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„Wir machen doch nicht Selbstmord“

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„Die neuen Vorschläge der türkischen Seite stellen den Versuch dar, die Invasion von 1974 als fait accompli zu legalisieren. Eine Annahme der türkischen Vorschläge als eine Grundlage für neue Zypern-Verhandlungen ist gleichzusetzen mit dem Beschluß, Selbstmord zu begehen. Aber wir sind entschlossen, nicht Selbstmord zu begehen.“ Es ist kein Zufall, daß Spyros Kyprianou, Präsident der Republik Zypern und in dieser Funktion Erbe des legendären Erzbischofs Makarios, härter und offensiverformuliert als üblich und die Türken bezichtigt, von einer neuen osmanischen Großmacht zu träumen, sitzt er doch österreichischen Journalisten gegenüber: In der Auseinandersetzung um das 9251 Quadratkilometer große Eiland fällt ausgerechnet zwei Österreichern eine Schlüsselrolle zu- UN-Generalsekretär Kurt Waldheim und Franz Karasek, der erst dieser Tage als Zypern-Beauftragter dem Europarat einen Zypern-Report“, der auf griechisch-zypriotischer Seite auf Ablehnung stößt, vorgelegt hat. Auch auf Waldheim ist man derzeit nicht gut zu sprechen.

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„Die neuen Vorschläge der türkischen Seite stellen den Versuch dar, die Invasion von 1974 als fait accompli zu legalisieren. Eine Annahme der türkischen Vorschläge als eine Grundlage für neue Zypern-Verhandlungen ist gleichzusetzen mit dem Beschluß, Selbstmord zu begehen. Aber wir sind entschlossen, nicht Selbstmord zu begehen.“ Es ist kein Zufall, daß Spyros Kyprianou, Präsident der Republik Zypern und in dieser Funktion Erbe des legendären Erzbischofs Makarios, härter und offensiverformuliert als üblich und die Türken bezichtigt, von einer neuen osmanischen Großmacht zu träumen, sitzt er doch österreichischen Journalisten gegenüber: In der Auseinandersetzung um das 9251 Quadratkilometer große Eiland fällt ausgerechnet zwei Österreichern eine Schlüsselrolle zu- UN-Generalsekretär Kurt Waldheim und Franz Karasek, der erst dieser Tage als Zypern-Beauftragter dem Europarat einen Zypern-Report“, der auf griechisch-zypriotischer Seite auf Ablehnung stößt, vorgelegt hat. Auch auf Waldheim ist man derzeit nicht gut zu sprechen.

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Blenden wir kurz zurück: Die das östliche Mittelmeer strategisch und auch wirtschaftlich beherrschende Insel war in allen Phasen der Geschichte Spielball der jeweils Mächtigen: Von Alexander dem Großen, über Kaiser Augustus, das oströmische Reich, die Araber, die Kreuzfahrer und die Venezianer, kam Zypern 1571 unter türkische Kontrolle, 1878 unter britisches Protektorat. Durch die Verträge von Zürich und London schließlich gewann Zypern 1960 erstmals in seiner bewegten Geschichte den von Griechenland, der Türkei und Großbritannien garantierten Status eines souveränen Staates,

Die zypriotische Verfassung von 1960 wurde aber bereits 1963 unanwendbar: Die Vertreter der nur etwa 18 Prozent starken türkischen Gruppe gebrauchten in den Regierungs- und Gesetzgebungsfunktionen das ihnen zugestandene Vetorecht so ausgiebig, daß das Land langsam unregierbar wurde und schon vor dem Zypern-Krieg von 1974 in zwei selbständige Verwaltungsteile zerfiel. Das Resultat dieser ständig eskalierenden Szene ist bekannt: Terror-Anschläge seitens der für „Enosis“ (Anschluß an Griechenland) kämpfenden EOKA-Kämpfer, ebensolche Terroranschläge seitens der türkisch-zypriotischen Nationalisten, tägliche Schikanen von jeder der beiden Seiten, schließlich der mißglückte Putsch der griechischen Obri-sten am 15. Juli 1974, der zum vorübergehenden Exil des Erzbischofs Makarius führte, und dann am 20. Juli die überraschende Invasion des nördlichen Teils der Insel durch die hervorragend ausgerüstete NATO-Armee der Türken.

