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Hauskrach bei der KPI

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Eine Woche vorher hatte Berlinguer im Straßburger Parlament noch das 50jährige Parteijubiläum Giorgios Amendo- las, des Fraktionsvorsitzenden der „Eurokommunisten“, mit rühmenden Reden gefeiert. Jetzt mußte der Parteichef diesem großen „Alten“ des italienischen KP-Vorstands vor versammeltem Zentralkomitee die Leviten lesen:

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Eine Woche vorher hatte Berlinguer im Straßburger Parlament noch das 50jährige Parteijubiläum Giorgios Amendo- las, des Fraktionsvorsitzenden der „Eurokommunisten“, mit rühmenden Reden gefeiert. Jetzt mußte der Parteichef diesem großen „Alten“ des italienischen KP-Vorstands vor versammeltem Zentralkomitee die Leviten lesen:

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Er möge mit seinen Worten „etwas maßhalten“, sonst könnte jemand wahrhaftig denken „in unseren Reihen dächte jemand daran, den Sozialismus auf den Ruinen des Landes zu erbauen.“ Dies hatte Amendola in der Tat seinen Genossen unterstellt - wenn auch nicht als subjektive Absicht, sondern als Folge ihrer widerspruchsvollen Wirtschafts- und Gewerkschaftspolitik, „die alles und zugleich das Gegenteil von allem“ verlange.

Kaum jemals in der Parteigeschichte der italienischen Kommunisten gab es eine so offene innere Auseinandersetzung und noch nie eine so öffentliche, gleichwohl ohne persönlich „Verketzerung“ ausgetragene, wie bei dieser Zentralkommitees-Sit- zung Ende letzter Woche. Sie beleuchtete blitzartig zweierlei: Wie stark sich der Zentralismus in Italiens KP zugunsten einer innerparteilichen Demokratie gelockert hat und wie tief die innenpolitische Sackgasse ist, in der diese Partei gegenwärtig steckt.

Immerhin war es die Parteiwochenzeitung „Rinascita“ gewesen, die Amendola am 9. November als Forum gedient hatte, um mit ätzender Deutlichkeit festzustellen, daß die Partei seit einem Jahrzehnt den Arbeitern nicht die volle Wahrheit sage, seine Lohnpolitik begünstige, die nur die Inflation weiter antreibe, und Arbeitskampfmethoden billige, die sogar den Terrorismus mitverursacht hätten.

Souverän überging Amendola (und dies war sein diskussions-taktischer Fehler) die geläufige Tatsache, daß die Wurzel der italienischen Krise schon im „Wirtschaftswunder“ des Landes steckte, das in den fünfziger Jahren nicht auf der Basis einer sozialen Marktwirtschaft, sondern eines eher frühkapitalistischen Wirtschaf- tens mit niedrigen Löhnen und dünnem Sozialnetz möglich gewesen war - so, daß KP-Chef Togliatti die in den sechziger Jahren erkämpften Lohnerhöhungen grotesker Weise bereits als „Strukturreform“ feiern konnte.

Demnach wären also allein „die Gegner der Arbeiterkasse“ nicht nur an der heutigen Krise, sondern „an einigen Irrtümem und Übertreibungen, die die Arbeiterbewegung selbst beging“ schuldig - wie Berlinguer in einer ersten Antwort dem Kritiker Amendola entgegenHielt.

So leicht macht es sich dieser jedoch nicht. Er meint vielmehr, daß Italiens Gewerkschaften, auch die kommunistische, Jeden objektiven Maßstab für die Arbeiterbedürfnisse“ verloren haben, weil sie allzu lange alle Ansätze echter Mitbestimmung oder auch nur Urabstimmungen über Streikbeschlüsse als „liberaldemokratisch“ verschrieen und die „Con- flittualita“, den Arbeitskonflikt als solchen, verherrlichten.

Unverblümt fordert Amendola deshalb, selbst zur Begrenzung des Streikrechts zu schreiten - „bevor es eine autoritäre Regierung machen wird“ - und auch die „gleitende Lohnskala“, also die vierteljährliche automatische Anpassung der Löhne an die Inflationsrate, zu ändern. Ihr Mechanismus habe dazu geführt, daß die Einkommen, zumal die höheren, in Italien viel mehr gestiegen seien als die Lebenshaltungskosten.

Und dies alles, dank der „lähmenden Passivität“ der Kommunisten, die es nicht wagten, die volle Konsequenz aus ihrer eigenen Parteilinie des „Historischen Kompromisses“ zur Rettung des Landes zu ziehen. Bewußt hatte Amendola provozieren wollen, was nun in einer bewegten Debatte ausbrach: Das alles sei der Arbeiterschaft doch nur zuzumuten, wenn man vorher das ganze verrottete System gründlich ändere und so „die Überwindung des Kapitalismus“ in Gang bringe - so wich Ber- ‘ linguer zunächst aus.

Darauf Amendola: „Man kann nicht auf die Umwandlung des Systems warten, um vom Volk die Opfer zu verlangen, die notwendig sind, um diese Umwandlung überhaupt erst durchzuführen.“

Damit hatte Amendola den Finger auf das - nicht nur ideologische - Zentralproblem gelegt, das Italiens Kommunisten seit Jahren, frei schwebend zwischen Opposition und Regierungsverantwortung, vor sich herschieben:

Wie kann man sich als Retter und Überwinder des Systems, als „konservativ und revolutionär zugleich“ (Berlinguer) glaubhaft machen? Mit „kleinen Vermittlungen“ zwischen beiden Richtungen, wie Amendola sarkastisch formulierte, oder mit dem Versuch, „die Mitte, die Synthese“ herzustellen, wie Berlinguer seine heikle Aufgabe definierte?

Daß ihm gegenwärtig kaum etwas anderes übrig bleibt, macht er mit fast entwaffnender Ehrlichkeit klar: Wie könne die Partei etwa den grollenden Arbeitern einen Lohnstopp nahelegen, ohne ihnen zugleich eine Perspektive auf tatsächliche, spürbare Gesellschaftsveränderung zu eröffnen? Wie überhaupt die von Amendola - sachlich zum Teil durchaus begründeten - Verzichte nahelegen? Was wäre die Folge?

„Das Minimum-Resultat wäre im Laufe weniger Tage oder Wochen, daß wie die .Piazza“, die Arbeiterversammlungen und -manifestationen gegen uns hätten? Und welchen Beitrag zur Rettung des Landes könnte eine kommunistische Partei noch leisten, deren Verbindung mit den Arbeitermassen zu tief zerrüttelt wäre?“

Mit diesen dogmatischen Sätzen hat Berlinguer die Argumente Amendolas zwar nicht entkräftet. Ihr Stachel wird - dies mag sogar der geheime Wunsch Berlinguers sein - weiterwirken. Überzeugend jedoch hat der Parteichef erkennen lassen, wie sehr Italiens Kommunisten zu Gefangenen einer selbstverursachten Lage geworden sind - und mit ihnen das Land.

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