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Historischer Kompromiß wäre Selbstaufgabe
Die zweite Novemberwoche hat ganz Italien bedrohlich in die schlimmen Zustände der zwei Krisenjahre vor den Wahlen vom vergangenen Juni zurückgeworfen. Nachdem der Eisenbahnerstreik vom 5. November nur von einer kleinen Außenseitergewerkschaft und recht glimpflich über die Schienen getragen worden war, folgte bald Schlag auf Schlag eines Sperrfeuers streikender Unzufriedenheit gegen die „unheilige Allianz“ der christdemokratischen Minderheitsregierung Andreotti mit der „Schweigeopposition“ der Kommunisten. Der lokale, aber totale Streik der Region Lazio umfaßte schließlich nicht nur Fabriken, Verkehrsmittel, Post, Gas- und Elektrizitätswerke, sondern auch die Schulen, Spitäler, Zeitungen, Rundfunk und Lichtspieltheater. Er lähmte die Hauptstadt Rom samt ihrer weiteren Umgebung und damit indirekt das ganze Land und seine internationalen Verbindungen. Kurz darauf traten in ganz Italien 400.000 Eisenbahner, Postler, Telegraphenbeamte, Telephonistinnen und das Personal der Staatsmonopole in den Ausstand. Auf dem Streikkalender des sozialistisch orientierten italienischen Gewerkschaftsbundes stehen des weiteren eine Arbeitsniederlegung aller Staats-, Provinz- und Gemeindeangestellten und zwei Tage später die Schließung der Grund-, Mittel- und Hochschulen. Ende November werden die unermüdlichen Streikstrategen ihren „Erfolg“ im Großraum Rom-Lazio auf gesamtitalienischer Ebene wiederholen. Damit wollen sie das Kabinett der Christdemokraten zwingen, von seinem einschneidenden, aber einzig richtigen Spar- und Sanierungsprogramm für, Italiens Wirtschaft und Währung abzurücken.
Dieselben Kommunisten, von denen dem Ministerpräsidenten Andreotti in Parlament und Senat stillschweigend Unterstützung gewährt, ja sogar immer noch eine Regierungskoalition angeboten wird, gehen im gewerkschaftlichen Bereich mit ihren sozialistischen Vordermännern durch Dick und Dünn. Sie können gar nicht anders, wollen sie ihren marxistisch-leninistischen Grundsätzen und dem Versprechen an ihre Wähler nicht ganz untreu werden; schließlich und endlich haben diese die PCI am 20. Juni beinahe zur stärksten Partei zwischen den Alpen und Sizilien gemacht. Andreotti und Berlinguer haben ihre schmalen Gemeinsamkeiten in den seitdem verflossenen fünf Monaten so gut wie ausgescbij^t.ain ; ;3g
Italiens neue Streikwelle hat in der schwierigen politischen Situation noch keine Entscheidung, doch immerhin mehr Klarheit gebracht. Klarheit über die Irrealität des von den Kommunisten der DC mit Seitenblick auf das linkskatholische Lager ange-hökerten „Historischen Kompromisses“ zwischen Schwarzen und Roten. Sobald es darum ging, im Interesse einer besseren Zukunft vorübergehend den Gürtel enger zu schnallen, haben sich alle Kompromisse aufgehört.
Damit stellt sich sofort die Frage nach der weiteren parlamentarischen Abschirmung Giulio Andreottis durch die PCI, die auf diesem Wege im Grunde nur in die Regierung zu kommen hoffte. Der sardische Adelssproß Berlinguer ist klug genug, das flak-kernde Lebenslicht der Minderheitsregierung nicht auszublasen, ehe er eine Nachfolgelösung in der Tasche hat. Neuwahlen könnten den Kommunisten nach ihrer vergeblichen Rechtstaktik längerfristig nur schaden. Ebenso eine offene Regierungskoalition aller Linksparteien. Kommunisten, Sozialisten und Radikale könnten sich zwar eine absolute Mehrheit an Sitzen zusammenaddieren, eine solche Volksfront würde jedoch Italiens kleine bürgerliche Parteien sofort mit den Christdemokraten susammenführen, deren eigenen linken Flügel aus seinen rosig-rötlichen Träumen aufschrecken und vielleicht sogar zum bisher von der DC für unmöglich gehaltenen Schulterschluß mit den als „Deetra Nazionale“ ins Schlepptau der Neofaschisten geratenen Monarchisten führen. Diese Gruppierung wäre das gerade Gegenteil von dem, was Berlinguer mit seiner Einschläferungstaktik anstrebt. Ziel der während der Streikwelle geführten Parteigespräche von PCI und PSI-Szialisten ist hingegen die Möglichkeit einer sozialistischen Minderheitsregierung an Stelle jener Andre-ottis gewesen. Die Kommunisten und andere Radikale würden sich an einer solchen zwar nicht direkt beteiligen, ihr aber im Parlament von Fall zu Fall durch die Abstimmungen helfen. Gelingt Berlinguer dieser Schachzug, so sind seine Genossen der Macht zum Greifen nahegekommen.
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