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Das Kräfte-Parallelogramm

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Waffenstillstand in Zypern. Das begrenzte Ausmaß der türkischen Invasion kann als Indiz dafür gewertet werden, daß Ankara die Weichen zur seit langem vorgeschlagenen Teilung der Insel entlang des 35. Breitengrades gestellt hat. Das hieße Enosis für die Griechen, Vereingung mit dem Mutterland, aber auch für die Türken. Athen ebenso wie Makarios haben dies bislang abgelehnt. Aber auch ein neutrales, unabhängiges Zypern könnte als Ergebnis der bevorstehenden Konferenz wiederhergestellt werden. Eine Hoffnung für viele griechische Demokraten, denn unter Makarios hatte die griechische Opposition in Zypern Mei-nungs- und Pressefreiheit.

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Waffenstillstand in Zypern. Das begrenzte Ausmaß der türkischen Invasion kann als Indiz dafür gewertet werden, daß Ankara die Weichen zur seit langem vorgeschlagenen Teilung der Insel entlang des 35. Breitengrades gestellt hat. Das hieße Enosis für die Griechen, Vereingung mit dem Mutterland, aber auch für die Türken. Athen ebenso wie Makarios haben dies bislang abgelehnt. Aber auch ein neutrales, unabhängiges Zypern könnte als Ergebnis der bevorstehenden Konferenz wiederhergestellt werden. Eine Hoffnung für viele griechische Demokraten, denn unter Makarios hatte die griechische Opposition in Zypern Mei-nungs- und Pressefreiheit.

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Der zypriotische Status quo ist tot — aber hat er je gelebt? Zyperns Realität ist seit langem ein immer wieder umgestoßenes, immer wieder neu hergestelltes, bestenfalls mühsam von Jahr zu Jahr gerettetes Gleichgewicht. Der letzte große Showdown liegt erst sieben Jahre zurück. Griechisch-zyprische Einheiten waren gewaltsam in ein Dorf eingedrungen — ehe die UNO-Trup-pen eingreifen konnten, kamen 30 Türken ums Leben. Auch damals bereitete sich eine türkische Inva-sionsflotte zum Auslaufen vor, während die türkischen Landstreitkräfte an der Grenze in Stellung gingen. Die Athener Obristen, erst wenige Monate an der Macht, gaben dem Druck aus Ankara zähneknirschend nach, riefen Grivas nach Griechenland und erklärten sich bereit, auch ihre Militärs aus Zypern abzuziehen

— aber damals war es Erzbischof Makarios, der sich der Auflösung der Nationalgarde widersetzte und einer Herabsetzung der Truppenstärke erst zustimmte, als sich U Thant bereit erklärte, das UNO-Kontingent aufzustocken'.

Drei Jahre zuvor, weniger als ein halbes Jahr nach der Ankunft von 5000 UNO-Soldaten, hatte die griechische Nationalgarde unter General Grivas . gedroht, eine türkische Enklave,, bei KQktoa.AU vernichten, und türkische Düsenflugzeuge hatten zypern-griechische Stellungen und Dörfer bombardiert.

Aber in der Nordostecke des Mittelmeeres kehren ähnliche Konstellationen nicht nur in Sieben- und Zehnjahreszyklen, sondern auch in viel größeren Bahnen wieder. Als sich Chruschtschow 1958 für den Zankapfel zu interessieren begann und mit lautstarken Drohungen das westliche Bündnissystem irritierte, wurde sofort verstanden, wovon er wirklich sprach: Nicht die Rechte der einen oder anderen Volksgruppe auf Zypern waren gemeint, sondern das sowjetische Mitspracherecht im Mittelmeer, sowjetische Präsenz, freie Passage via Bosporus, Dardanellen und Suezkanal in die neue Interessensphäre Indien, womit er nur ein altes Traumziel der Zaren wieder aufgriff.

Zyperns Schicksal ist seit Jahrtausenden Zankapfel-Schicksal und heißt Fremdherrschaft. Von Phöniziern besiedelt, von den Griechen kultiviert, von den persischen Königen besetzt und von Alexander befreit, Teil des römischen und des oströmischen Reiches, wurde Zypern von fränkischen Kreuzfahrern aus dem Haus Lusignan mit dem Schwert und von den venezianischen Kaufleuten mit dem Gold erobert. Franken und Venezianer unterdrückten den angestammten orthodoxen Glauben der Zyprioten, der erst von den türkischen Sultanen wieder in seine Rechte eingesetzt wurde. Die Osmanen eroberten die sees'trategisch überaus wichtige Insel 1571 und blieben 307 Jahre. Unter türkischer Herrschaft wurden die Leibeigenen frei, wurde der griechisch-orthodoxe Erzbischof zum Oberhaupt der griechischen Volksgruppe oder „Millet“ und mit dem Titel „Ethnarchos“ und dem direkten Zugang zur Hohen Pforte ausgestattet. Die türkische Politik war auch hier eine Politik der starken Hand in politischen Dingen, der Ausbeutung über hohe Steuern, aber einer strikten, im Abendland undenkbaren religiösen Toleranz.

