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Fall Bucharin: Wie die KPI Vergangenheit bewältigt

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Kein Tag vergeht, da nicht eine italienische Partei oder Zeitung zum „Fall Bucharin“ Stellung bezieht. Vor 40 Jahren ist der bedeutende kommunistische Ideologe Nikolaj Bucharin einer stalinistischen Säuberung zum Opfer gefallen, doch jetzt stellt sich die Frage, ob man im Sog der Vergangenheitsbewältigung nicht auch dem Gedenken dieses Mannes Gerechtigkeit widerfahren lassen müsse.'

Anlaß zu einer entsprechenden Rehabilitierung bietet das Bittschreiben des Sohnes - Yuri Larin Bucharin - an die Adresse westlicher kommunistischer Parteien, sie möchten das versäumte nachholen. Mehrere Jahre hatte Yuri mit seiner Mutter in sowjetischen Konzentrationslagern verbracht und sich bereits 1961 bei Chruschtschow um eine Ehrenrettung des Vaters und Gatten bemüht. Vergeblich. So wandten sie sich-40 Jahre nach der Liquidation des berühmtesten Stalinopfers - an die Bertram Rusell-Stif-tung und vor allem an die KPI mit dem Gesuch um eine Reinwaschung von all den klassischen Anklagepunkten, die 1938 zur Erschießung Nikolaj Bucha-rins geführt hatten. Ihm wurde vorgeworfen, als Spion im Dienst einer fremden Macht - gemeint Nazi-Deutschland - und als Hochverräter zur Beseitigung Lenins, ja als Organisator eines allgemeinen Volksaufstandes gegen die sowjetischen Machthaber gewirkt zu haben.

Die italienischen Kommunisten sollten es besser wissen und die wahren Hintergründe der Bucharin-Beseiti-gung aufdecken. Der frühere KPI-Chef (bis 1964) Palmiro Togliatti kannte nicht nur Stalin, sondern auch Bucharin und alles was diese vereinte und schließlich entzweite. Bucharin kann als eine Art russischer Gramschi gesehen werden, der als solcher auf der Macht durch Zustimmung statt auf Macht durch Terrormaßnahmen bestanden hatte.

Der „Fall Bucharin“ ist aber für die KPI nicht nur ein gefundenes Fressen, um den eigenen eurokommunistischen Weg an die Macht durch Zustimmung statt Gewaltanwendung auch durch einen bis 1929 prominenten Russen und Kommunisten par ex-cellence begründen zu können. Dieser „casus“ ist im Blick auf Togliatti und 20 Jahre KPI-Politik im Schatten dieses Mannes ein großes Problem, ja eigentlich ein Dilemma. Denn Togliatti gehörte in der kommunistischen Internationale des Komintern zu jenen Männern, die Bucharin bereits neun Jahre vor seiner Liquidierung abgeschrieben und nach seiner Hinrichtung auch diesen Purga-Akt gutgeheißen haben.

Unter solchen Vorzeichen richtet KPI-Historiker Paolo S priano in seiner Stellungnahme im KPI-Organ „Unita“ das Augenmerk fast ausschließlich auf das Vorgehen des illustren Vorboten des Eurokommunismus und das Heute des Rehabilitierungsversuches von Yuri Larin Bucharin und verliert kein Wort über das unbequeme Gestern der stalinistischen Vergangenheit der italienischen Kommunisten. Geschickt hält er sich im allgemeinen mit der Feststellung, daß die Unfähigkeit die Gegenwart kritisch zu bewältigen häufig von der Negierung der Werte herrühre, die aus der Erfahrung der Vergangenheit gewonnen werden können. S priano plädiert nicht nur im Sinne des alten Togliatti für „den nationalen Weg eines jeden Volkes zum Sozialismus“ (lies: zur kommunistischen Weltrevolution), sondern auch für „das Recht jeder Partei und jedes Volkes, ihre Geschichte frei zu bewältigen“. Seine Auseinandersetzung läuft auf eine Einladung an die Sowjetunion hinaus, Bucharin endlich zu rehabilitieren und benutzt zugleich die Gelegenheit, diesen „russischen Gramschi“ vor den eigenen eurokommunistischen Wagen zu spannen.

Ihrerseits lassen sich die nichtkommunistischen Politiker und Gelehrten die Gelegenheit nicht entgehen, auf die Widersprüche und Kurzsichtigkeit einer solchen Bucharin-Aneignung, ja Bucharin-Vergewaltigung hinzuweisen.

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