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Die Abspaltung Norditaliens: Nur eine harmlose Provokation?

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Mit großem Interesse und einer gewissen Spannung wartet man in Italien auf den 15. September: Dem Po-Fluß entlang organisiert die „Lega Nord", in Oberitalien die stärkste Partei mit zirka 30 Prozent der Wählerstimmen, eine große Kundgebung, um die „Republik padanien" auszurufen. Ks handelt sich dabei um eine eher symbolische Initiative der sezessionistischen Bewegung von Umberto Bossi, sie wird aber diesmal - zum ersten Mal -von der Regierung und den politischen Kräften des Landes ziemlich ernst genommen, auch weil ein enormer Zulauf erwartet wird.

Es ist noch nicht absehbar, welche Folgen diese Eskalation mit sich bringen wird, denn die Konfrontation zwischen der Lega und dem politischen Establishment, die bis vor kurzem noch auf einer rein politischen Ebene ausgetragen wurde, hat sich in den letzten Monaten sehr verschärft. Mit der Gründung und Ausbildung eines uniformierten „Ordnungsdienstes" -den sogenannten Grünhemden (mehrere tausend hörige Jugendliche) -, was nach italienischem Gesetz für politische Parteien strengstens verboten ist, und mit seinen wiederholten Drohungen einer Steuerrevolte, eines bewaffneten Widerstandes oder der Sprengung der staatlichen Fernsehmasten hat Bossi eine schwer kontrollierbare Radikalisierung eingeleitet, die Anlaß zur Beunruhigung gibt.

Eine Sezession ist in der Tat realistisch nicht durchführbar. Noch nicht. Zwei Besultate hat der absolut nicht zu unterschätzende 55 Jahre alte Ex-Medizinstudent mit seiner Strategie dennoch bereits erreicht: Seine Bewegung hat endgültig den Bipolarismus überlebt, was mit dem neuen Mehrheitswahlsystem für unmöglich gehalten wurde; sie konnte sich neben den zwei großen Bündnissen, dem konservativen „Pol der Freiheiten" von Silvio Berlusconi und der Mitte-Links-Koalition des „Ulivo" (Ölbaum), zumindest in Norditalien als dritte und stärkste Alternative etablieren. Mit seinen nur scheinbar unüberlegten, oft dementierten Provokationen, die seit Monaten dank sensationsgieriger Medien fast tagtäglich für Schlagzeilen sorgen, ist es ihm auch gelungen, seine Vorstellungen über die Zukunft des Landes zu einem zentralen Thema der politischen Debatte in Italien zu machen und die Bevölkerung in den nördlichen Regionen Italiens, vor allem in Lombardei, Venetien und Friaul, an den Gedanken einer Teilung Italiens zu gewöhnen. Der Schock-Effekt des Begriffes „Sezession" ist vorbei, dieses Tabu ist gefallen. Sogar der christlich-demokratische Landeshauptmann der Lombardei, Roberto Formigoni, und der Senatspräsident Nicola Man-cino (letzterer hat es sich später nochmals überlegt) haben nun eine Volksabstimmung über das Thema der Autonomie in Nord-Italien vorgeschlagen.

Doch wie reagieren die Verfassungsorgane, die demokratischen politischen Kräfte und die Bevölkerung auf diese Entwicklungen? Als Befürworter einer harten Linie gelten die Liberal-Konservativen, der sozialdemokratische Parlamentspräsident Luciano Violante und der unabhängige Bauminister Antonio Di Pietro (beide schon berühmte Staatsanwälte). Auch seitens des vatikanischen

„Osservatore Romano" hat die Lega Nord nur schärfste Kritik geerntet. In diesem Sinn haben mehrere Staatsanwaltschaften bereits die Aufhebung der parlamentarischen Immunität von Umberto Bossi beantragt. Doch die Gefahr, aus ihm dadurch einen noch unbequemeren Märtyrer zu machen, hat die Mitte-Links-Begierung von Bomano Prodi und den Staatspräsidenten Oscar Luigi Scalfaro zu einer mahnenden Zurückhaltung bewogen, die aber wiederum von der Lega als Hilflosigkeit eingeschätzt wird. Mehrere Gegendemonstrationen sind für den 15. September angesagt.

In diesem Rahmen wütet Umberto Bossi unbekümmert durch die Provinzen Oberitaliens und läßt sich von seinem Vorhaben kaum abhalten. Dabei identifiziert sich ein Großteil der Bevölkerung „Padaniens" mit sei -nen regional-populistischen, demagogischen Protestparolen, denn die großen sozialen und ökonomischen Gegensätze zwischen Nord- und Süditalien, mit denen Bossi spekuliert, und die undurchsichtige Bürokratie der römischen Zentralregierung sind eine für viele schon untragbare Tatsache. Nur: die Lega Nord verficht eine falsche, ruinöse Lösung zu einem wahren Problem, dem man nur mit einer effizienten, entschlossenen Regierungsaktion und einer dringenden, oft angekündigten, aber nie durchgeführten Verfassungsreform entgegentreten kann.

Doch die Verfassungsreform gilt für das neugewählte Parlament mit der Ernennung eines Ausschusses, dem dritten in fünf Jahren, anscheinend als erledigt, und Regierungschef Romano Prodi quälen außerdem zur Zeit andere Sorgen: Denn obwohl die Opposition auf Grund des Interessen -konflikts ihres Führers Berlusconi, dessen TV-Imperium teilweise von einem noch zu verabschiedenden neuen Mediengesetz abhängt, paralysiert ist, bleibt die heterogene Mitte-Links-Parlamentsmehrheit alles andere als stabil. Der Anschluß an die Europäische AVährungsunion ist schon stark ins Wanken geraten. Dazu kommt noch, daß der stets im Rampenlicht stehende Bauminister und Publikumsliebling Antonio Di Pietro dem Ministerpräsidenten die ganze Show stiehlt.

Die notorisch unerbittliche, entschlossene und fast schon undiplomatische Vorgangsweise des unermüdlichen Antonio Di Pietro, des „Helden von Mani Pulite", hat diesen zum Mann der Tat gekrönt, wobei Di Pietro verständlicherweise mehr in der Öffentlichkeit als bei den Politikern (einschließlich Begierungskollegen) beliebt ist. Di Pietros Ambitionen, sich an die Spitze einer eigenen politischen Formation zu setzen, einer keilförmigen neuen Zentrumspartei, sind nicht zu übersehen und stimmen kaum mit denen der aktuellen Hauptdarsteller der italienischen Politik überein, Prodi, Berlusconi und Bossi inbegriffen.

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