Die Soldaten, die Zypern erobert hatten, blieben zum Teil. Einwanderer aus Anatolien folgten. Das Stärkeverhältnis zwischen Christen und Moslems schwankte, zeitweise bestand eine Moslemmehrheit, am Ende der türkischen Herrschaft stellten sie ein Viertel der Bevölkerung. Das türkische Dualregime, das die Christen dem Ethnarchen, die Moslems dem Pascha unterstellte und auf einem isolierten Nebeneinander ohne kulturelle Beziehungen beruhte, ist einer der auf Zypern noch immer weiterwirkenden desintegrierenden Faktoren. Die ersten Schwächezeichen des osmanischen Reiches zeigten sich früh. Die Schockwellen des nationalen Aufbegehrens pflanzten sich schnell zu den griechisch besiedelten, türkisch beherrschten Inseln fort. 1817 rebellierten die Serben, 1821 die Griechen, die Rumänen wollten ihre Selbstverwaltung ausweiten. Hellenisches National gefühl erfaßt die Inselgriechen, putscht die ohnehin starke Uber-Identifizierung isoliert lebender Gruppen mit dem Mutterland auf. Auf Zypern ist dieser Effekt besonders ausgeprägt. Nirgends hat sich das griechischbyzantinische Denken so rein erhalten, wie hier, unter dem Glassturz von Ethnarchentum und Millet-Autonomie. Kein griechischer Dialekt hat sich so viele homerische Wörter bewahrt wie das Zypern-Griechische. Dieser Boden ist seit tausend Jahren bereit für eine panhellenische Saat.

Die Saat reift im Treibhaus des Imperialismus. Seit der Antike gehört Zypern der jeweiligen Vormacht des Mittelmeeres. Die Engländer ' lösen die Osmanen in dieser Rolle ab. Die Zerfallssymptome des Osmanenreiches rufen sie auf den Plan. Noch bevor Mahmud II. die Janitscharen ausrotten, die Armee mit Hilfe Moltkes modernisieren und die Führung des Reiches straffen kann, macht sich sein Untertan Meihmed Ali, der Pascha von Ägypten, selbständig, modernisiert seine Armee als erster, erobert Syrien und dringt 1832 sogar nach Anatolien vor. Jeder hat seine Schutzmacht, Mehmed Ali die Franzosen, Mahmud die Engländer. Mehined Ali wird von seiner Schutzmacbt gefressen, die Türkei zwischen den Mahlsteinen Großbritannien und Rußland zum „Kranken Mann am Bosporus“.

Denn Bosporus und Dardanellen fördern die türkische Krankheit. Die „infernalische Straße“ (so nannte Admiral Duckworth die Dardanellen, nachdem er 1807 fast eingeschlossen worden wäre) und der Bosporus verpflichten denjenigen, der den Zugang Rußlands zum Mittelmeer (und der Rußland-Gegner ins Schwarze Meer) kontrolliert, zu einer Gi>3ßmachtrolle, in der es keinen Schwächemoment geben darf. Und das Osmanische Reich hatte, vor allem an seiner dekadenten Spitze, immer mehr und längere Schwächemomente.

1877/78 dringen die Russen tief in den Balkan ein und nähern sich Konstantinopel. Die englische Flotte ist bereit. Abdulhamid II., Despot und Hamlet in einem, überlaßt Zypern den Engländern als Gegenleistung für militärische und diplomatische Unterstützung. Der Berliner Kongreß bestätigt die Überlassung der Städte Batum, Kars und Ardahan an Rußland. Zwischen England und der Türkei wird vereinbart, daß die Briten Zypern verlassen, wenn Rußland Kars und die anderen Eroberungen dieses Krieges zurückgibt.

