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Kunstgriffe für Andreotti

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Die italienische Politik ist für Uneingeweihte ein Labyrinth und für eine ausländische Leserschaft beinahe ein hoffnungsloser Fall, weil man in Italien noch weniger als anderswo weiß, ob die Erklärung eines Prominenten wörtlich zu verstehen ist oder nur einen taktischen Kunstgriff darstellt, um den Gegner für sich zu gewinnen. Das Musterbeispiel einer solchen zweideutigen Erklärung bietet Bignardis Absage an die Adresse der Linkssozialisten im jetzt tagenden dreizehnten Kongreß der Liberalen Partei Italiens. Der neue Generalsekretär sprach sich zum Erstaunen der 600 Delegierten gegen eine Regierungskoalition auch mit den Nenni-Sozialisten aus, nachdem monatelang diese Zusammenarbeit mit der großen Linkspartei zu den stillen Hoffnungen der kleinen Rechtsmitte-Partei gehört hatte. Der kritische Beobachter muß sich fragen: Kehrt Bignardi mit seiner Partei den Linkssozialisten tatsächlich den Rücken oder gilt dieses Nein nicht vielmehr den Christdemokraten, die seit Monaten nach links schielen, um die Linkssozialisten einmal mehr zu einer Regierungskoalition zu gewinnen und um, unter den Druck ihrer eigenen Linkskatholiken, dem liberalen Koalitionspartner den Abschied geben zu können?

Als Giulio Andreotti im Juni 1972 mit Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen sein zweites Kabinett bildete, geschah das mit sehr gemischten Gefühlen. Diese Zentrumsregierung verfügte in der Kammer über eine bescheidene und im Senat lediglich über eine winzige Mehrheit. Die Liberalen aber zählten zu den eigentlichen Verlierern der Parlamentswahlen vom 7. Mai.

Wenn sich Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberale dennoch zusammenspannten, so war dies offensichtlich das Ergebnis der vor dem Urnengang eingegangenen Verpflichtungen. Die Vertreter der Democrazia Cristiana wußten, daß es nicht angeht, einen Wahlkampf im Zeichen eines gemäßigten Zentrumskurses zu führen und auf diese Weise den Großteil des Bürgertums für sich zu gewinnen, anderseits aber den Liberalen, die eherner Bestandteil eines solchen Regierungs-kurses sind, den Abschied zu geben. Leones Wahl zum Staatspräsidenten war nicht zuletzt der liberalen Unterstützung zu verdanken.

Nach Auszählung der Stimmen unterbreitete Republikanerführer La Malfa den Vorschlag einer Koalition sämtlicher auf dem Boden der parlamentarischen Demokratie stehenden Parteien. Diese fünf Parteien würden über eine große parlamentarische Mehrheit verfügen, die eine seit zwanzig Jahren nicht mehr erreichte politische Stabilität garantieren könnte. Daß unter solchen Vorzeichen die Wirtschaftskrise eher überwunden, die Strukturreformen besser durchgeführt und der organisierte und individuelle Terror wirkungsvoller bekämpft werden könnte, dürfte sich von selbst verstehen.

La Malfas Vorschlag fand ein günstiges Echo bei allen nicht linksstehenden Christdemokraten, bei den meisten Sozialdemokraten und bei sozusagen allen Liberalen, wurde aber im linkssozialistischen Parteikongreß Anfang November durch Mancini und De Martino begraben. Im Bewußtsein ihrer Stärke drangen die Linkssozialisten auf eine Zusammenarbeit links von der Mitte, ohne die Liberalen.

Erlitt also la Malfas Vorschlag im linkssozialistischen Parteikongreß eine Niederlage, so war es jetzt der Liberalenführer Bignardi, der ihm den Todesstoß versetzte — falls seine Absage wirklich wörtlich genommen werden darf und nicht ein bloßes Manöver darstellt, um Andreottis Regierung zu retten, solange sie noch gerettet werden kann. Kommt sie dennoch zu Fall, und hat der taktische Vorstoß nichts genützt, so müssen unter Umständen die Weichen neu gestellt werden. Dann sieht sich Bignardi als guter Italiener vielleicht genötigt, auf seine Erklärung zurückzukommen — falls sich ein Prominenter überhaupt noch an sie erinnert.

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