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Trostpilaster für „Demokraten“

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Mit der Kaltstellung dreier namhafter ZK-Mitglieder — es handelt sich um Rossana Rossanda, Luigi Pintor und Aldo Natoli — nahm innerhalb der kommunistischen Partei Italiens eine Auseinandersetzung ihr Ende, die bereits seit dem Frühjahr dieses Jahres in Zusammenhang mit der Zeitschrift „II manifesto" schwelte.

„H manifesto“, das theoretische Sprachrohr der sogenannten „Neuen Linken“ innerhalb der KPI, ist in letzter Zeit zum begehrten Kaufobjekt an den italienischen Zeitungskiosken geworden, ganz zum Unwillen der Führungsgruppe der KPI, der besonders die kompromißlose Kritik der Zeitschrift den Prager Ereignissen gegenüber Unbehagen bereitete. In der Nummer vier vom September dieses Jahres heißt es beispielsweise, daß Husak in der absoluten Leere, die ihn umgebe, nur die Erneuerung der demokratischen Kräfte verkörpere. Audi mit direkter Kritik an der sowjetischen „Bruderpartei“ wurde nicht gespart. Die letzte Doppelnummer der Zeitschrift erlebte, nachdem 45.000 Exemplare auf Anhieb verkauft wurden, sogar eine zweite Auflage. In dieser Neuauflage findet sich eine Antwort an das Zentralkomitee der KPI, das die Diskussion über die Zeitschrift hinter dem Rücken der Betroffenen geführt hatte.

Schnittpunkt Tschechoslowakei

Nach den jüngsten spektakulären Parteiausschlüssen in der österreichischen und tschechischen kommunistischen Partei, nach der traurigen Hetzjagd auf Alexander Sol- schenitzyn in der Sowjetunion, stellt sich wieder einrnsTTfas atätth'und immer neue Problem der Opposition innerhalb der kommunistischen Parteien. Daß jede auch nur geringfügig von der Generallinie abweichende Meinung von der jeweils an der Macht befindlichen Gruppe nicht selten als antisozialistisch, ja objektiv konterrevolutionär angesehen wurde, hat der Entwicklung des Sozialismus besonders in den osteuropäischen Staaten bekanntlich großen Schaden zugefügt. Diesen gewaltigen, möglicherweise immanenten historischen Irrtümern kann sich offensichtlich die KPI selbst heute nicht entziehen. Doch die italienischen Kommunisten sind um ihre Position nicht zu beneiden. Gewiß, sie haben im vorigen Jahr den sowjetischen Einmarsch in die CSSR entschieden verurteilt; sie mußten es tun, um nach außen hin glaubwürdig zu bleiben. Doch inzwischen ist einiges Wasser den Tiber hinuntergeflossen, verweist man nur auf den philcxsowjetischen Flügel um Gian Carlo Pajetta und Giorgio Amendola, die ungern auf die tschechischen Ereignisse zu sprechen kommen. Der linksoriemtierte „L’espresso“ vermutet sogar, daß nicht zuletzt auf Druck der Sowjets die ZK-Tagung der KPI vorzeitig einberufen wurde, und zwar um ein bis zwei Monate früher als vorgesehen. Die KPdSU hat sich zwar publizistisch nie in den Streit eingemischt, aber Eile schien nun beiden „Bruderparteien“ als dias Gebot der Stunde. Die gegenwärtige Position der Führungsspitze scheint auch deshalb nicht gerade benei-

denswert, da sich inzwischen viele städtische Parteisektionen, besonders in Rom, Mailand, Neapel und Bergamo, mit dem Fall der Zeitschrift beschäftigt haben, um daraufhin mit den „Abweichlern“ zu sympathisieren. Doch die Masse der Mitglieder, die sogenannte Basis, steht den Dingen indifferent gegenüber.

Regierungswiirdig

Was blieb also den Männern um Luigi Longo und Berlinguer anderes übrig, als ein Exempel zu statuieren? Ein eventueller Bruch mit Moskau mußte unter allen Umständen vermieden, der „demokratische Zentralismus“, die Einheit und Disziplin der Partei, durften nicht in Frage gestellt werden. In seiner Anklageschrift hat das ZK der KPI den Vertretern der „Neuen Linken“ die Möglichkeit einer Selbstkritik eingeräumt, von der jedoch kein Gebrauch gemacht wurde. Im Gegenteil, die Fronten waren schon allzu verfestigt, als daß noch ein Ausweg offen schien. Gemäß den Parteistatuten wurden Rossana Rossanda, Luigi Pintor und Aldo Natoli wegen Verstoßes gegen den „demokratischen Zentralismus" verurteilt; dieser Paragraph sieht im wesentlichen vor, daß die Minderheit die Entscheidungen der Mehrheit akzeptieren muß. Die Maßnahme der Streichung der Parteimitgliedschaft bedeutet übrigens keinen endgültigen Ausschluß aus der Partei. Die theoretische Möglichkeit der Wiederaufnahme bei „guter Führung“ dürfte indes kaum mehr als ein unbefriedigendes Trostpflaster für die Betroffenen darstellen. Immerhin, am ersten Tage der entscheidenden ZK- ~SSW hat die 'FärteTzeitung

„L’unitä" den Leserbrief eines Parteigenossen abgedruckt, der das ZK- Kommunique zu der umstrittenen „neulinken“ Zeitschrift scharf kritisiert. Dieser symbolisch gemeinte Akt einer Zeitung, in deren Führungsgremium ein besonders kompromittierter Altstalinist sitzt, kommt allerdings als angeblich demokratisches Goodwill längst zu spät, um die Glaubwürdigkeit einer Partei zu beweisen, die sich anschickt, Regierungsfunkttonen zu übernehmen.

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