6840530-1975_41_06.jpg
Digital In Arbeit

Armee als Schatten

19451960198020002020

Welche politische Bedeutung haben die türkischen Wahler. 1 vom 12. Oktober? An diesem Stichtag entscheidet der Stimm- j zettel über die Nachfolge freiwillig ausgeschiedener oder verstor- s bener Abgeordneter der Großen Nationalversammlung, die nur ^ etwa alle zwei Jahre ersetzt werden. Da &re Zahl jedoch zu ge- J ring ist, um die parlamentarische Arithmetik wesentlich zu ver- ' ändern, muß die Nationale-Front-Regierung aus vier Parteien 1 keinen Verlust der bisherigen komfortablen Mehrheit befürchten. 1

19451960198020002020

Welche politische Bedeutung haben die türkischen Wahler. 1 vom 12. Oktober? An diesem Stichtag entscheidet der Stimm- j zettel über die Nachfolge freiwillig ausgeschiedener oder verstor- s bener Abgeordneter der Großen Nationalversammlung, die nur ^ etwa alle zwei Jahre ersetzt werden. Da &re Zahl jedoch zu ge- J ring ist, um die parlamentarische Arithmetik wesentlich zu ver- ' ändern, muß die Nationale-Front-Regierung aus vier Parteien 1 keinen Verlust der bisherigen komfortablen Mehrheit befürchten. 1

Werbung
Werbung
Werbung

Anders liegt es mit der gleichzeitigen Teilwahl zum Senat (ein Drittel, also 51 Sitze). Noch verfügt da die „Gerechtigkeitspartei“ des Ministerpräsidenten Süleyman Demirel über eine Majorität. Ob sie sie behalten wird, kann eine Schicksalsfrage für den Regierungschef sein. Besteht er diesen Test, so dürften schon im Frühjahr 1976 vorgezogene allgemeine Wahlen zur Großen Nationalversammlung stattfinden. Erweist sich der Ministerpräsidentenbonus hingegen als nicht ausreichend, dann wäre sein Prestige schwer angeschlagen. Da der Kampf gegen die Preisinflation beinahe hoffnungslos ist, immer mehr türkische Gastarbeiter zurückkehren, für die es meistens keine Beschäftigung gibt, und die Verteidigungsausgaben sowie die Zuschüsse für die türkisch besetzten nördlichen Gebiete Zyperns ständig ansteigen, müßte jede Terminverschiebung der entscheidenden Wahl Demireis Siegeschancen verringern.

Nun, das sind noch Zukunftsfragen. Welche Stagnation das Vorwahlgeplänkel jedoch heraufbeschworen hat, das macht sich bis jetzt bereits störend bemerkbar und beeinträchtigt auch die internationalen Beziehungen Ankaras. Ein Musterbeispiel hiefür ist das dornige Zypernproblem. Da war man dank der Vermittlung des UN-Generalsekretärs Kurt Waldheim endlich ein paar Schritte weitergekommen. So durften die noch im griechischkontrollierten Süden der Insel verbliebenen Türken nach dem tür-kisch-kontrollierten Norden übersiedeln. Glafkos Klerides, ein sehr viel geschmeidigerer Politiker als der unpragmatische Erzbischof-Präsi-dent Makarios, zeigte sich einer Zwei-Zonen-Lösung geneigter denn je zuvor. Nur erwarteten die Inselgriechen, deren Unterhändler er ist, türkischerseits gewisse territoriale Zugeständnisse. Vor allem liegt ihnen an der Neustadt Famagustas mit ihren großen Hotels, Fremdenpensionen und dem acht Kilometer langen Goldsandstrand. Rauf Denktasch, des Klerides Verhandlungspartner, hatte versprochen, eine Karte mit den künftigen Zonengrenzen nach New York zu bringen. Das unterblieb. Um die Wahlen vom 12. Oktober zu gewinnen, hält es Demirel, von dessen Unterstützung das türkische Zypern abhängig ist, für inopportun, jetzt irgendwelchen Kompromissen zuzustimmen.

Hieraus ergeben sich nun zum erstenmal Unstimmigkeiten in der türkischen Zypernpolitik. Denktasch hat sich zweifelsfrei auf Initiative Demireis von der türkisch-zypriotischen „Verfassungsgebenden Versammlung“ die Vollmacht erteilen lassen, jederzeit einen völlig unabhängigen Staat zu proklamieren. Womit also sein bisheriger Plan einer losen Föderation oder Konföderation zwischen beiden Zonen entfiele! Dieses Damoklesschwert schwingt er nun über den Köpfen der Griechen, die sowieso nur die ärmeren und entwicklungsunfähigeren Territorien behalten haben.

Professor Necmettin Erbakan, einer der drei Stellvertreter Demireis, tritt in seiner Wahlpropaganda als besonderer Scharfmacher hervor. Dieser Vorsitzende der ultraislamischen „Nationalen Heilspartei“ predigt „Niemals Konzessionen an die Griechen“. Schon einmal Vizeministerpräsident, machte er dem damaligen Regierungschef Bülent Ecevit durch die gleiche starre Haltung Schwierigkeiten.

