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Labilität in der Levante

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Drei wichtige Veränderungen im le- vantinischen Szenario gab es in diesem Sommer, und alle sind sie - langfristig gesehen - für Frieden, Stabilität und das Kalkül der Umwelt ziemlich negativ: der sensationelle Wahlerfolg Begins in Israel, hier lautet das Problem „Riskiert Begin zuviel in seinem Pokerspiel mit Washington?“; in der damiederliegenden Türkei die Wiedereroberung der Macht durch den Verlierer Demirel (und das gerade um den Preis, der nicht gezahlt werden dürfte - den der internen Handlungsfähigkeit); schließlich im zweigeteilten Zypern der Tod des Staatsgründers Ma- karios, auf dessen Charisma immerhin die äußere Einheit dieser Inselrepublik, ihre Selbständigkeit inmitten größerer Kraftfelder, zurückzuführen war.

Daß die Bilanz der Situation in diesem Mittelmeerbereich zwar kritisch ist, doch nicht schon deprimierend, ist insbesondere zwei Positiva zu verdanken. Das eine ist die noch gewachsene arabische Bereitschaft, sich mit der Existenz des Judenstaates - eines in die Region verpflanzten „Fremdkörpers“, wie man einst klagte - auf Dauer, also friedlich, einzurichten. Stabilität gilt derzeit mehr als ein in seinen Folgen unberechenbarer neuer, fünfter Krieg (was allerdings, hier liegt die Tragik, erst recht Begins Hartnäckigkeit ermutigt).

Das zweite ist die fast gleichgebliebene große Führungsstärke, die Ka- ramanlis in Griechenland besitzt. Dem Autokraten mit dem Flair des „Unersetzlichen“ wird es gelingen, sein Land als erstes der drei früheren Diktaturen Südeuropas in der politisch-wirtschaftlichen Schutzzone der Europäischen Gemeinschaft zu verankern. Dies auch aus geopolitischen Erwägungen: der Randlage im Wettereck Europas und an der Grenze zum Sowjetvasallen Bulgarien.

Es sind nicht nur die Ölreserven in Nahost - die weitaus größten Lagerstätten überhaupt-, die das besondere Interesse „Außenstehender“ in diese Zone lenkten; des Westens insbesondere bisher, zunehmend der Sowjets angesichts der eigenen Erdölknappheit in der ferneren Zukunft. Als Schnittpunkt von Kulturen in beiderlei Bedeutung-als „Schlachtfeld“ und zur gegenseitigen Befruchtung - war die Region schon immer von enormer Wichtigkeit, Sie ist nicht nur nach „materiellen“ Maßstäben zu messen - dem öl, der Sicherheit der Schifffahrtswege oder des Suezkanals, dessen Bedeutung längst gesunken ist. Gerade auch als geistig-kulturelle Brücke zwischen Europa, Afrika und Asien bleibt die Region ein Angelpunkt für jede Supermacht. Wer das Nahost-Scharnier benützen kann, verstärkt den Schatten seiner Macht auf viele Ländergruppen.

So kommt es, daß, nach der Demokratisierung Portugals und Spaniens und der vorläufigen Beseitigung der kommunistischen Gefahr in diesen Ländern, das mediterrane Vorfeld in Südosteuropa - selbst eine sozial und wirtschaftlich labile Staatenzone - als das erscheint, was Churchill einst den „weichen Unterleib Europas“ nannte: Eine verletzliche, gegen politische Infektionen (wie den Marxismus) allzu schwach gewappnete Region, mit einer (jeweils verschiedenen, doch) „größeren“ Vergangenheit und schwachen Gegenwart - was in der „nationalstaatlichen“ Nachholphase dieser Staaten (der Suche nach der Identität im Industriezeitalter) zu Träumen führen kann, die ihrerseits die Labilität in der Levante steigern;

man denke an den Wahlerfolg der pan- turkistisch orientierten „Nationalbewegung“ des Ex-Obristen Alparslan Türkeseh in der Türkei. Europas „weicher Unterleib“ auch deshalb, weil sich der Großraum zwei externen Einflußfeldern gegenübersieht: dem alten Drang der Russen, sich einen Weg zum Mittelmeer zu bahnen, und dem durch öl, Geschichte und den Interessenswettkampf hochsensiblen Nahen Osten.

