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Andreottis Chance

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Die Vertrauensabstimmung im italienischen Senat sah alles andere als ein Glanzresultat, und Ministerpräsident Andreotti kann nicht ohne Sorgenfalten in die Zukunft blicken. 163 von 321 Stimmen — eine verschwindende Mehrheit. Und was die linksstehenden christdemokratischen Parlamentarier tun, wenn sie die Wahlzettel gefaltet und verstohlen in die Urnen einlegen können, haben sie bereits demonstriert. Bei den ersten geheimen Abstimmungen zur Bestellung der Vorsitzenden der parlamentarischen Kommissionen sind sie plötzlich auf Seiten der Links. Sozialisten und Kommunisten gestanden und haben den früheren Arbeitsminister Donat Cattin in den Sattel gehoben. Allerdings war Italiens Enfant terrible der fünften Legislatur nur sozusagen „für ein Mittagessen“ Präsident der Haushaltskommission. DC-Sprecher Piccoli machte sich groß und nötigte den Widerspenstigen zum Rücktritt.

Daß Donat Cattin klein beigegeben hat, läßt Italien aufatmen und neue Hoffnung schöpfen. Mit der Zustimmung im „Oberhaus“ hat Italien nach sechsmonatiger Krise wieder eine vollgültige Regierung. Die letzte solche Regierung war Colombos Links-Mitte-Kabinett, das am 14. Jänner zurückgetreten ist. Andreottis christdemokratisches Minderheitskabinett erhielt nie das Vertrauen des Parlaments, war lediglich dazu bestimmt, die ordentlichen Regierungsgeschäfte zu tätigen und hatte im übrigen für einen möglichst ruhigen Verlauf des Wahlkampfes vor den außerordentlichen Parlamentswahlen vom 7. Mai zu sorgen. Dieses erste Kabinett Andreotti, das ohne Vertrauen des Parlaments regierte, war verfassungsrechtlich eine Anornalität und bedeutete für di3 demokratischen Einrichtungen Italiens ein erhebliches Risiko.

Am 7. Mai bannte die Mehrheit des italienischen Elektorates — rund 20 von 36 Millionen Wählern und Wählerinnen — diese Gefahr, indem sie den auf dem Boden der parlamentarischen Demokratie stehenden Parteien ihre Stimme lieh. Auf Grund dieses Ergebnisses bemühte sich Andreotti um eine Koalition aller dieser Parteien, von den Linkssozialisten bis zu den Liberalen, was eine beträchtliche parlamentarische Mehrheit und damit eine breite Basis für die Regierung abgegeben hätte. Diese Bemühungen des Ministerpräsidenten sind einstweilen am Widerstand der Linkssozialisten gescheitert, doch ist es nicht rundweg ausgeschlossen, daß sie angesichts der Gefahr eines Staatsstreiches von rechts oder links im Herbst, spätestens im Frühjahr, nach den linkssozialistischen und christdemokratischen Parteikongressen, von Erfolg gekrönt sein werden. Mittlerweile i muß die liberale Partei zeigen, daß : sie eine aufgeschlossene Zentrumspartei, keine bloße Interessenrvertre-terin der Hochfinanz und des Großbürgertums ist, daß sie die Dringlichkeit der Durchführung von Sozialreformen wirklich einsieht und keine rückständige Politik betreibt.

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