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„Zurück, um dann besser vorwärts zu kommen.

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Wie ein Regierungschef sprach KPI-Chef Enrico Berlinguer zwei Stunden lang’im Zentralkomitee seiner Partgi. De£, Kommunistenfül^rer richtete das Augenmerk .auf Italien und seine Probleme, die nach wie vor nur mit tatkräftiger Hilfe der KPI gelöst werden könnten: „Vieles ist in diesem Sinn geleistet worden, mehr noch bleibt zu tun”.

Nach Berlinguers Auffassung hätte dem Ausbruch der letzten Regierungskrise zu Beginn dieses Jahres die Aufnahme der KPI als regelrechte Regierungspartei folgen sollen. Auf Grund der Widerstände der Christdemokraten und Sozialdemokraten blieb es vorderhand bei der Aufnahme der KPI als Koalitionspartei, wodurch die KPI keine Minister stellt, lediglich die Gesetzesentwürfe der christdemokratischen Regierung im Parlament unterstützt und so nur indirekt im Griff hat. Die gemeinsame Regierungskoalition mit Sozialisten, Sozialdemokraten, Republikanern und Christdemokraten hat sich auf der einen Seite jedoch bewährt: Große Belastungen sind überstanden worden, wie Moros Entführung und Ermordung, Sandro Pertinis Wahl zum Staatspräsidenten, Amnestie und neues Mieterschutzgesetz, die voraussichtlich noch vor dem Ferragosto (15. August) verabschiedet werden können. In erster Linie wegen der Stärke der KPI ist die nationale Einheit mehr als ein Postulat. Allerdings muß sie sich noch bei vielen anderen Gelegenheiten durchsetzen, vor allem bei der Lösung der Südfrage, also dem wirtschaftlichen und sozialen Aufbau des Mezzogiomo, bei er Frage der Jugendbeschäftigung, Überwindung der Wirtschaftskrise, Abschaffung unnützer Ämter, Schul- und Universitätsreform und bei der Revision des Konkordats.

Die KPI ist bereit, die „Austerity”- Politik der Regierung zu unterstützen und die Gewerkschaften zur Mäßigung ihrer Forderungen anzuhalten, falls das Kabinett die Lösung dieser Probleme ernstlich in Angriff nimmt: „So wie bisher kann es nicht weitergehen. Die KPI ist keineswegs gewillt, die Democrazia Cristiana auf biegen und brechen zu unterstützen, nur um weiter ,mit von der Partie” zu sein. Wenn wir Kommunisten bereit sind, unter Umständen wieder auf die Seite der Opposition zu treten, so sollte je nach Ausgang der Wahlen auch die Demo crazia Cristiana diese Bereitschaft unter Beweis stellen”, meinte der KPI- ‘Chef.

„Zweifellos stellt .Berlinguers große Rede eine geschickte Synthese zweier entgegengesetzter Positionen in der KPI dar, die indenletztenWochen und Monaten in Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln als Thesen besprochen wurden. Franco Rodano - Linkskatholik und Inspirator Berlinguers - sieht im Historischen Kompromiß seit jeher ein Sammelbecken fortschrittlicher Kommunisten, Sozialisten und Katholiken. Er soll die nationale Einheit endlich verwirklichen: „Italien hat sie in 117 Jahren versäumt, weil sich progressive und konservative Kräfte stets gegenseitig in Schach gehalten oder aber bekämpft, statt gegenseitig befruchtet haben.”

Nach dem Parteiideologen Gerardo Chiaramonte ist der Schulterschluß mit der DC ein bloßer Kompromiß. Die Rückkehr der KPI in die Opposition sei durchaus denkbar und könne geradezu die Gelegenheit abgeben, um sich vor aller Welt als demokratische und pluralistische Partei im Sinne des Eurokommunismus auszuweisen.

Während Rodano die Zugehörigkeit der KPI zur Regierungskoalition als historisches Ereignis und Errungenschaft betrachtet, eben als Ausdruck eines Historischen Kompromisses, der nicht mehr rückgängig gemacht werden kann und soll, bedarf es für Chia- romonte „vielleicht dieses Zurück, um nachher besser vorwärtsschreiten zu können”.

Einmal mehr hat sich Berlinguer als Meister der Synthese erwiesen. Nach Moros Tod hat er nicht seinesgleichen in der italienischen Politik. Wie der DC-Vorsitzende versucht Berlinguer im Schoße der KPI einen Kompromiß durchzusetzen, der sowohl annehmbar für das eigene als auch für das fremde Lager ist. Zehn Jahre lang ist ihm dies in der KPI und mit Aufnahme in die Regierungskoalition vor vier Monaten - noch mit Moros Hilfe - auch im Verhältnis zur Democrazia Cristiana geglückt. Ob er weiterhin die Widerstände in der eigenen Partei - vor allem bei den Jugendlichen und schlecht gestellten Arbeitern - brechen und die Brücken mit der christdemokratischen und sozialistischen Partei aufrechterhalten kann, ist die Frage der italienischen Politik in nächster Zeit.

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