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Von Paulus bis Makarios

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Die Insel der Aphrodite macht seit geraumer Zeit wieder Schlagzeilen in der Weltpresse. Und doch wurden in den letzten Wochen Fäden gesponnen, die künftige Verwicklungen andeuten. Bei der jüngsten Atlantikpakt-Konferenz in Lissabon führten der griechische und der türkische Delegierte ein Gespräch, das als „sehr konstruktiv“ bezeichnet wurde; die Verhandlungen sollen im Herbst bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York fortgesetzt werden. Die Presse von Athen und Ankara ist auf Frieden in Zypern gestimmt. Gleichzeitig verlautet aus Nikosia, Makarios halbe den Wunsch der Inseltürken, ihre etwa zwanzig Siedlungsgebiete zu einem einzigen Verwaltungsgebiet zusammenzufassen, das erst mit seiner obersten Spitze der Staatsregierung unterstünde, neuerlich abgelehnt.

Makarios nützt seine Doppelstellung als kirchliches und weltliches Oberhaupt mit Meisterschaft aus. Er fährt als Erzbischof zur Wahl des neuen Patriarchen nach Moskau. Er gibt als Staatsmann der „Prawda“ ein Interview, in dem er dem sowjetischen Volk für den Schutz der

„Unabhängigkeit“ Zyperns dankt. Ist er also nicht mehr für die Vereinigung mit Griechenland, jene „Enosis“, die auf jede Straßenmauer gepinselt und immer wieder zum „Enosis i thanatos“ — „Vereinigung oder Tod“ — gesteigert ist? Muß „Unabhängigkeit“ wirklich „Selbständigkeit“ heißen oder kann das Wort nicht auch als Recht auf Selbstbestimmung, das heißt Aufgabe der Selbständigkeit durch freiwilligen Anschluß an einen anderen Staat bedeuten? Auch der österreichische Nationalsozialist gab vor 1938 vor, für die „Unabhängigkeit“ Österreichs einzutreten, die in seinem Munde das Gegenteil von staatlicher Selbständigkeit bedeutete.

In Nikosia vergleicht man Makarios mit dem Kreter Venizelos, der von seiner Insel aus ganz Griechenland gewann, und fragt, ob er als letztes Fernziel die Regentschaft Griechenlands oder das griechische Patriarchat, allenfalls beides, oder das Erreichbare von beidem anstrebe. Der orthodoxe, mit Moskau befreundete Kirchenfürst wird die Mittel zum Zweck und die Nahziele wohl noch öfter wechseln und jeden seiner Schritte als Station auf seiner Straße, nicht als deren Ende betrachten.

Offiziell ist jeder Inselgrieche für die Enosis. Dabei weiß er ganz gut, daß das zweitreichste Land der Ostmittelmeer-Region, dessen Nationaleinkommen nur jenem Israels nachsteht, zur armen Provinz eines armen Landes würde und die Vorzugstarife des Commonwealth verlöre. Auch gilt für Zypern, daß die Geographie vor der Geschichte kommt; die Insel ist 65 Kilometer von der Türkei, 95 Kilometer von Syrien, 350 Kilometer von Ägypten, aber 920 Kilometer von Athen und 2700 Kilometer von London entfernt.

Insel zwischen drei Erdteilen

Trotz aller Nachteile, welche die Enosis Zypern brächte, hört man immer wieder den Einwand: Wir stecken wohl zwischen Asien und Afrika, gehören aber zur griechischen Kultur und damit zu Europa; nur der Anschluß an Griechenland sichert uns davor, eines Tages im

Orient zu versinken. Tatsächlich ist Zypern seit mehr als drei Jahrtausenden der Brückenpfeiler zwischen dem ägyptisch-syrischen Raum und Europa.

Bei Paphos an der griechischen Westküste stieg Aphrodite aus dem Meere. Botticellis „Geburt der Venus“ in den Uffizien von Florenz hat einen realen religdonsgeschicht-lichen Hintergrund. Auf Zypern wurden plumpe orientalische Fruchtbarkeitssymbole zu mädchenhafter Schönheit, wurde Astarte zu Aphrodite, wurde Sex zum Eros; ein Gang durch das Museum in Nikosia ist ein

Schreiten durch Religions- und Kunstgeschichte zuglaich. Am Rande bemerkt: die Briefmarke mit der zyprischen Aphrodite wurde in einigen orientalischen Ländern nicht angenommen, nicht etwa wegen der Nacktheit der Göttin, sondern weil die Frau mit den abgeschlagenen Armen offenkundig eine Diebin war!

