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Linksrutsdi oder Diktatur?

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Mit dem Rücktritt der Minderheitsregierung Steianopoulos und der blitzartigen Bdidung des überparteilichen Kabinetts Paraskevopoulos steht das griechische Volk endlich vor den Wahlen, die ihm bereits 1965 nach der Julikrise zugestanden wären: König Konstantin hat die Ubergangsregierung des im Bankfach wie in der Politik routinierten Gouverneurs der Griechischen Nationalbank mit der Durchführung von Neuwahlen bis Ende Mai 1967 beauftragt, die unter dieser Voraussetzung auch mit der parlamentarischen Unterstützung der Zentrumsunion Papandreous rechnen kann, die selbst nach der Abspaltung des liberaldemokratischen Flügels immer noch die stärkste Fraktion stellt.

Zwei Geburtsfehler

Zunächst gilt es von der alten Regierung Abschied zu nehmen. Säe hat immerhin durch 15 bewegte Monate die Geschicke des Landes in Händen gehalten und sich damit zumindest einen Nachruf verdient, mag sie auch noch so leise von der politischen Bühne hinweggehuscht sein.

Das Kabinett Stefanopoulos, das Bildung und Bestehen der Überzeugung des Königs und der Rechtsparteien verdankte (die Chancen Papandreous würden desto geringer, je länger man die Wahlen hinausschiebe), war mit zwei Geburtsfehlern behaftet: Fürs erste war es eine Minderheitsregierung, die sich nur durch Nachgeben, Nachgeben und nochmals Nachgeben über Wasser halten konnte. Sodann setzte sie sich aus ehemaligen Abgeordneten Papandreous zusammen, die durch ihren Kurswechsel irgendwo dem Mandat ihrer Wähler untreu wurden. Dieser Makel trifft jedoch nicht die „Apostaten“ allein, sondern den griechischen Parlamentarismus in seiner Gesamtheit, in dem das Wechseln von einer Fraktion zur anderen während der Legislaturperiode gang und gäbe ist. Anderseits verrät diese Praxis den gesunden Grundsatz, daß der Abgeordnete nicht Vertreter einer einseitigen Parteiideologie, sondern in erster Linie Beauftragter seines Wahlkreises ist. Es gibt im griechischen Parlament Mandatare, die im angestammten Wahlkreis schon unter den gegensätzlichsten Flaggen kandidierten und jedesmal gewählt wurden. Bei diesen Verhältnissen wäre Franz Olahs Alleingang ein voller Erfolg geworden!

Abgesehen von diesen Mängeln hat sich die Regierung Stefanopoulos wacker geschlagen. Ihr führender Wirtschaftsexperte, Koordinationsminister Mitsotakis, konnte Währung, und Staatsfinanzen ebenso durchgreifend stabilisieren wie es dem Kabinett ohne polizeistaatliche Allüren und unter sorgsamer Wahrung der demokratischen Freiheiten der Bürger gelang, die revolutionäre Stimmung Schritt für Schritt abzubauen. Gezwungen, sich die Zustimmung des Parlaments für jeden Gesetzentwurf neu zu verdienen — wie mancher Regierung mit absoluter Mehrheit täte das gut —, bewältigten die Liberaldemokraten ein Gesetzespensum, das frühere Regierungen mit mehrjähriger Amtszeit in den Schatten stellte: Das gesamte Strafrecht — zum Teil galten noch byzantinische Rechtsverordnungen — wurde neu kodifiziert, ein umfangreiches Sozialwerk für die Landbevölkerung ins Leben gerufen, die Beziehungen von Staat und Kirche klar geregelt, endlich ein einheitliches Gehaltsschema für die Staatsangestellten eingeführt und ein großangelegtes industrielles Investitionsprogramm in die Wege geleitet. Der Zyperndialog allerdings, die größte außenpolitische Kraftanstrengung des schwachen Kabinetts, wurde zu dessen Verhängnis: 24 Stunden, nachdem Außenminister Toumbas abgekämpft von seiner Begegnung mit Caoiai/anQil nach Athen zurückgekehrt war, ließ die Nationalradikale Union ERE die von ihr bislang gestützte Regierung fallen.

Vater und Sohn

So positiv die konkreten Leistungen der abgetretenen Regierung zu beurteilen sind, so ernste Zweifel bestehen daran, ob sie den geheimen Zweck ihrer Auftraggeber, die Schwächung der Position Papandreous, erreicht hat. Der geradlinige Kurs des greisen Oppositionsführers und die demokratischen Schönheitsfehler der Minderheitsregierung und ihre Helfer riefen eher gegenteilige Reaktionen hervor.

Der einzige Unsicherheitsfaktor, der einen klaren Wahlsieg Papandreous gefährden könnte, sind die Linkskurven seines Sohnes und präsumtiven Nachfolgers Andreas. Der angesehene Nationalökonom und Linksintellektuelle kommt zwar bei den Wählern gut an, es fragt sich nur, wie lange die freiheitlich gesinnten Gruppen der Unionspartei Papandreous, die sich aus den ehemaligen Liberalen, der Bauernpartei und der Demokratischen Union zusammenschloß, gute Miene zum bösen Spiel mit der Volksfront machen. Von dieser Seite könnte das einzige Hindernis für Papandreous Wiederwahl als Führer der stärksten Partei erwachsen, doch sind erfahrene Beobachter der Ansicht, daß Vater und Sohn ein abgekartetes Spiel liefern, um Liberale und Linksblock in gleicher Weise bei der Stange zu halten.

