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Moros Kniefall

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Während die Christdemokraten nicht recht wissen, ob sie die KPI in die Regierungskoalition aufnehmen sollen und wie eine solche Zusammenarbeit erfolgen könnte, ohne die demokratischen Staatseinrichtungen in Frage zu stellen, sprach sich Ministerpräsident Moro in einer Rede zur Eröffnung der Levante-Industriemesse in Bari für eine vorsichtige totale Linksöffnung aus. Fortan soll die Regierungspolitik nicht nur mit den Gewerkschaften, sondern auch mit der kommunistischen Partei abgesprochen werden. Nur so könne ein abermals heißer Herbst verhütet und könnten die Verhandlungen mit den Arbeitnehmerverbänden zur Erneuerung der Gesamtarbeitsverträge über die Runden gebracht werden, ohne der italienischen Wirtschaft den Todesstoß zu versetzen.

48 Stunden nach Moros umstrittener Ansprache in seiner Heimatstadt antwortete KPI-Chef Berlinguer zum Abschluß der von den Kommunisten in Florenz durchgeführten Unitä-Festlichkeiten. Berlinguer dankte für die offene Haltung des Regierungschefs gegenüber der kommunistischen Opposition, die sich von der antikommunistischen Einstellung vieler anderer Christdemokraten vom Schlage Fanfanis unterscheide. Moro sieht sich nun aufgefordert, genauere Vorschläge einer Zusammenarbeit auf Regierungsebene zu unterbreiten und die Politik seines Kabinetts derart zu gestalten, daß sie für die Kommunisten überhaupt annehmbar wird. „Anstatt Mahnungen und Predigten in die Welt zu posaunen, lasse die Regierung das Parlament, die öffentliche Meinung, die Arbeiter und die produktiven Kräfte wissen, welche wirtschaftlichen ,und sozialen Maßnahmen sie erlassen möchte, um eine neue Phase einzuleiten, die sich von der bisher verfolgten Politik des linken Zentrums zum Wohle des Staates und seiner Bürger unterscheidet“, erklärte Berlinguer unter großem Beifall der in Florenz zusammengeströmten Genossen.

Viele politische Beobachter sehen in Moros grenzenloser Linksöffnung nicht nur die angebliche Konfrontation mit den Kommunisten, sondern einen Kniefall vor der mächtigen KPI. Der ehemalige sozialdemokratische Generalsekretär Orlandj sieht in Moros Stellungnahme den Anfang vom Ende der parlamentarischen Demokratie in Italien. Andere empfehlen die Durchführung vorzeitiger

Parlamentswahlen, „solange man in Italien überhaupt noch über etwas abstimmen kann“. Regierung und Legislatur um den Preis einer Kapitulation vor der KPI am Leben zu erhalten, kann Italien zu teuer zu stehen kommen, meint Montanelli in seiner Elitezeitung „II giornale nuovo“.

Die Linksöffnung der Christdemokraten basiert auf nichts anderem als auf dem Ergebnis der Regionalwahlen vom Juni 1975. Sie wiesen einen kommunistischen Stimmengewinn von 5,6 Prozent aus. Die Euphorie der KPI kannte keine Grenzen, und entsprechend groß war die Niedergeschlagenheit auf Seiten der Zentrumsparteien. Erst später entdeckte man, daß der kommunistische Erfolg aus drei Gründen äußerst fragwürdig ist. Einmal fanden die Wahlen nur in 15 von 20 Regionen statt. Seit den letzten Regionalwahlen ist die Sozialistische Partei der Proletarischen Einheit, die 1970 3,1 Prozent aller Wähler für sich gewann, mit der KPI verschmolzen; dann haben erstmals die 18 bis 21jährigen gewählt. Ihr Anteil an der gesamten Wählerschaft ist derart groß (6 Prozent), daß der restliche Stimmengewinn der KPI (5,6 minus 3,1 Prozent ist gleich 2,5 Prozent) wahrscheinlich allein auf ihr Konto geht. Meinungsumfragen haben gezeigt, daß sich 50 Prozent aller Neuwähler der KPI anvertraut haben. War dies am 15. Juni der Fall, so hätte also die KPI auf der einzigen direkt vergleichbaren Wählerschaft, jener der über 21jährigen, sogar 0,5 Prozent verloren.

Dessenungeachtet wurden Siegesstimmung und Unfehlbarkeitsanspruch bei den Kommunisten nur noch von der Ratlosigkeit und Panikstimmung der Christdemokraten überboten. Ein Irrtum hatte bereits Schlagzeilen gemacht und forderte seinen Preis. Die nüchterne Einschätzung der Zahlen und die Besinnung auf die wirklichen Zusammenhänge konnten das verlorene Terrain nicht mehr zurückgewinnen.

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