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Politisches Markttreiben in Rom aber kein Ausweg aus der Krise

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Das jetzige Ringen der italienischen Parteien, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Massenmedien und anderer Pressure Groups um eine neue Regierung kann mit dem Treiben auf irgendeinem Marktplatz des Stiefellandes verglichen werden: Wo kein Preis für voll genommen werden muß und alles im Blick auf Kauf und Verkauf der Ware zur Diskussion gestellt werden kann und eine Rolle spielt.

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Das jetzige Ringen der italienischen Parteien, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Massenmedien und anderer Pressure Groups um eine neue Regierung kann mit dem Treiben auf irgendeinem Marktplatz des Stiefellandes verglichen werden: Wo kein Preis für voll genommen werden muß und alles im Blick auf Kauf und Verkauf der Ware zur Diskussion gestellt werden kann und eine Rolle spielt.

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-• hnlich beim jetzigen „Markten“ um die Bildung eines neuen Ka-.binetts: Es wird allseitig hart gespielt, um der Gegenseite möglichst wenig zugestehen zu müssen. Die Kommunisten begnügen sich nicht mehr damit, eine christdemokratische Regierung mit wohlwollender Stimmenthaltung im Parlament vor dem Untergang zu bewahren. Um die Demo-crazia Cristiana gefügig zu machen, stellt Berlinguer ein Linkskabinett ohne die Christdemokraten in Aussicht. Der KPI-Chef weiß zwar, daß es beim gegebenen Kräfteverhältnis im 1976 gewählten Parlament keine Regierung gegen den Willen der Demo-crazia Cristiana geben kann, trotzdem spekuliert er damit, daß die Christdemokraten irgendwie mit den Linkssozialisten und der KPI handelseinig werden müssen, wenn sie mit der gegenwärtigen Regierungskrise endlich fertig werden wollen.

Eine programmatische Absprache der sechs Verfassungsparteien von der KPI bis zu den Liberalen, wie sie im Juli 1977 zustande gekommen ist, genügt Berlinguer nicht mehr. Die Christdemokraten stellen aber lediglich eine solche programmatische Mehrheit, keine politische Mehrheit in Aussicht. Kommunisten, Linkssozialisten, Sozialdemokraten und Republikaner verlangen hingegen die Aufnahme der KPI in die parlamentarische Regierungskoalition und verweisen auf den nur noch kosmetischen und formalen Unterschied zwischen der bereits vor sieben Monaten zustandegekommenen programmatischen und der von Berlinguer geforderten politischen Koalitionsmehrheit. Die DC-Exponenten wissen das auch, doch sie fragen sich, ob sich auch ihre Wähler damit abgefunden haben. Immerhin sind es 38,4 Prozent des, italienischen Wählervolkes, die der De-mocrazia Cristiana am 20. Juni 1976 das Vertrauen geschenkt haben, einmal mehr, wie 1948, weil sich die DC als Bollwerk gegen die KPI und Garant einer fortgesetzten freiheitli-chen-demokratischen Ordnung in Italien empfohlen hatte.

Seinerseits muß Berlinguer der unruhig gewordenen KPI einen weiteren kleinen Schritt, möglichst aber einen Sprung in Richtung vermehrter Machtbeteiligung anbieten. Vielleicht kann er die Gegenseite wenigstens zur Aufnahme von sogenannten Technokraten in die Regierung bewegen: Daß neben wackeren Christdemokraten vom alten Schlag politisch „unbeschriebene Blätter“, die aber keine Antikommunisten sind, in einem von Andreotti oder Fanfani gebüdeten Kabinett sitzen werden.

Ein Vorschlag aus den eigenen Reihen der DC hat indessen viel Staub aufgewirbelt und zu einer parteiinternen Auseinandersetzung geführt: Der junge christdemokratische Abgeordnete Gianni Prandini steht plötzlich im Rampenlicht der italienischen Politik. Grund des Interesses für dieses bisher „unbeschriebene Blatt“ aus Brescia ist ein Artikel aus seiner Feder in der rechtsliberalen Mailänder Zeitung „II Giornale Nuovo“. Prandini glaubt, daß die kommunistische Dampfwalze nur noch mit einem Zusammenschluß sozialdemokratischer, republikanischer, liberaler und auch sozialistischer Exponenten aufgehalten werden könne. Sie sollten'aber nicht - wie bisher häufig und stets vergeblich vorgeschlagen einen sogenannten Laienblock bilden, sondern beim nächsten großen Urnengang in den Listen der DC kandidieren. Einmal gewählt, könnten sie im Parlament eine Fraktion der „Unabhängigen des Zentrums“ bilden.

Jedermann weiß, daß bei den letzten Gemeinde- und Parlamentswahlen vom 20. Juni 1976 die Wahllisten der KPI auch Namen prominenter Linkskatholiken und Intellektueller aus verschiedenen Bereichen des Kulturlebens enthielten. Auf diesem Wege wurde der Kunsthistoriker Professor Argan in Rom zum Bürgermeister gewählt Nicht zuletzt geht der Wahlerfolg der Kommunisten vor zwei Jahren auf diese Öffnung zurück.

Wer meint, die Parteileitung der DC hätte sich mit diesem Vorschlag ihres rührigen norditalienischen Abgeordneten auseinandergesetzt, irrt. Im Sprachrohr der Mehrheitspartei „D Popolo“, wird Prandini als „Abtrünniger von der Parteilinie“ gemaßregelt Wer von Wahlen spricht und Neuwahlen meint, hat im Schöße der DC offensichtlich die Marschroute verfehlt

Parteiführer Zaccagnini und - hinter ihm - Parteistratege Moro haben sich mit, dem unheimlich-heimlichen Historischen Kompromiß abgefunden: Die KPI soll zu größerer Regierungsverantwortung herangezogen werden. Dies könnte durch eine Aufnahme in die parlamentarische Regierungskoalition geschehen, Hauptsache, daß die Kommunisten vorderhand keine Minister stellen werden. Entgegen den Prophezeiungen eines Karl Marx brauche die Zeit nicht für die KPI zu wirken. Im Gegenteil: Wenn es gelingt, noch mehr als bisher das kommunistische Fußvolk und all die unzufriedenen Jugendlichen der KPI-Spitze zu entfremden, habe die DC auch ohne Schützenhilfe eines Prandini und seiner „Unabhängigen des Zentrums“ gewonnenes Spiel. Ja, wenn es gelingt...

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