosität gilt wenig in der medialen Demokratie von heute. Gegen Berlusconi hatte Prodi kaum Chancen.

… dumpfe Praxis

Sein Vermächtnis bleibt ein anderes: nicht das des Ministerpräsidenten, sondern jenes eines fragwürdigen Vollenders des Historischen Kompromisses seines Lehrers in Form des Partito Democratico. Denn darin finden sich eben nicht nur zu Sozialdemokraten mutierte Postkommunisten, sondern auch sozialliberale Christdemokraten. Formal haben beide Flügel der neuen Demokratischen Partei gleiche Rechte. Wie stark Prodis Erben (Dario Franceschini etc.) darin aber wirklich sind, wird die Zukunft weisen. Der mögliche Beitritt des ganzen Partito Democratico zur SPE-Fraktion im Europäischen Parlament wäre jedenfalls ein falsches Signal, denn dort sitzen nicht nur moderne Sozialliberale, sondern auch biedere Sozialisten.

Eben darauf setzte im Wahlkampf der Agnostiker Berlusconi, wenn er posaunte, nicht die Demokratische Partei, sondern sein Popolo della Libertà sei die wahre Heimat der politisch engagierten Christen. Sein Lugen nach rechts freilich - er holte auch Mussolini-Enkelin Alessandra an Bord - verschreckte seinen ehemaligen Partner, den Chef der zentristischen Christdemokraten Pierferdinando Casini. Effekt: Dessen Partei schied aus Berlusconis Bündnis aus und taumelt nun in der einsamen Mitte zwischen dem Centro/Destra und dem Centro/Sinistra.

Berlusconis Sieg war weit sicherer, als es die Meinungsumfragen in den drei letzten Wochen vor der Wahl vorhergesagt hatten. Im Gegensatz zu Prodi hält sein Block die Mehrheit in beiden Kammern. Dieser Tage erhält er in den beiden Parlamentskammern die Bestätigung als neuer alter Ministerpräsident. Alles in allem aber, so die vox populi im Frühling der Ewigen Stadt, werde sich nichts ändern. Denn alle "leader politici" waren schon einmal da. Auch Berlusconi & Co. seien nichts anderes als alter Wein in neuen Schläuchen.

Auch eine Verklärung setzt ein: Nicht nur im Gespräch in römischen Bars und Restaurants, mit Taxi-Fahrern oder Hotel-Portiers, mit Journalisten und Wissenschaftern wird der Ruf nach den guten alten Zeiten laut. Die Democrazia Cristiana, ja das sei doch eine Partei gewesen, und Aldo Moro, ihr aktueller Märtyrer, eine Person mit Anstand. Um der Wahrheit Genüge zu tun: Leider war auch Moro ein Kind des Systems, aller Intellektualität und Sensibilität zum Trotz, und seine Partei das beste Beispiel in Europa, dass Programm nicht immer Realität wird, auch wenn der Name genial ist und bleibt.

Berlusconi - Moro

Im Gegensatz zu den meisten anderen Politikern der neuen alten Führung sowie der Opposition glänzte Berlusconi bei der Kranzniederlegung an jener Stelle, wo man Moros Leiche im Kofferraum eines Autos aufgefunden hatte, vor rund einer Woche demonstrativ mit Abwesenheit. Was Moro nämlich von Berlusconi unterscheidet, waren seine Skrupel im Umgang mit Ruhm, Macht und Geld. Während sich Berlusconi, vom aktuellen Triumph gestärkt, als bester Erbe der alten Democrazia Cristiana geriert, in Wirklichkeit aber nichts anderes will, als die Stimmen von deren früheren Wählern zu inhalieren, hatte Moro noch das Ideal einer besseren Welt vor Augen. Zu dessen Umsetzung war er zu Kompromissen bereit. Auch zu historischen - mit einem Kommunismus des menschlichen Antlitzes, was ihm Berlinguer vorsichtig zu garantieren schien.

Kompromiss mit Rechts

Einen historischen Kompromiss anderer Richtung verkörpert nun der große "Cavaliere (del lavoro; Arbeitgeber)". Mit Gianfranco Fini hat Silvio Berlusconi nicht nur einen Postfaschisten zum Parlamentspräsidenten gemacht, sondern dessen Partei gleichzeitig auch in seinen Block integriert. Was der Senso Comune von Alcide de Gasperis und Aldo Moros Erster Republik gewesen war, nämlich die Ausgrenzung der Neofaschisten, ist inzwischen erodiert. Nach dem Übergangsszenario der Zweiten spricht man schon, stets faktisch wertend, von einer Dritten Republik. Die alten Dirigenti der Democrazia Cristiana, von De Gasperi über Fanfani und Moro bis De Mita, hätten diesen Schritt niemals gesetzt. Ihre drei Jahrzehnte nach Moros Tod in alle Richtungen versprengten Nachfolger haben aber, links wie rechts, nicht mehr den Moro eigenen Elan und Esprit, um zu verhindern, was hätte vermieden werden müssen.

Zu weit fortgeschritten ist heutzutage die Diaspora der italienischen Christdemokratie, als dass sie wieder wird, was sie zumindest programmatisch in Potenzial und Tendenz einst gewesen ist und erstrebt hat. Ob die EVP, die sich zumindest nominell als "christdemokratisch" bezeichnet, das Banner neu tragen und damit mittelfristig nicht nur Europa generell, sondern auch Italien speziell günstig beeinflussen wird?

Der Autor arbeitet wissenschaftlich und künstlerisch. Im Herbst gibt er gemeinsam mit Christian Mertens, Christoph Neumayer und Michael Spindelegger das Buch "Stromabwärts: In Mäandern zur Mündung - Christdemokratie als kreatives Projekt" als Folgeband zu "Stromaufwärts - Christdemokratie in der Postmoderne des 21. Jahrhunderts", beide Böhlau, heraus.

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