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Gute, alte Obristenzeit?

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In der letzten Juliwoche 1974 hatte es in Hellas praktisch nur „Demokra-tiejubler“ gegeben: Massen, die nach der Abdankung des nach siebenjähriger Diktatur in jeder Hinsicht abgewirtschafteten Militärregimes hinunter zum Athener Flughafen zogen, um ihrem wieder ersten demokratischen Regierungschef, Konstäntinos Karamanlis, bei seiner Rückkehr aus dem Pariser Exil einen triumphalen Empfang- zu bereiten. „Erchetai, er-chetai''j riefen die ■Sprächchöre und es stand auf den Spruchbändern: „Er kommt, er kommt, endlich kommt er.“

Heute, fünf Jahre nach diesem spontanen Volksfest, war während der Jubiläumsfeier der Regierung Karamanlis kein nationaler Jubel mehr zu hören. Es war nur mehr schmalspurige Parteiangelegenheit seiner „Neuen Demokraten“, die nach dem großen Wahlsieg vom November 1974 dann 1977 ihre Zweidrittelmehrheit verloren haben.

Und selbsjt eine einfache Mehrheit für Karamanlis wäre fraglich geworden, hätte man die Hellenen termingemäß 1978 und nicht schon ein Jahr verfrüht zu den Urnen gerufen: Denn die Stimmung im Volk ist heute schon wieder genauso gegen den großen alten Mann der griechischen Politik wie sie vor fünf Jahren hundertprozentig zu seinen Gunsten gewesen war.

Hauptsächlich kommt dieser Stimmungsumschwung den Linksparteien mit den Sozialisten Andreas Papandreous an der Spitze zugute. Doch zunehmend auch einer „nationalistischen“ Rechten, zu der sich die Ehemaligen des Militärregimes und Royalisten zusammengefunden haben. Jene Royalisten, die Karamanlis seinen Widerstand gegen jegliche Rückkehr oder gar Restauration des von den Obristen 1967 vertriebenen und 1973 abgesetzten Königs Konstantin II. einfach nicht verzeihen wollen.

So sind seit den Schrecken der Militärdiktatur mit Folter und Standrecht kaum fünf Jahre vergangen und bereits macht in Athen und Thessaloniki, auf den Inseln und in den Bergen des Pindos der Slogan von der „guten, alten Obristenzeit“ zunehmend die Runde. Es sind nicht nur Dumme, sondern viele Verbitterte und Enttäuschte, die diesen gefährlichen Reim nachbeten:

Die Haus und Wohnungseigentümer, denen Karamanlis die Einkommenssteuer auf 60 Prozent gesetzt hat, um seine Truppen mit U-Booten aus Deutschland, österreichischen Steyr-Panzern und modernstem Zubehör aus der schweizerischen Waffenfabrik örlikon gegen die Türkei aufzurüsten. Da sind die einflußreichen Lokalpolitiker wie ein Theoto-kis auf Korfu, die nichts von einem modernen Parteiprogramm, sondern nur von ihrer Hausmacht und Klien-tele wissen wollen.

Da gibt es tragische Typen wie die blonde Offizierstochter Mary, die vormittags in den Nobelcafes von Ko-lonaki über Politik diskutiert und die Militärjunta verteidigt, abends aber vor dem Stundenhotel in der Odos Athinas zu finden ist, weil der Vater mit Papadopoulos, Pattakos, Ioanni-dis und anderen Diktaturgrößen im Zuchthaus von Korydallos sitzt und ihr Mann sie und die Kinder nach der Re-Demokratisierung sitzen gelassen hat.

Das viel breitere Abrücken der Griechen von ihrem Freiheitsbringer Karamanlis ist aber nicht mit solchen Einzelfällen und Gruppeninteressen allein zu erklären. Auch nicht durch den bei uns schon langsam sprichwörtlichen politischen Wankelmut der Hellenen:

Den Griechin geht es einfach heute unter der Demokratie wesentlich schlechter als zur Zeit der Obristen-herrschaft. Das ist nun nicht die Schuld von Karamanlis, doch richten sich die Emotionen naturgemäß gegen ihn. Er hatte das Erbe der militärischen Mißwirtschaft und der Zypernkatastrophe von 1974 anzutreten, steckte gleich darauf tief in der Energiekrise und konnte die für beträchtlich gehaltenen griechischen Erdölvorkommen in der Ägäis wegen dos Disputes mit der Türkei um diese Reserven bis heute nicht ausnützen.

So ist Hellas in den fünf Jahren der Demokratie ein Land der Inflation, der Streiks, der sozialen und politischen Unrast geworden. Ein Licht am Ende des Tunnels leuchtet erst 1981 mit der vollen Mitgliedschaft in der EG. Bis dahin müßte Karamanlis politisch und physisch noch durchhalten, ehe er sich ins Ausgedinge des Staatspräsidenten zurückzieht.

Hoffentlich ist ihm seine Flucht nach Paris von 1963, als er vorzeitig die Flinte ins Korn warf, für diese seine zweite Regierungsperiode eine Lehre geworden.

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