Im Gegensatz zur wirtschaftlichen Lage hat sich in diesen vier Jahren seit 1974 im militärischen Bereich nicht viel geändert: Die Türken halten 36 beziehungsweise 40 Prozent der Insel (je nachdem, wo man die „Pufferzone“ und die britischen Militärbasen hinzurechnet) besetzt, obwohl ihr Bevölke-

rungsanteil nur 18 bzw. 20 Prozent (verschiedene Versionen der Beteiligten) ausmächt. Nach einer österreichischen Statistik zählt die gesamte Insel etwa 650.000 Einwohner, davon 500.000 Griechen, 130.000 Türken sowie einige Tausend Armenier und Ma-roniten.

Durch die Invasion des Jahres 1974 haben die Türken aber nicht nur die Landverteilung zu ihren Gunsten verschoben: Nach griechisch-zypriotischer Version verfügen die Türken nun über 70 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion, 60 Prozent der Industriekapazität der Insel, und 80 Prozent der Fremdenverkehrseinrichtungen. Kein Zweifel: Der sogenannte „Türkisch-Zypriotische Bundesstaat“ im Nordteil, der außer vom Mutterland Türkei bisher keine völkerrechtliche Anerkennung gefunden hat, hat den Großteil der wirtschaftlichen Grundlagen unter seiner Kontrolle - und trotzdem ist die Lage von Arbeitslosigkeit, Inflation, Fremdenverkehrsflaute und sonstigen Krisen gekennzeichnet, während in der derzeit auf den Südteil beschränkten Republik Zypern ein bemerkenswerter Wirtschafts-Boom zu verzeichnen ist.

Nach den Informationen der österreichischen Außenhandelsdelegierten steigen seit 1976 die Importe und Exporte Zyperns wieder stark an, die Ziffern aus dem letzten Jahr vor der Invasion bereits weit überholend. Für 1977 werden die Importe mit 10,2 Milliarden Schilling bezeichnet, was gegenüber 1976 ein Plus von 43 Prozent, gegenüber dem letzten Vorkriegsjahr 1973 aber bereits mehr als eine Verdoppelung bedeutet. Ebenso stiegen die Exporte von 1976 auf 1977 um 22,5 Prozent auf etwa 5,8 Milliarden Schilling, was gegenüber 1973 ebenfalls einer Verdoppelung gleichkommt. Von großer Bedeutung für Zypern ist darüber hinaus die intensive Beteiligung zypriotischer Firmen an Geschäften im gesamten arabischen Raum. Die Einfuhren aus Österreich mit 168 Millionen Schilling sowie die Ausfuhren nach Österreich mit gar nur 18,4 Millionen Schilling nehmen sich relativ bescheiden aus, sind aber im Steigen begriffen.

Was für Zypern bleibt, ist freilich ein recht großes Loch in der Handelsbilanz, das aber im Gegensatz zu Österreich durch die Deviseneinnahmen aus dem Fremdenverkehr bereits wieder voll aufgefüllt wird: Noch 1975 betrug das Handelsbilanzdefizit 14,3 Millionen zypriotische Pfund- (die Währung ist an die britische Pfund-Währung angelehnt), 1976 schloß die Zahlungsbilanz mit einem Aktivum von 4,2 Millionen Pfund - und dies obwohl die Republik Zypern durch die türkische Invasion einen Gesamtverlust von volkswirtschaftlichen Ressourcen in derHöhe von umgerechnet rund 100 Milliarden Schilling erlitten haben will!

Auf dem Fremdenverkehrssektor, so muß man neidlos eingestehen, wird zur Zeit im griechischen Teil der Insel Beispielloses vollbracht, während im türkischen Nordteil nach übereinstimmenden Berichten die Hotels brachliegen, höchstens Touristen aus dem türkischen Mutterland auf Erholung und Einkauf kommen: Seit 1960 hatte der zypriotische Fremdenverkehr jährliche Zuwachsraten von 20 Prozent und mehr zu verzeichnen, bis dann 1974 das Geschäft jäh abriß. Die bis dahin bevorzugten Hotelanlagen in Kyrenia und Famagusta kamen unter türkische Kontrolle.