Die anderen Parteien

Interne Schwierigkeiten stehen auch der Nationalradikalen Union bevor, die unter Karamanlis jahrelang die Regierung gestellt hatte. Die Gegensätze zwischen ihrem monarchistischen Flügel, den fortschrittlichen Radikalen, die Karamanlis aus Paris zurückberufen wollen, und der republikanischen Mittelgruppe unter dem besonnenen Parteivorsitzenden Stefanopoulos sind anläßlich des Regierungswechsels neu aufgebrochen.

Dafür Sind die mehr als eigenartigen Umstände verantwortlich, unter denen Kanellopoulos dem Regierungschef Stefanopoulos das Mißtrauen seiner Partei ausgesprochen hatte, was diesen zur Demission zwang. Der Vorsitzende der ERE hatte nämlich auf eigene Faust gehandelt, nachdem ihn weder der Parteivorstand noch die Fraktion ermächtigt, ja vielmehr Bedenken angemeldet hatten. Seine Gegner warfen Kanellopoulos vor, seine Eile sei auf die Angst vor einer baldigen Rückkehr von Karamanlis zurückzuführen, der ihn, wie schon dagewesen, in den Schatten stellen würde. Dem habe er durch die Schaffung von vollendeten Tatsachen zu begegnen gehofft.

Sollte es dem klugen Vermittlungspolitiker dennoch gelingen, die Einheit der Partei zugleich mit dem von ihm eingeleiteten demokratischen Mittelkurs zu wahren und ein verfrühtes Eingreifen des energischen, aber tollpatschigen Karamanlis zu verhindern, dann wird die ERE als einflußstarke Opposition aus den Wahlen hervorgehen.

Daß die Wirrnisse der letzten Jahre auch den Kommunisten zugute kommen werden, daran besteht von vornherein kein Zweifel.

Das „Professorenkabinett“

Ministerpräsident Paraskevopoulos jedenfalls wird es sich mit keinem der großen Rivalen verderben. Daß er in der Kunst der politischen Anpassung und Farblosigkeit ein Meister ist, hat der 1909 geborene Karrieremacher in allen Übergangsregierungen seit Kriegsende bewiesen: Nachdem er 1945 Ernährungsminister und 1958 Handels- und Industrieminister gewesen war, erreichte er den Gipfel der Wandlungsfähigkeit, als er als stellvertretender Ministerpräsident 1961 der ERE, und 1963/64 als Ministerpräsident der Zentrumsunion in gleicher Beflissenheit zu Diensten stand.

Seine Minister werden ihm kaum Schwierigkeiten machen. Dem „Professorenkabinett“ gehören die Rektoren der Universitäten von Athen und Thessaloniki, Wirtschaftswlssenschaftler, Theologieprofessoren und höhere Beamte an. Lauter illustre Namen, die auf dem ihnen ungewohnten politischen Parkett kaum Initiative entfalten werden.

Die Schlüsselministerien, Verteidigung und Koordination, hat sich Paraskevopoulos selbst vorbehalten. Das berührt seltsam, war doch das Verlangen Papandreous nach dem Verteidigungsministerium die formelle Begründung seiner Entlassung als Ministerpräsident gewesen. In diesem Zusammenhang weist die liberaldemokratische Partei, die voraussichtlich in der Vertrauensabstimmung mit den Kommunisten gegen Paraskevopoulos stimmen wird, auf die frappierende Parallele zur Ubergangsregierung des Jahres 1936 hin, die der Diktatur des Generals Metaxas den Weg bereitete.

Das Gespenst der Diktatur

Man flüstert in diesen Tagen überhaupt viel zuviel von Diktatur. Kreise des Hofes und der extremen Rechten haben durchblicken lassen, daß Papandreou auf keinen Fall nochmals an die Regierung kommen dürfe. Das bedeutet tatsächlich Diktatur, sei es nun nach oder schon vor den Wahlen. Bezeichnenderweise hat sich auch König Konstantin dieses Hintertürchen offen gelassen, als er In seiner Rundfunkbotschaft zum Regierungswechsel Ruhe und Ordnung als unumgängliche Voraussetzungen für die Durchführung der Wahlen nannte. Nichts aber ist einfacher, als die Ruhe zu stören und die Übergangs- zur Dauerregierung verlängern zu lassen. Ein Ministerpräsident, der zugleich die Armee und als Koordinationsminister das Zusammenwirken aller Ministerien kontrolliert, käme einem Diktator gleich.

Papandreou wurde die Angelegenheit jedenfalls unheimlich, und noch am selben Tag, an dem der König seine Botschaft verlesen hatte, forderte der Oppositionsführer in einer mitternächtlichen Erklärung die Vorverlegung der Wahlen auf März und eine strenge Kontrolle der Regierung.

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