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„Comunione e liberazione“

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Die Italiener haben immer weniger Grund, die neue katholische Bewegung „Gemeinschaft und Befreiung“ (comunione e liberazione) zu belächeln. Ihre Studienzentren und Versammlungslokale schießen im ganzen Land wie Pilze aus dem Boden. Sie bereitet nicht nur den Linksparteien, sondern auch der Democra-zia Cristiana erhebliche Sorgen. Besonders bei der jungen Generation Norditaliens erfreut sich die C. L. einer wachsenden Beliebtheit. Die „Gemeinschaft und Befreiung“ empfiehlt sich als „überparteiliche und über den Klassen stehende Basisgruppe, in der jedermann zu Wort kommen soll, auch wenn er glaubt, daß er nichts zu sagen habe.“ Damit wird jedermann angesprochen.

Die Gründer der neuen katholischen Bewegung, Gino und Vitto-rione Colombo und der ehemalige Stellvertretende Bürgermeister von Mailand, Andrea Boruso, streben eine Erneuerung des politischen Katholizismus „von unten und von innen her“ an. Die Democrazia Cristiana bedürfe einer neuen Interpretation, wolle sie bei den nächsten Parlamentswahlen nicht „vor die Hunde“, nämlich vor die KPI, gehen. Diese Neuinterpretation gelinge der Democrazia Cristiana aber nicht aus eigenen Kräften, weshalb sie einer Parallelbewegung bedürfe, die sie auf den rechten Weg führen könne. In den Zeitschriften und Buchpublikationen der C. L. wird von einer „wahren Kirche“ gesprochen, die sich kaum mit jener decken dürfte, die vom Vatikan vertreten wird. Das Hauptanliegen dieser Sa-vonarolas des 20. Jahrhunderts besteht offensichtlich in einer Rückführung der Kirche zur Selbstbescheidung und zur Reinheit, damit Italien nicht von den Sowjets überrumpelt werde.

Im politischen Bereich nimmt sich die C. L. vor, in Konkurrenz zur KPI „den Marxismus dort zu schlagen, wo er gesohlagen werden kann, nämlich im Volk, bei der Erörterung der kleinen Fragen in der Kirchengemeinde und bei der, intellektuellen Auseinandersetzung“. Die Taktik, „den Kommunisten so viel wie nötig zu geben, um sie schließlich so vollständig wie möglich aus ihrem eigenen Feld zu verdrängen“, wird unter den Anhängern des langen und breiten erörtert und in einzelnen Genossenschaften der Emilia-Ro-magna auch auf wirtschaftlichem Gebiet praktiziert.

Bei den letzten Gemeinderatswahlen vom 15. Juli 1975 hat C. L. nur in 130 von 3500 Wahlkreisen Kandi-didaten aufgestellt, ist aber mit 121 Männern und Frauen durchgedrungen. Kann sich „Gemeinschaft und Befreiung“ im ganzen Land zu Wort melden und stopft jemand dieser Bewegung nicht den Mund, so werden binnen einem Jahr beide — Democrazia Cristiana und KPI — möglicherweise ihre Wunder erleben.

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