Als Sir Garnet Wolseley, Zyperns erster britischer Hochkommissar, in Larnaca an Land ging, begrüßte ihn der Bischof von Kition mit den Worten: „Wir akzeptieren den Regierungswechsel insofern, als wir glauben, daß uns Großbritannien — so wie schon den Ionischen Inseln — helfen wird, mit Mutter Griechenland, mit der wir auf natürliche Weise verbunden sind, vereinigt zu werden.“

Man schrieb das Jahr 1878, Ägypten und der Suezkanal standen noch nicht unter britischer Militärkontrolle, erst vier Jahre später sollte die Insel einen Teil ihrer strategischen Bedeutung verlieren. Als die Briten Zypern übernahmen, hatte die griechische Gemeinschaft eine traditionsreiche, eingespielte Selbstverwaltung. Die Türken hingegen mußten sich umstellen, vom herrschenden Element zur „Millet“, zur gleichberechtigten, sich selbst verwaltenden Volksgruppe. Die Griechen hatten seit vielen Jahrhunderten griechische Schulen, kulturelle und wirtschaftliche Einrichtungen. Die Türken mußten erst lernen, auf eigenen Füßen zu stehen. Als der Ottomanische Gouverneur abreiste, blieben den Inseltürken nur religiöse Institutionen, Koranschulen, Korangerichte und eine streng religiöse Führung. Beim Sultan verblieb bis zum Ersten Weltkrieg das Recht, den Direktor des Evkaf, der Moscheen und Schulen betreihenden Körperschaft, zu ernennen.

Leider wurde auch die britische Verwaltung Zyperns zu einem die Desintegration fördernden Faktor. Das System der Bikommunalität, des beziehungslosen Nebeneinander zweier autonomer Gemeinschaften, führte nicht zur Abnahme, sondern zur Vergrößerung der Spannungen zwischen den beiden Volksgruppen. Zusammenarbeit wurde nicht gefördert, die Erziehung der türkischen Kinder in türkischen und der griechischen Kinder in griechischen Schulen und die kulturelle Betreuung der Volksgruppen in isolierten Institutionen verstärkte nicht nur die Fremdheit zwischen den beiden auf der Insel ansässigen Völkern, sondern auch deren Bindung an die jeweiligen Mutterländer. Dem Kampfruf „Enosis“ der Griechen stellten schließlich die Türken ihre Forderung „Taksim“, Teilung der Insel in einen griechischen und einen türkischen Teil, entgegen.

Der wachsenden Völkerisolation unter britischer Ägide standen als Vorteile die Einführung einer geordneteren, integreren Verwaltung, vor allem aber eine starke wirtschaftliche Entwicklung Zyperns gegenüber. Was niemals so richtig funktionieren wollte, war der von den Hochkommissaren (später Gouverneuren) ins Leben gerufene „gesetzgebende Rat“, den die Griechen wegen seiner faktischen Machtlosigkeit verhöhnten und die Türken wegen ihrer zahlenmäßigen Unterrepräsentation ablehnten und der nur zum Schauplatz erbitterter Antagonismen wurde.

England war im Ersten Weltkrieg ein Gegner der Türkei — es fiel England, der Besatzungsmacht in Istanbul für einige Jahre, nicht leicht, den von Lloyd George geträumten „byzantinischen Traum“ zu begraben. Noch bei den Friedensverhandlungen von Lausanne 1925, bei denen Inönü als türkischer Delegationsführer brillierte, verstand England, Ankara von den Mo-sul-ölfeldern fernzuhalten (was man in der Türkei noch heute tief betrauert). Bald nach Lausanne begann der Prozeß der Annäherung,der zu einer dauerhaften und intensiven Freundschaft zwischen London und Ankara geführt hat. Diese Freundschaft bewährte sich vor allem im Streit um Zypern und bewährte sich auch wieder in der Aufnahme, die Erzbisohof Makarios, der Flüchtling, in London fand. Makarios, einst einer der Führer der „Enosisten“ und zeitweise Englands Internierter, wurde teils durch sein persönliches Machtstreben, teils durch seine politische Vernunft zum Vorkämpfer der zypriotischen Unabhängigkeit und damit zum natürlichen Interessenpartner der Türkei, die sich ihrerseits mühsam genug zu der Erkenntnis durchgerungen hat, daß Zypern verloren und den türkischen Interessen mit einem unabhängigen Zypern optimal gedient ist, solange die türkische Minderheit nieht griechischer Souveränität untersteht, und solange natürlich die Existenz einer griechischen Volksgruppe auf Zypern gesichert ist.

