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Schlechte Unrechts-Verkäufer

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Wie lange schon hat die Türkei die Unabhängigkeitserklärung der Inseltürken vorbereitet? Oder ist der Coup nur eine Reaktion auf die Kündigung der US-Waffenhilfe? Die-Türkei weiß zu gut, was sie wert ist: Als Südostflanke der NATO sperrt und öffnet sie den Sowjets den Weg žum Mittelmeer. Und im Nahostspiel ist die Türkei angesichts ihrer geographischen Lage ein Königsbauer.

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Wie lange schon hat die Türkei die Unabhängigkeitserklärung der Inseltürken vorbereitet? Oder ist der Coup nur eine Reaktion auf die Kündigung der US-Waffenhilfe? Die-Türkei weiß zu gut, was sie wert ist: Als Südostflanke der NATO sperrt und öffnet sie den Sowjets den Weg žum Mittelmeer. Und im Nahostspiel ist die Türkei angesichts ihrer geographischen Lage ein Königsbauer.

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Nach dem vorläufigen Ende der amerikanischen Militärhilfe für die Türkei schwanken die offiziellen Stellen in Ankara zwischen Empörung, verletztem Nationalstolz und Hoffnung hin und her. Immer noch hält man es für möglich, daß der Senat letzten Endes den Warnungen Gerald Fords ein offenes Ohr schenken und seine Entscheidung revidieren werde. Der US-Präsident strich die lebenswichtige Bedeutung der Türkei für das östliche Mittelmeer und die Sicherheit der Vereinigten Staaten heraus. Henry Kissinger nannte die Kündigung der Militär- hilfe — und diese Worte wurden in der ganzen türkischen Presse zitiert — sogar „eine Tragödie“.

Türkische Militärs vergleichen unter vier Augen die Situation ihres Landes, falls die Waffenlieferungen aus den Vereinigten Staaten tatsächlich eingestellt werden sollten, mit jener Israels nach dem französischen Embargo. Abgesehen von ein paar Transall-Plugzeugen ■ und etlichen Panzern aus der Bundesrepublik Deutschland, lieferte Amerika der Türkei so ziemlich das ganze

Rüstungsmaterial. Schon nach kurzer Zeit müßte sich also das Fehlen der Ersatzteile katastrophal bemerkbar machen. Hinzu kommen rein finanzielle Erwägungen. Amerikas Wirtschafts- und Militänhilfe beziffert sich bisher auf je rund drei Milliarden Dollar. Durch die Kriegskosten Bür die Zypern invasion, die Zuschüsse, die der Insel aus Ankara gewährt werden müssen und die Reduzierung der Überweisungen türkischer Gastarbeiter in Europa wird die jahrelang beneidenswert dicke Devisendecke sowieso immer dünner. Also sind die Sorgen der Regierung und der Generäle durchaus realistisch.

Wer die tiefgekränkten Kommentare der türkischen Zeitungen liest, sollte sich vor Augen halten, daß das Verhältnis zwischen der Türkei und den Vereinigten Staaten immer ungesund und gefühlsmäßig belastet gewesen ist. Unvergessen sind noch die Flitterwochen während des Koreakrieges. Damals, als es weniger auf die Beherrschung spitzfindiger Waffen als auf Zähigkeit, Genügsamkeit und persönliche Tapferkeit ankam, war das türkische Kontingent wohl das tapferste und beste überhaupt. Die sterblichen Überreste des gerade zu dieser Zeit dahinge- gangenen Botschafters der Türkei in Washington, Ertegün, wurden auf dem amerikanischen Schlachtschiff „Missouri“ heimgeführt, eine besondere Ehre, die die Türken zu schätzen wußten. „America, I love you", das Liad des berühmten Schlagersängers Celal Inge, hörte man während der fünfziger Jahre täglich über den Rundfunk, aber auch über Lautsprecher in den Pausen der großen Fußballspiele und ähnlicher Veranstaltungen. Ganz Thrazien und Anatolien stimmten ein.

