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Griechische Skizzen

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Die kleinen Befestigungen und Betonunterstände, die von den Deutschen während des zweiten Weltkrieges entlang den Bahnlinien von der jugoslawischen Grenze an gebaut wurden, begleiten den Reisenden von Aßling nach Agram und Belgrad und dann durch das ganze Wardartal und Mittelgriechenland bis zu den Vorstädten Athens. Sie sind im neuen Hellas ebenso bemannt wie vor zehn Jahren,- ja, bald wird man sich gewahr, daß das ganze Land einem Kriegslager gleicht, was nicht wunderzunehmen ist, da fast vierzig Prozent des griechischen Staatshaushalts für Heer und Flotte ausgegeben werden. Die Zerstörungen des

Weltkrieges verschwinden neben den Verwüstungen des Bürgerkrieges, der von 1944 bis 1949 tobte.

Griechenland ist heute ein armes, aus hundert inneren Wunden blutendes Land. Fast wie bei uns ist der Wiederaufbau nur mit fremder Hilfe möglich. Das innere kommunistische Problem kann heute mehr oder weniger als gelöst gelten, denn die wirklich freien Wahlen haben gezeigt, daß nicht mehr als neun Prozent weißer Stimmzettel abgegeben wurden. Die ganze kommunistische Gefahr ist ja auch nur durch die Kurzsichtigkeit westlerischer Organisatoren des Widerstandes gegen die Deutsche Wehrmacht heraufbeschworen worden, die durch zivile Terrororganisationen den deutschen Koloß besiegen wollten, dabei afcer den Spezialisten der „Untergrundorganisationen“, das heißt den Kommunisten, in die Hände spielten; sie lieferten ihnen das Waffenmaterial. Wie viele der Tommys fielen dann in den Jahren 1945/46

den Fabrikaten der Firma Vickers-Arm-strong und B. S. A. zum Opfer*

Wenn man „Kommunismus“ spricht, berührt man in Griechenland auch das wirtschaftliche Problem, das trotz aller auswärtigen Hilfe immer noch seiner Lösung harrt. Eine Ausstellung in der Churchill-Straße, dem früheren H o d 6 s Stadiou, zeigt anschaulich den Wiederaufbau Griechenlands in Photographien, Photomontagen und statistischen Symbolen, aber die Tatsache bleibt bestehen, daß das Land für seine jetzige Wirtschaftsformen übervölkert ist. Zum Teil ist noch eine frühere Katastrophe, der sogenannte „Bevölkerungsaustausch“ zwischen Griechenland und der Türkei nach dem Frieden von Lausanne, dafür verantwortlich. Dies war eine Katastrophe, die nie ganz überwunden wurde und das vieledle Vorbild anderer, ähnlicher Maßnohmen nach dem zweiten Weltkrieg wurde. Nun ist aber Griechenland weder imstande, sich zu ernähren, noch ist es genügend industrialisiert. Griechenland ist kein bukolischer Traum von einer malerischen Campagne, sondern ein arides Mittelmeergebiet wie Süditalien 'oder Spanien mit vollkommen trockenen Sommern, karstigen Gebirgen und von Erosion heimgesuchten Feldern, die hie und da ein kleiner Hain unterbricht. Selbst das einst kuhreiche Bqotien liegt da in staubiger Sommerhitze, und erst in Attika mehren sich die Bäume. Für eine größere Industrialisierung fehlen im Land die Kapitalien. Nicht vergessen darf man auch, daß die einst große Handelsflotte der Griedien, die auf dem Wege dazu waren als internationale Frachter eine bedeutende Rolle zu spielen, durch den zweiten Weltkrieg zum größten Teil vernichtet wurde. Schon wird auch von der Opposition die voreilige Anklage erhoben, die Zuwendungen der Marshall-Plan-Hilfe seien nicht rationell angewendet worden. In den letzten Monaten kam dazu die Krise, die mit dem Namen des Generals Papagos ausgelöst wurde, und auch hier wieder kam es zu politischen Auseinandersetzungen und Debatten, in denen das persönliche Moment vor dem rein weltanschaulichen stets den Vorrang hatte.

