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Italien ist am Jahresende in der paradoxen Lage, daß die Koalitionsparteien eine Regierung am Leben erhalten, deren Formel sie seit sechs Monaten abgeschrieben haben. 13 Jahre lang beherrschte die Regierungsformel „Links von der Mitte“ die politische Szenerie Italiens. Christdemokraten, Sozialdemokraten, Republikaner und Linkssozialisten stellten seit 1962 sämtliche Regierungen mit Ausnahme der Zentrumskabinette von 1972, denen auch die Liberalen angehörten. Im Laufe des Jahres 1975 sagten sich aber nacheinander Linkssozialisten und Christdemokraten vom Centro Sinistra los.

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Italien ist am Jahresende in der paradoxen Lage, daß die Koalitionsparteien eine Regierung am Leben erhalten, deren Formel sie seit sechs Monaten abgeschrieben haben. 13 Jahre lang beherrschte die Regierungsformel „Links von der Mitte“ die politische Szenerie Italiens. Christdemokraten, Sozialdemokraten, Republikaner und Linkssozialisten stellten seit 1962 sämtliche Regierungen mit Ausnahme der Zentrumskabinette von 1972, denen auch die Liberalen angehörten. Im Laufe des Jahres 1975 sagten sich aber nacheinander Linkssozialisten und Christdemokraten vom Centro Sinistra los.

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Linkssozialistenführer de Martino prägte den Satz: „Der Kurs links von der Mitte ist tot.“ Diese resolute Einstellung hinderte ihn aber nicht, Moros Regierung links von der Mitte gegen die Machenschaften seines parteiinternen Rivalen Giacomo Mancini weiterhin zu verteidigen. Die Angst vor Neuwahlen und ihrem unsicheren Ausgang war offensichtlich größer als die Abneigung gegen den totgesagten Regierungskurs.

Ähnlich das Verhältnis der Demo-crazia Christiana zum Centro-Sini-stra-Regierungskurs. Von ihren Exponenten setzten sich nur noch wenige für die Fortsetzung einer gemäßigten Linksöffnung ein. Kaum einer glaubt noch, was 1982 sozusagen alle hofften, daß nämlich die Democrazia Christiana durch den Sehulterschluß mit den Linkssozialisten die KPI in Schach halten könne. Der Ausgang der Regionalwahlen vom 15. Juni hat die meisten Italiener davon überzeugt, daß es eines anderen Mittels bedürfte, um in eineinhalb Jahren das Rennen um die Gunst der Wähler noch einmal gewinnen zu können.

Im Schoß der großen christdemokratischen Volkspartei haben sich seit der Landratssitzung von Mitte

Juli immer deutlicher zwei Positionen herauskristallisiert. Auf der einen Seite stehen die Anhänger der sogenannten Contraposizione-Theo-rie. Sie sehen das Heil der Democrazia Christiana nach wie vor in einem schroffen Gegensatz zur KPI und treten gegen jegliches Paktieren mit Berlinguer ein. Gelingt es nicht, die Linkssozialisten weiterhin auf den Kurs links von der Mitte zu verpflichten, so müsse die Unterstützung auf Parlaments- und Regierungsebene eben durch andere Kräfte (Liberale, Monarchisten, vielleicht sogar den nationalen Rechtsblock) erfolgen. Ein „Scontro“ mit der KPI solle möglichst vermieden werden, wenn aber nichts anderes als ein solcher Frontalzusammenstoß übrigbleibe, so müsse er im Interesse des Überlebens der parlamentarischen Demokratie und die individuellen Freiheit hingenommen werden. Diesen Standpunkt bezieht besonders Fanfani, der vor fünf Monaten als DC-Generalsekretär abgesetzt und in die Wüste geschickt wurde, als ewiges Stehaufmännchen aber — ungeachtet seiner 69 Jahre — gleichsam hinter der Ecke auf sein Comeback wartet. Andreotti, Scel-ba, Piccoli, Besaglia warten ihrerseits auf die Möglichkeit, mit einer Rückkehr zur Mitte die totale Linksöffnung vereiteln zu können. Im Vatikan gewinnen die Gegner eines historischen Kompromisses mit der KPI an Boden.

Anders die Anhänger der sogenannten Confronto-Theorle um Moro, Zaccagnini und Colombo. Sie schließen die Zusammenarbeit mit der KPI nicht rundweg aus, doch möchten sie sie auf eine „Begegnung in heiklen Sachfragen“ (Confronto), vor allem zur Durchführung dringender Reformen, beschränkt sehen. Ihrer Ansieht nach trüge Fanfanis antikommunistische Contraposi-zione-Theorle den Keim des Bürgerkriegs in sich. Deshalb versuchen sie, auf einem anderen Wege die KPI für die gesetzgeberische Arbeit des Parlaments zu gewinnen. Was hinterrücks bereits vor Jahren geschehen ist, müsse erklärte Parteipolitik der Democrazia Christiana werden. „Schön und gut, solange die Kommunisten diese Unterstützung gewissermaßen gratis liefern“, sagen die Christdemokraten der Contraposi-zione-Theorie, „doch wehe, wenn sie dafür ihren Preis fordern“. Die Auf-nähme der KPI in die Regierung könnte das Ende der parlamentarischen Demokratie und der Freiheit in Italien bedeuten“.

Italien ist von der Gefahr bedroht, daß die Vertreter der Contraposi-zione- und Begegnungstheorie einander die Waage halten und daß sich bei diesem Gleichgewicht die Democrazia Christiana zum Immobilismus verurteilt sieht. Aus diesem ergebnislosen Kräftemessen könnten die KPI und sogar der Nationale Rechtsblock (MSI) als lachende Dritte hervorgehen.

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