Mit der im Grunde zweitrangigen Frage, wie denn die PLO in Genf beteiligt werden können, ist Carters allzu schwungvoller Versuch, primär eine globale Lösung des Konfliktes anzupeilen (und erst danach die Lösung stufenweise zu verwirklichen - das Gegenteil von Kissingers Methode), in einer Sackgasse gelandet. Wie seine Vorgänger glaubt auch Begin, dem palästinensischen Nationalismus durch Zeitgewinn die Stoßkraft nehmen zu können (als Charismatiker hofft er zugleich, die kriegsmüde gewordenen Israelis im Feuerofen seiner kämpferischen Führungskraft zu härten). Doch Carter sieht in der Verfestigung des Status quo zu Recht weit größere Gefahren.

Der Bevölkerungsdruck und die soziale Gärung bei den Arabern könnten einmal zu einem Punkt führen, wo die

Aspirationen dieser Völker scheinbar nur noch in einem Verzweiflungskrieg verwirklicht werden können. Doch weder das in Energiefragen empfindliche Amerika wünscht eine Destabilisierung der Region, aus der es einen Großteil seines Öls bezieht, noch Saudiarabien als Führer jener autokrati- schen Regime, die nichts so sehr befürchten als einen marxistischen Umsturzversuch als eventuelle Folge eines Krieges.

So weit, so gut. Die andere Seite der Medaille ist Begins Politik, die USA geradezu zu testen, wie weit sie seinen Kurs (der jüdischen Besiedelung von Westjordanien sowie des strikten „Nein“ zu allen Anläufen, die PLO ins Spiel - und die Verantwortung! - zu bringen) zu tolerieren gerade noch bereit sind. Begin geht es um Israels Sicherheit, Carter um die des ganzen Nahen Ostens. Letztlich verbirgt sich hier ein Streit um Israels Friedensgrenzen, und weniger um Wie und Wo eines „palästinensischen Heimatlandes“. Überzieht Jerusalem den Streit mit Washington, dann könnte das die Araber zu falschen Schlüssen führen - und Israel in die Versuchung eines Präventivschlages. Gibt Begin aber nach, könnte das seine schwache Koalitionsplattform gefährden.

Umdüstert sind ebenfalls die Aussichten in der Türkei. Auch Demirel ist der Gefangene von kleinen Rechtsparteien, die in der Re-Islamisierung und der schrittweisen Abwendung vom Westen das Rezept für einen Wiederaufstieg der früheren Ösmanenherr- lichkeit erblicken. Terror, Massenarbeitslosigkeit und ein Beinahe-Staats- bankrott machen zwar eine unbegrenzte Fortsetzung der Demirel-Ära der letzten Jahre, als sich die Koalitionsparteien gegenseitig lähmten, ziemlich unwahrscheinlich. Doch viele Offiziere, enttäuscht durch das US-Embargo und die scheinbar geringe Wertschätzung durch die Verbündeten, sind von dem Bazillus neutralistisch-großtürkischer Träume infiziert, womit ein Eingreifen der Militärs - der offizielle Hüter der Verfassung - ziemlich schwierig wird: sie trauen sich selber nicht. Im Neutralismus liegt, auf lange Sicht gesehen, die weitaus größere Gefahr als in dem jahrelangen Kokettieren mit den Russen (dem unvergessenen Erzfeind), das nur als Druck gegen Washington gedacht ist. Die Handlungsunfähigkeit des Kabinetts läßt schließlich keinen Ausgleich mit den Griechen zu, schon gar nicht - wegen des Vetos durch die Rechtsparteien - in der Zypemfrage.

Die Konfliktstoffe bleiben also aufgehäuft. Die Türkei als wichtigster Sperriegel gegen die Sowjetunion verdient mehr tätige Anteilnahme durch den Westen. Dies nicht zuletzt auch wegen der Zypernfrage. Denn was Makarios noch ohne weiteres gelang - die 40 Prozent starke inselgriechische KP zu dominieren -, werden seine zerstrittenen Diadochen nicht zuwege bringen. So wenig schon eine „ęubanisierung“ Zyperns vor der Türe steht: allein die Möglichkeit dazu wird äußere Kräfte (Washington, Athen und Ankara) zu stärkerer Einflußnahme animieren - zum Nachteil einer Friedenslösung innerhalb der Insel.

Mit einem Wort: Die Ruhe, die in der Levante herrscht, ist trügerisch. Zeitbomben liegen überall herum. Allein die Stichworte „ Was kommt nach Tito?“, „Wohin geht der Libanon?“ und „Wird der Arabische Golf zum Kriegsschauplatz (zwischen Kuweit und dem Irak, Feudalherren und Sozialrevolutionären)?“ markieren Explosivstoffe am Rande eines weitaus größeren Minenfeldes: des Nahost- Konfliktes.

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