Etwas naiv klingt die Unterstellung selbst eines so klugen Politikers wie des sozialdemokratisch ausgerichteten Vorsitzenden der Republikanischen Volkspartei Bülent Ecevit, die amerikanische Politik gegenüber der Türkei werde eher von den

Griechen als von verantwortlichen Stellen der Vereinigten Staaten diktiert — wahrhaftig eine starke Überschätzung des Einflusses der griechischen Lobby in Washington, deren wichtigster Motor, Spiro Agnew, ja unterdessen in der politischen Versenkung verschwunden ist. Freilich sind die Griechen hervorragende Propagandisten. Ein Amerikaner meinte dazu elegisch: „Sie verkaufen sogar ihr Unrecht noch besser als die Türken ihr Recht.“ Bis heute hat Ankara tatsächlich keinen Weg gefunden, die zweite militärische Intervention auf Zypern der Weltöffentlichkeit begreiflicher zu machen. (Die erste, mit dem Verschwinden des Briten- und Türken- killera Nikos Sampson und dem Rücktritt der griechischen Militärjunta als Resultat, wurde allgemein besser verstanden, und es mußte auch keine Sechste Amerikanische Flotte ausrücken, um sie zu verhindern.) Mögen also die Amerika- Griechen sogar fünf oder zehn Senatoren unter Druck setzen — im großen und ganzen spiegelt der Senat ja doch die Stimmung der gesamten amerikanischen Bevölkerung wieder. Und diese ist, was man in Ankara offenbar nicht ganz begreift, mehrheitlich wieder isolationistischer geworden als eie es vor kurzem noch war.

Nachdenklichere türkische Politiker sind über die schwache Uber gtangsregierung Irmak nicht sehr glücklich Einmal reagiert diese nämlich so heftig, daß die Presse auf- heult, um hinterher wieder zu behaupten, so tragisch sei die Situation ja gar nicht. Im Grunde würden die Amerikaner von den Folgen härter getroffen und die Türken dürften Sicherlich andere Waffenlieferanten finden. Natürlich kam es zu keinem Abbruch der Beziehungen. Aber die ständigen Anfcaraner Gespräche, auch im Hinblick auf die amerikanischen Türkeistütspunkte, wurden zunächst eingestellt. Ob es ein kluger Entschluß des Außenministers Melih Esenbel war, die Begegnung mit dem doch wahrlich wohlwollenden Kissinger in Brüssel abzusagen, wo er ja auch bei seinen anderen NATO- Kollejgen hätte vorstellig werden können, bezweifelt man vielfach. Gäbe es in Ankara ein stärkeres Kabinett, dann hätten die Verhandlungen mit der griechischen Regierung des Konstantin Karamanlis längst begonnen. Das vom Senat geforderte Zeichen des guten Willens wäre damit gegeben und der unglückselige Konflikt vermieden worden.

Laut Irmak denkt die Türkei heute an keine Kündigung der NATO-Mit- gliedschaft, auch nicht an eine solche nach Athener Vorbild. Amerikanische Sachverständige an Ort und Stelle würden es bedauern, wenn die US-Basen mit ihren angeblich 7000

Mann geschlossen werden müßten. Aber sie meinen, die Verteidigungstechnik — einschließlich der Vor- warnmöglichkeiten — sęi soweit fortgeschritten, daß man notfalls ohne großen Schaden auf diese Stützpunkte verzichten könnte.

Noch scheut Ankara vor drastischen Schritten zurück. Man erwartet eine Revision des US-Senatsbeschlusses oder ein Einspringen der Bundesrepublik. Schon als der damalige Staatspräsident Cevdet Sunay zur Zeit der Regierung Kiesinger Bonn besuchte, brachte die türkische Presse die Schlagzeile: „Statt Uncle Sam Onkel Kurt“. Nun hofft man also auf Onkel Helmut.

Sollten sich dagegen die Araber einschalten lassen, dann würde das wahrscheinlich mit der türkischen Neutralität, also mit dem Ende der NATO-Mitgliedschaft, eikauft werden’ müssen. Amerikas Verteidigungsminister James Schlesinger hat wohl als Vorbeugung seine Warnung gegen die Aufrechterhal’tung des Militärhilfestopps vernehmen lassen. Dabei hob er die NATO-Loyalität der Türkei, die Bedeutung dieses Landes für die kollektive Sicherheit und die Stärke der 500.000-Mann-

Armee hervor. In Ankara mögen einige Illusionspolitiker der arabischen Lösung zuneigen. Noch aber ist die Armee eine stabile Verbindungsklammer zur NATO und wird, es hoffentlich bleiben.

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