Mittlerweile reichen die Touristenziffern wieder fast an 1973 heran. Damals besuchten 264.000 Reisende Zypern, 1977 waren es immerhin 180.000. Diese Bilanz wird aber in den kommenden Jahren noch viel erfolgreicher sein, zumal es erklärtes Ziel der Regierung ist, pro Jahr 1000 neue Hotelbetten an die verschiedenen Strände zu „bauen“ - insbesondere in der Nähe der Städte Paphos, Limassol und Lar-naca.

Großen Wert legen die für den Fremdenverkehr Verantwortlichen auf die Feststellung, sie wollten alles Erdenkliche tun - nur keine Touristen-Gettos errichten. Dem gelernten

Feind von Hotel-Burgen, wie sie in den letzten beiden Jahrzehnten rund um das Mittelmeer aufgestellt wurden, kommen freilich angesichts der an so vielen Stränden aus dem Boden wachsenden Hotels Bedenken auf. Alternativen für die intensive Aufbauarbeit gibt es allerdings keine. Durch gezielte Maßnahmen, wie die Beschränkung der Bauhöhe auf vier Stockwerke und die Öffnung aller Badestrände für die Bevölkerung, sollen eher kleine Einheiten bevorzugt und Kontakte mit der Bevölkerung erleichtert werden.

Daß die aus Österreich kommenden Reisenden in der Statistik ziemlich weit hinten rangieren, hat nichts mit den äußerst ungünstigen Preisen im Lande, vielmehr mit den derzeit recht teuren Flügen nach Zypern zu tun: Weil es noch keine direkten Charterflüge von Österreich nach Zypern gibt, muß der Tourist aus Österreich mit normalen Linienmaschinen nach Zypern fliegen, und so um einige tausend Schilling tiefer in die Tasche greifen als etwa für einen vergleichbaren Aufenthalt in Kreta oder Rhodos. Aus diesem Grunde wird es eine der nächsten Initiativen des zypriotischen Generalkonsuls in Wien, Rechtsanwalt Dr. Werner Masser, sein, die Aufnahme Zyperns in das Charterflug-Programm österreichischer Reisebüros zu erreichen. v

Zu dem momentan drückendsten Problem des Insel-Staates Zypern zählt das Flüchtlingselend. Nach 1974 strömten mehr als 180.000 Griechen aus dem türkisch besetzten Norden in den Süden, mehr als 50.000 Türken aus dem Süden flüchteten in den Norden. Allein diese Ziffern führen vor Augen, wie unbefriedigend die derzeitige Lösung der Teilung der Insel in einen griechischen und einen türkischen Teü ist: Hätten Griechen und Türken nicht seit eh und je in allen Teilen des Landes untereinander vermischt gelebt, hätte es nie diese hohen Flüchtlingszahlen geben können. Durch eine unmenschliche Grenze, die quer durch die Hauptstadt Nicosia führend nur noch an die Berliner Mauer erinnert, von ihren Häusern und ihrer Heimat im Norden getrennt, werden die griechischen Flüchtlinge von der Regierung Kyprianou (so weit sich das beurteilen läßt) bestens betreut: Die Arbeitslosigkeit unter den Flüchtlingen ist nicht wesentlich höher als im gesamten Landesdurchschnitt, der Lebensstandard bei weitem höher als im Norden.

Seit 1974 wurden von der Regierung insgesamt 148.000 Flüchtlinge finanziell unterstützt. Grundsätzlich haben Flüchtlinge zwischen zwei Modellen zu wählen: Entweder sie ziehen in eines der großen Lager, in denen die Regierung als Eigentümer selbst Häuser baut und diese den Flüchtlingen nur gegen Bezahlung der Wasser- und Stromtarife überläßt oder aber die Regierung stellt Grundstücke zur Verfügung, auf denen die Flüchtlinge mit Hilfe einer staatlichen Unterstützung von bis zu 2000 zypriotischen Pfund selbst bauen können. Laut Jacovos Aristidou, dem Leiter des Planungsbüros, hat die Regierung seit 1974 fast sieben Milliarden Schilling für die Flüchtlingshilfe bereitgestellt.