Daß Griechenland eine Monarchie geblieben ist, kann als sein Glück bezeichnet werden, denn das unruhige, bewegte, aber auch intelligente griechische Volk, in zahlreiche Gruppen und Richtungen zerspalten, besitzt außer der Krone keinen gemeinsamen Nenner, auf den es sich einigen könnte. In Theorie lebt zwar der alte bürgerliche und liberale Republikanismus noch weiter, aber er hat seine Stoßkraft verloren; der Sohn des verstorbenen Eleftheros Venizelos ist heute Ministerpräsident und besitzt das volle Vertrauen des Herrschers. Die Monarchie ist durch die Person des Königs und der Königin volkstümlicher als früher. Georg II. war ein schwieriger und strenger Herr, kinderlos und geschieden, eine Monarchie ist jedoch eine familienhafte Einrichtung, sozial eher denn politisch. Die Popularität der Königin, deren Bild alle Ämter ziert, ist vielleicht auch größer als die des „Basileus“. Diese unermüdliche, junge Frau durchstöbert selbst in entlegensten Winkeln des Landes — Kinderheime, Klöster, Kasernen und selbst das „Anhaltelager“ auf Makrönisi. Das Konzept des griechischen Volkes als einer Großfamilie bedarf der steten Stärkung, denn die Griechen, wie alle “Balkanvölker, sind im Grunde ihrer Herzen Demokraten, und das soziale Gefüge des Landes weist große Spannweiten auf. Zwischen dem Lykabetos in Athen und dem Verfassungsplatz erstreckt sich ein wohlhabendes Viertel, „Kolonaki“ genannt, vornehmlich von Neureichen besiedelt; viele von diesen sind kleinasiatische Griechen, die zumeist ohne einen Heller vor 25 Jahren gelandet sind, oder auch ägyptische Hellenen, die den Handel des Nillandes kontrollieren. Wiewohl Reichtum und Armut voneinander sich schroff abheben, bleibt aber doch wie in allen Mittelmeerländern die Tatsache bestehen, daß eine Enteignung großen Stils das Los der Unterschichten kaum ändern würde; die Zahl der Reichen ist so klein und ihr Vermögen dazu noch in aller Welt zerstreut, daß auf jeden Bürger bei voller Sozialisierung der Großvermögen nur ein kleiner, einmaliger Betrag entfallen würde. Die ältere, zumeist landbesitzende Oberschichte, nüchtern und patriarchalisch, wirtschaftlich oft in bescheidenen Verhältnissen lebend, ist im öffentlichen Bilde wenig zu sehen ...

Neben diesen wechselnden Erscheinungen des heutigen Griechenlands gibt es aber auch bleibende, ja ewige Werte, die den Reisenden aus aller Welt ins

Land locken. Da ist das alte, heidnische Hellas mit den Resten seiner unvergeßlichen Schönheit; da ist das christliche Hellas, mit seinen Erinnerungen, die zu den Aposteln zurückführen; da ist schließlich auch das denkende, dichtende, ringende Griechenland von heute, ein christliches Volk am Rande unserer Kulturwelt. An diesem Volke fesseln die Zeichen eines religiösen Aufbruchs, der aus zwei ganz bestimmten Lagern zu kommen scheint. Diese Wende hat einen zum Teil intellektuellen Charakter. Da ist der Verband „Zoe“ („Leben“), der hauptsächlich aus Laien sich zusammensetzt, die auch mit nichtorthodoxen Christen enge Beziehungen unterhalten. Die Schaffung des Verbandes, der über eine Zeitschrift verfügt, regte in kirchlichen Kreisen den Gedanken an, ein Volks-apostolat auf breiter Grundlage zu schaffen, das unter kirchlicher Leitung alle Schichten umfassen sollte. Es war die Idee des Theologieprofessors Welas, die „Apostolike Diakonia“ ins Leben zu rufen, die unter dem Episkopat Griechenlands steht und nun eine rege Tätigkeit entfaltet. Unter den Hauptaufgaben der „Apostolike Diakonia“ interessiert den Mitteleuropäer am meisten das Vorhaben: Wiedereinführung und Studium des Bußsakraments; obwohl immer als Sakrament anerkannt, ist die Beichte am Balkan (nicht aber in Rußland) weit in Vergessenheit geraten, selbst in der pastoralen Erziehung der orthodoxen Seminare. Deshalb hat die „Apostolike Diakonia“ zehn Theologiestudenten nach Frankreich geschickt, wo sie in k a t h o-lischen Seminaren ihre Ausbildung ergänzen sollen.

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