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Harter Kampf um den Weg nach Brüssel

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Gerade noch rechtzeitig vor Beginn der Parlamentsferien am 1. Juli haben in der Athener „Boule“ rund drei Fünftel der dreihundert griechischen Volksvertreter dafür gestimmt, daß Hellas zum 1.1.1981 nach langer Assoziierung endlich Vollmitglied der EG werden soll.

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Gerade noch rechtzeitig vor Beginn der Parlamentsferien am 1. Juli haben in der Athener „Boule“ rund drei Fünftel der dreihundert griechischen Volksvertreter dafür gestimmt, daß Hellas zum 1.1.1981 nach langer Assoziierung endlich Vollmitglied der EG werden soll.

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Für die eigentlich erforderliche Zweidrittelmehrheit, um die antike Wiege Europas mit den Europäern von Brüssel zu verbinden, die mehr auf Wirtschaftsintegration und Währungssystem wie auf Abendland und klassische Kultur setzen, hat es nicht ganz gereicht: die auf den EG-Beitritt eingeschworenen „Neuen Demokraten“ des seit dem Ende der Athener Militärdiktatur vor bald fünf Jahren an der Regierung befindlichen Ministerpräsidenten Konstantinos Kara-manlis haben ihre ursprüngliche Zweidrittelmehrheit bei den letzten Wahlen im November 1977 verloren.

Und die Oppositionellen von der äußersten Rechten bis zu den moskautreuen Kommunisten ganz am linken Flügel waren aus verschiedenen Motiven beinahe alle gegen jede noch engere Bindung Griechenlands an Westeuropa festgelegt.

Der konservative Parlamentspräsident Papakonstantinou mußte sich daher eine ziemlich umstrittene Verfassungslücke zunutze machen, um den endlich gegen die verschiedensten Widerstände freigekämpften Weg nach Brüssel nicht am inneren Widerstand eines starken Teiles der griechischen Bevölkerung und ihrer parlamentarischen Repräsentanten doch noch scheitern zu lassen.

Die EG hatte den Griechen ihren Beitritt wirklich nicht leicht gemacht: Bei den Einwänden war es um den Import der berühmten hellenischen Retsina-Harzweine, aber auch um Grundsatzfragen wie den im zentrali-stisch-nationalen Hellas völlig fehlenden Minderheitenschutz für Balkanromanen, Albanesen und slawische Mazedonier sowie die hier zugunsten des orthodoxen Staats-kirchentums erheblich eingeschränkte Religionsfreiheit gegangen. Die Regierung Karamanlis, der in diesem Frühjahr dennoch in Athen die feierliche Unterzeichnung der Beitrittsakte in Anwesenheit vieler europäischer Staats- oder Regierungschefs gelungen war, wollte sich daher von der Opposition absolut keinen Strich durch die Rechnung machen lassen.

Dieser „konstitutionelle Staatsstreich“, wie ihn ein linksliberaler Abgeordneter nannte, trat daher in der über zweiwöchigen Parlamentsdebatte vor dem grundsätzlichen Wert oder Unwert der griechischen EG-Mitgliedschaft so ziemlich in den Vordergrund.

Nicht nur die neutralistisch eingestellten Panhellenischen Sozialisten (Pasok) von Andreas Papandreou und die beiden kommunistischen Fraktionen, sondern auch liberale und unabhängige Deputierte unterstrichen den Standpunkt, daß die Integrierung Griechenlands in die Europäischen Gemeinschaften eine Souveränitätsabgabe und damit Verfassungsänderung darstelle und deshalb mit Zweidrittelmehrheit verabschiedet werden müsse.

In sachlichen Belangen betonte gerade Andreas Papandreou in einer großangelegten Grundsatzerklärung, daß für Hellas mit seiner kommunistischen Nachbarschaft auf der Balkanhalbinsel, zu der sich die Beziehungen in den letzten Jahren endlich ganz wesentlich verbessert haben, das Vorbild der europäischen Neutralen Österreich, Schweden und Schweiz viel mehr in Frage käme als der Anschluß an das „westliche NATO-Europa“. Denn das sei von Griechenland weit entfernt und unterstütze überdies insgeheim oder auch schon wieder offen den griechischen Erzfeind Türkei.

Damit war der hellenische Sozialistenführer, dem viele im Land bei den nächsten Wahlen von 1981 den Sturz der Regierung Karamanlis zutrauten, bei seinem eigentlichen Leibtherria angelangt. Schon sein Aufstieg 1977 von einem knappen Dutzend Abgeordneter zur zweitstärksten Partei Griechenlands war geschickter Ausnützung der Zypern-und Ägäiskrise sowie antitürkischer Stimmungsmache zu verdanken gewesen.

Bereits während dieser EG-Debatte in der Halbzeit der parlamentarischen Legislaturperiode war anzumerken, daß Papandreou dieses Thema nicht allzulang weiter verfolgen wird. Der Europagedanke ist in Griechenland einfach zu populär, als Ideal einer geistigen Gemeinschaft vielleicht sogar volkstümlicher als in allen bisherigen Mitgliedsstaaten der EG.

Dazu kommen ganz konkrete Interessen breitester Bevölkerungsschichten an Erleichterungen für die sonst bei jeder Rezession mit Heimschickung bedrohten griechischen Gastarbeiter, am erleichterten Export von Südfrüchten, Weinen und vor allem Tabak der in Griechenland angebauten vorzüglichen leichten orientalischen Sorten.

Gegen diese Strömung kann auch der europafeindliche Ideologie Papandreou auf die Dauer nicht schwimmen, wenn er Griechenlands nächster und diesesmal sozialistischer Regierungschef werden will. Sein einziger europakritischer Bundesgenosse im Lager der Sozialistischen Internationale wäre Maltas Dom Mintoff, der aber nach den letzten Erfahrungen mit den libyschen Nachbarn auf einmal wieder sehr innig nach Brüssel blickt.

Und so sieht es doch eher beruhigend danach aus, daß das Inkrafttreten des griechischen EG-Beitritts zum Jahresanfang 1981 nicht durch einen Wahlgang im selben Jahr rückgängig gemacht werden könnte. Das Athener Parlament will sich gleich bei Eröffnung der kommenden Herbstsession an die Arbeit machen, um Griechenland „europareif' zu machen, von orientalischen Relikten der 500jährigen Türkenherrschaft frei zu machen.

Einer der ersten Schritte soll gesetzliches Verbot des praktisch bestehenden Mitgiftzwangs sein, der Griechinnen ohne reiches Elternhaus oft bis auf den heutigen Tag dazu zwingt, fast bis ins Pensionsalter zu arbeiten und zu sparen, um sich dann einen Ehemann „ermitgiften“ zu können. /

Und die Abschaffung dieses mittelalterlichen Zwangs Europa zuliebe dürfte mit einer der Gründe sein, weshalb gerade die griechischen Frauen so begeistert von der EG und ihrem Wortführer Karamanlis sind. Und das könnte vielleicht auch Papandreou noch einen Strich durch seine Rechnung vom Machtwechsel machen...

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