Dennoch versichern die Flüchtlinge: „Wir wollen wieder zurück in den Norden, wo unsere Heimat ist... auch

dann, wenn unsere Häuser gar nicht mehr stehen sollten.“

Die Chancen für eine baldige Rückkehr der Flüchtlinge in ihre jeweilige Heimat sind momentan nicht besonders günstig: Nachdem die bilateralen Gespräche unter Oberaufsicht von Kurt Waldheim letztes Jahr in Wien ins Stocken geraten sind, haben die Türken dem UN-Generalsekretär vor zwei Wochen neue Vorschläge für die Lösung des Zypern-Problems überreicht und ihn gebeten, mit den griechisch-zypriotischen Seiten wieder in Kontakt zu treten.

Die Einstellung der griechischen Zyprioten gegenüber den türkischen Vorschlägen läßt sich recht gut aus den Reaktionen der zypriotischen Zeitungen ablesen: Die in englischer Sprache erscheinende „Cyprus Mail“ schreibt: „New talks might kill Waldheim's role“ (Neue Gespräche würden Waldheims Rolle zerstören): Gemeint ist damit, sollte Waldheim auf Grund der neuen türkischen Vorschläge zur Wiederaufnahme der Zypern-Runde in Wien einladen, würden die Griechen Waldheim als Vermittler nicht mehr akzeptieren.

Was war nun der Inhalt dieser Vorschläge: Die Türken bieten etwas mehr als ein Prozent der Landfläche sowie die Rückkehrerlaubnis für eine beschränkte Zahl von Griechen nach Famagusta.

Die Antwort der Griechen: Die angebotene Landfläche von ein Prozent kann von den Türken gar nicht angeboten werden, weil es sich um Niemandsland handelt; und die Griechen sollen nur nach Famagusta kommen, weil sie dort für den Betrieb der Hotelanlagen dringend gebraucht werden. Aber die Kritik geht viel tiefer: Nicht die Details der türkischen Vorschläge sind schlecht, sondern die ganze „Philosophie“ - in dieser Sprachregelung sind sich alle Parteien der Republik Zypern einig: Vom Präsidenten Kyprianou, über dessen Gegenspieler Klafko Clerides (der auf Grund des britischen Wahlsystems derzeit nicht einmal im Parlament sitzt) und den Sozialistenführer Vassos Lyssarides (früherer Arzt von Makarios, treuer Freund von PLO-Chef Arafat und Chef-Unterhändler der Zyprioten in der jüngsten Terroraffäre auf dem Flugplatz Larnaca) bis hin zum KP-Chef Ezekias Papaioannou.

Die Vorschläge der Türken, möglicherweise ein Manöver, um die USA für ein Aufheben des Waffenembargos gegenüber Ankara zu gewinnen, laufen letztlich darauf hinaus, die Insel für immer zu teilen, während die Griechen einen Bundesstaat für die ganze Insel anstreben: „Die Vorschläge der Türken sind keine Vorschläge, sondern sie würden uns zum Aufgeben zwingen. Unsere Antwort aber war und ist: Nein, wir geben nicht auf!“

Noch ist nicht abzusehen, wie lange die Insel von der Größe des Libanon ein militärisches Kuriosum bleibt: Einige Tausend Soldaten in britischer Uniform, 2500 UN-Soldaten verschiedener Nationen (darunter auch Österreicher), Soldaten in griechischer Uniform, Soldaten der griechisch-zypriotischen Nationalgarde im Süden, der türkisch-zypriotischen Nationalgarde im Norden und nach UNO-Angaben 28.000 türkische Militärs im Norden prägen das Bild. Eine unverständliche Grenze teilt das Land. Der einzige Kontakt zwischen den beiden Teilen besteht vielleicht darin, daß sich jeden Morgen ein griechischer und ein türkischer Zeitungsverkäufer an einem Checkpoint in Nicosia treffen und ein paar Zeitungen austauschen, um das geringe gegenseitige Informationsbedürfnis zu decken.

Daß der militärische Verlierer von 1974 heute als wirtschaftlicher Sieger dasteht, kann nur für einen schwachen Trost gehalten werden.

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