Nach 1878 kam es zu einer starken Abwanderung von Zyperntürken auf das Festland, die den türkischen Bevölkerungsanteil von rund 25 auf 18 Prozent heruntergedrückt hat. Eine weitere Verschlechterung dieses Verhältnisses ist keineswegs im Sinne Ankaras, denn eine starke türkische Minderheit auf Zypern ist Voraussetzung der türkischen Schutzmachtrolle. Die Zyperntürken sind Ankaras Argument gegen die Enosis, Vereinigung ganz Zyperns mit Griechenland, die wiederum nicht nur aus Rücksicht auf die auf Zypern lebenden Türken, sondern vor allem aus strategischen Gründen für Ankara untragbar wäre.

Dieses strategische Interesse der Türkei an Zypern ist ein sehr legitimes Interesse, wie ein flüchtiger Blick auf die Karte beweist. Die geopolitische Lage der Türkei ist alles andere als problemlos, und es ist die sowjetisch-griechische Umklammerung der Türkei zu Lande und zu Wasser, die dazu führt, daß man in Ankara, der Hauptstadt eines Landes mit jungen, aber starken demokratischen Traditionen, das Militärdiktatoren wie die griechischen verabscheut, ob des von den griechischen Obristen gesteuerten antikommunistischen Kurses doch sehr erleichtet ist. Ein kommunistisches Griechenland war für die Türkei vor allem in den Nachkriegsjahren ein echtes und großes Schreckgespenst, da in diesem Falle nur noch das vergleichsweise winzige Grenzstück mit dem Iran als sicher betrachtet werden könnte.

Trotz ihrer -.Stärke betrachtet die türkische Armee die der türkischen Westküste unmittelbar (und zum Teil auf Spuck-Distanz) vorgelagerten griechischen Inseln trotz deren Demobilisierung mit Mißtrauen. Im Falle eines militärischen Konfliktes und einer Blockade der Ägäis blieben die Häfen von Iskenderun, Mer-sin und das hier kaum zählende Antalya die einzigen Zugänge zum Mittelmeer, und Iskenderun wie Mer-sin können von Zypern aus mit Leichtigkeit blockiert werden. Ein griechisches Zypern wäre für die Türkei gerade im Zeichen drohender ölkonflikte mit Griechenland ein Pfahl im Fleische.

Anderseits wird Ecevit nicht nur durch die eigene Vernunft, sondern auch durch die strategisch schwierige Lage Zurückhaltung auferlegt. Eine Involvierung der Sowjetunion in den Zypern-Konflikt, wie sie Makarios als letzten Strohhalm immerhin ins Auge fassen könnte, wäre weder im Sinne der USA noch der Türkei. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß sich die Sowjetunion nur zu gerne ein wenig in den Zypern-Konflikt hineinziehen ließe — nicht so stark, daß der ohnehin SALT-angeschlagene Konsensus mit den USA in Gefahr geriete, aber doch genug, um im Mittelmeer stärker Fuß fassen zu können. Was Makarios nur recht sein könnte, wäre der Türkei bestimmt nicht billig; der Status quo an Bosporus und Dardanellen, die durch kein Abkommen garantierte, aber vom Wegschauen legitimierte freie Durchfahrt sowjetischer Schiffe, ist labil genug. Und eine sowjetische Präsenz in Zypern ist nicht gefragt.

Der Brei ist heiß, die Katzen schleichen um ihn herum — der einzige Freund, der sich voll mit den türkischen Zypern-Interessen identifiziert, ist Großbritannien, und nicht erst seit gestern, obwohl England seine Schutzmacht-Rolle nach dem Zweiten Weltkrieg an die USA abtreten mußte. Im Krieg und in der unmittelbaren Nachkriegszeit war England in Ankara die einflußreichste ausländische Macht, doch überstieg die Last der Verpflichtung, die Türkei vor der drückenden sowjetischen Übermacht zu beschützen, schon 1947 die materiellen Möglichkeiten Londons. Deshalb wurde den USA der Weg freigegeben, Hauptschutzmacht der Türkei zu werden, wobei London stets stiller Teilhaber Washingtons geblieben ist. Dabei war London ursprünglich von der NATO-Mitgliedschaft der Türken gar nicht erfreut, da man in London andere Pläne mit den Türken hatte — sie sollten die Mittelost-Verteidi-gungsorganisation führen und traten auf britischen Wunsch in den Bagdadpakt und späteren CENTO-Pakt ein. Es waren die starken Bande mit der Türkei, die Großbritannien ver-anlaßten, allen Enosis-Plänen mit einem entschiedenen Nein entgegenzutreten.

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