Ecevit selbst, der ja am 20. Juli 1974 die Invasion der Insel befohlen hat und seither den Beinamen „Sieger von Zypern“ führt, ist maßvoller. Auf öffentlichen Wahlversammlungen mit bis zu 50.000 Zuhörern wendet er sich gegen die Teilung der Insel. Eine weitere offizielle Grenze mit Griechenland scheint ihm nicht der Weisheit letzter Schluß zu sein.

Ohne eigentliches Gegenkonzept wirft Ecevit der Regierung sogar offen „eine falsche Außenpolitik“ vor und fordert noch enger.e Beziehungen zur arabischen Welt, an erster Stelle zum unzuverlässigen Libyen. Auf Parteiebene hat er sie bereits hergestellt. Lange galt Ecevit als ausgesprochen israelfreundlich. Wäre es beim kürzlichen Türkeibesuch eines gefeierten Prominenten der PLO auch noch zur' Eröffnung ihres Ankaraner Büros gekommen, hätte er gute Miene zum bösen Spiel machen müssen. Während ihn sein früherer Finanzminister Deniz Baykal als Parteiführer verdrängen möchte, wird gleichzeitig ein zusätzlicher Druck der eigenen Jusos und Linksintellektuellen spürbar. Freilich ist ihre These von einer Allianz der amerikanischen Israel- und Griechenland-Lobby in Amerika, auch oder gerade, was Zypern anbetrifft, Unfug. Solche mit antiimperialistischen Zutaten gewürzte Schlagworte richtigzustellen, würde die RVP Stimmen kosten. Also unterbleibt schon der leisteste Versuch.

Fast einheitlich ist der in der Wahlpropaganda überbetonte

Wunsch nach besseren Kontakten, auch wirtschaftlichen, mit der Sowjetunion, die der Türkei gerade den beachtlichen Kredit von 700 Millionen Dollar — während der ersten Demirel-Ära nur 300 Millionen Dollar — gewährt hat. Staatspräsident Fahri Korutürk durchreiste kürzlich die Schwarzmeerprovinzen und pries bei dieser Gelegenheit den großen Nachbarn in beinahe poetischen Superlativen. Indirekt ist das auch eine Äußerung des Unmuts. Sowohl der französische Präsident Giscard d'Estaing, der gerade offiziell in Athen weilte, wie Kissinger neigen nämlich jetzt offen einem Zypernfrieden zu, der weit entfernt von Ankaraner Idealvorstellungen liegt.

Feststeht allerdings, daß die Armee den Fernzielen der Sowjets weiterhin mißtraut. Nichtsdestoweniger betrachtet auch sie Exoberst Alpaslan Türkes — Vorsitzender der „Partei der Nationalen Bewegung“ und auch ein stellvertretender Ministerpräsident — mit Unbehagen.

Dieser Rassist und ehemalige Nationalsozialist hegt pan-turanische Wunschträume einschließlich die

Invasion heute sowjetischer Gebiete. Türkes hat die berüchtigten Grau-Wolf-Schlägertrupps ausgebildet und bewaffnet. So gibt es erneut Studentenunruhen, Straßenkämpfe und blutige, opferreiche Störversuche vieler Wahlveranstaltungen der Opposition. Türkes dürfte auch für einen mißglückten Attentatsversuch auf den RVP-Vorsitzenden die Verantwortung tragen. Wegen ähnlicher Anlässe hatten 1971 die Spitzen der Streitkräfte die Demission Demireis erzwungen. Daß sie ihn im März 1974 nochmals die Regierungsverantwortung ergreifen ließen, grenzt an ein Wunder,

Wesentlicher als Türkes mit seiner kleinen Partei, deren Gewaltakte Ecevit als Bürgerkriegsabsichten des Gesamtkabinetts deutet, ist und bleibt Erbakan. Der Dr.-Ing. der Aachener Technischen Hochschule rühmt sich einer kompakten Gefolgschaft. Hinter seiner Partei steht eine Million zahlender Mitglieder — ein türkischer Rekord. (Freimaurer und Zionisten werden nicht aufgenommen.) Im Kampf für noch mehr Religionsschulen, Moscheen und Hodschas hat Erbakan bereits Erfolge erzielt. Seine besondere Hochachtung gehört verschleierten Frauen. Selbst das Abhacken einer Hand für Diebstahl, ein in Saudi-Arabien und Libyen noch praktiziertes islamisches Recht, betrachtet der stellvertretende Ministerpräsident als gerechte Strafe. Der kemalistischen, reformfreudigen Armee ist er ein ständiger Stein des Anstoßes.

Wie die Wahlen vom 12. Oktober auch ausgehen mögen — es herrscht eine überhitzte, ja oft schon hysterische Atmosphäre. Ob sie früher oder später zu Exzessen führen wird, derentwegen die Streitkräfte schließlich doch eine neue Machtübernahme für unerläßlich halten könnten, bleibt abzuwarten. Eine solche Möglichkeit besteht durchaus.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung