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Fußvolk gegen den Marchese

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Die Kritik an Berlinguers Parteiführung kommt immer unverhüllter zum Ausdruck. Nicht nur die Jugendlichen in den linkskommunistischen Bewegungen fühlen sich von der unter Leitung Berlinguers stehenden KPI verraten und wünschen einen Wechsel herbei. Auch in den eigenen Reihen hat Berlinguer einen immer schwereren Stand.

In einem Interview hat eines der prominentesten Mitglieder des KP- Direktoriums, Giorgio Amendola, rundweg behauptet, die Zustimmung des kommunistischen Fußvolkes zu den Beschlüssen der Parteüeitung sei mehr formal als substantiell. Es fehle an kämpferischem Geist für die Verwirklichung des Historischen Kompromisses. Während in den Sektionen außerhalb Roms die von Berlinguer verfolgte Politik offen kritisiert werde, sei von Kritik am Parteisitz nur wenig zu spüren.

Läßt die KPI - wie jede kommunistische Partei - keine Parteiströmungen aufkommen, so gibt es, diesem „demokratischen Zentralismus“ zum Trotz, doch verschiedene Lager mit eigenen Akzentuierungen. Manchmal zeigt sich eben, daß die italienischen Kommunisten mehr Italiener als Kommunisten sind. So gilt Amendola als Vertreter der „Laien-Kommuni- sten“, also jener KPI-Mitglieder, die ihre Partei aus einer Begegnung mit der katholischen Kirche und ihrem verlängerten weltlichen Arm, der De- mocrazia Cristiana, heraushalten möchten. Eine solche Politik ist Amendola sozusagen seinem Vater, einem von den Faschisten ermordeten liberalen Abgeordneten, schuldig. Nach seinem Brief an den Bischof von Ivrea güt Enrico Berlinguer hingegen als Vertreter der „katholischen“ Kommunisten, für die der Weg zur Macht nur über den Vatikan und dessen wenigstens indirekte Zustimmung führt. In einer solchen Begegnung mit der Kirche wittern aber viele Kommunisten die Gefahr einer Kapitulation.

All das Gerede über eine wenigstens latente Opposition des kommunistischen Fußvolkes gegen Berlinguer und seine Politik des Historischen Kompromisses und des Dialogs mit der katholischen Kirche wurde vom „Doxa“-Meinungsforschungsinstitut einer näheren Prüfung unterzogen. Sie vermittelte das Büd einer gut organisierten KPI, deren Mitglieder aber keineswegs geschlossen hinter der Parteiführng stehen. Jedes vierte Mitglied beteüigt sich wöchentlich wenigstens einmal an einer Parteiversammlung. Nur sieben Prozent haben nie solchen Zusammenkünften beigewohnt. Vier von fünf sind überzeugt, daß die KPI immer stärker werden wird. Für 32 Prozent der Befragten vertritt Berlinguer die kommunistischen Interessen nur mangelhaft, der Generalsekretär wird lediglich von 58 Prozent vorbehaltlos unterstützt Der am meisten bevorzugte Bündnispartner ist die Linkssozialistische Partei, nicht die Democrazia Cristiana.

Interessanterweise ist jedes vierte der befragten KPI-Mitglieder im letzten Monat wenigstens einmal in die Kirche gegangen. Die katholische Kirche kommt bei der Befragung entschieden besser weg als die Democrazia Cristiana. Noch weniger beliebt als die italienischen Christdemokraten sind die Russen: nur 13 Prozent der italienischen KP-Mitglieder wünschen Freundschaft und Zusammenarbeit mit der Sowjetunion. Noch weniger, nämlich neun Prozent, streben nach einer Allianz mit Rotchina. Dreimal mehr sind für die USA und den Atlantik-Pakt!

Gewiß, Ümfrageergebnisse sind immer mit Vorsicht zu genießen. Sie treffen höchstens die Grundtendenzen eines Phänomens. Diese besagen im vorliegenden Fall, daß eurokommunistisches Gedankengut, der Glaube an einen „eigenen, freien Weg zur Verwirklichung einer kommunistischen Gesellschaft mit menschlichen Zügen“ von den meisten Angehörigen des KPI-Fußvolkes bejaht wird. Uber die Art und Weise, wie eine solche Gesellschaft realisiert werden sollte, gehen die Meinungen der sogenannten Basis allerdings auseinander.

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