In Zypern stieg St. Paulus zu seiner ersten Missionsreise an Land, er zog mit Barnabas und Marcus von Salim an der Ostküste nach Paphos im Westen; wie leicht liest sich dies im 13. Hauptstück der Apostelgeschichte für den Menschen der Gegenwart, der die mehr als zweihundert Kilometer auf vorzüglicher Autostraße zurücklegt! In Pathos taufte er den römischen Prokurator Sergius Paulus; heute kann man in einer Klostersakristei neben Paulus und Barnabas das Bild des EOKA-Häuptlings Grivas hängen sehen, trauriges Zeugnis der Vermengung von Religion und einer schon gar nicht religiösen Politik.

In Zypern ließen sich die Kreuzfahrer nieder. 1197 krönte Reichskanzler Bischof Konrad von Hildesheim im Dome von Nikosia, der heutigen SeLimiye-Moschee, Amaury (Amalrich) von Lusignan zum König von Zypern. Noch Kaiser Friedrich III. aus dem Hause Habsburg bekräftigte 1436 die kaiserliche Lehensherrschaft über die Insel. Leider hat das „fränkische“ Zypern den Graben zwischen westlichen und östlichen Christen vertieft. Trotz der Greuel bei der Eroberung von Fa-magusta durch Lala Mustafa Pascha 1571 sahen die Griechen in der Türkenherrschaft das geringere Übel gegenüber der Regierung der „Lateiner“.

Famagusta, die Stadt Othellos, ist heute noch oder schon wieder das Symbol zweier Welten. Hier das „Varosha“ der Griechen mit zwölf-stöckigen Strandhotels und „Fiats“ (Appartementhäusern), dort, innerhalb einer viel zu weiten Stadtmauer, das „Magusa“ der Türken. Wände und Türme gotischer Kirchen ragen leer gegen den Himmel; die Fassaden gleichen Kulissen im Theater, dahinter ist nichts. Die Kathedrale des Heiligen Nikolaus ist heute Lala-Mustafa-Moschee; ein Grabstein zeigt einen Bischof mit lateinischer Mitra. Und neben den Geistern der Vergangenheit die Wirklichkeit der Gegenwart. Ich klettere auf die Bastei, die noch den Marcuslöwen trägt, und sehe ein Schiff mit den Symbolen der Großmacht, die nicht unter den Blaumützen der Vereinten Nationen vertreten, um so stärker jedoch politisch präsent ist; der Schornstein ist rot bemalt mit Sichel und Hammer.

Gewirr der Fäden

Zypern ist heute eine unabhängige Republik mit griechischer und türkischer Amtssprache; dabei flaggt der

Staatspräsident nicht etwa mit seiner eigenen Fahne, der Insel in Gelb auf weißem Grunde, mit dem Ölzweig des Friedens, sondern mit dem blauweißem Kreuze Griechenlands, während die Türken, fast möchte man sagen: natürlich, den Halbmond aufziehen und Kemal Atatürk Denkmale setzen. Athen und Ankara haben für ihre Glaubens- und Volksgenossen nicht nur Schutz-, sondern handfeste Besatzungsrechte. Dazu steht die Insel im Commonwealth mit seinen bedeutenden wirtschaftlichen Vorteilen, die damit bedankl werden, daß seit neuestem dei Unterricht der englischen Sprache in den Schulen abgeschafft ist; anderseits ist der britische Militärstützpunkt Akrotiri ein ausgedehntes Stück englischen Lebens, wie ei deren einst zwischen Singapur unc Gibraltar ungezählte gegeben hat.

Zu den drei Regierungen, dei eigenen, dar griechisch-türkischer und jener des Commonwealth kommt die Friedensmission dei UNO, militärisch gestelt von Österreich, Kanada, Dänemark, Finnland Großbritannien, Irland und Schweden. Seit ihrem Einsatz haben die größeren „troubles“ aufgehört; selbs an der „Green line“ von Nikosia, die vor Jahren dichter war als die Berliner Mauer, öffnen wieder die Läder und machen mit ihrer Lage Reklame

Österreich darf sich rühmen, daf ihm der Kyrenie-Convoi, der Schutz der Straße von Nikosia durch die Nordkette zu den Badestränden, unc das Lazarett von Kokkini Trimi-thia anvertraut ist. Und ohne falschen Nationalismus: von allen sieben „Besatzern“ sind die Österreicher mit Abstand die beliebtesten Der österreichische Soldat ist nichl hoheitsvoll wie der Brite oder dei Kanadier, nicht stolz wie dei

Schwede oder Däne, oder schweigsam wie der Finne, auch nicht so schlicht wie der Ire; er hält die rechte Mitte. An den zahllosen Demarkationslinien ist der österreichische Paß die beste Empfehlung und im türkischen Kaffeehaus setzt mich der Wirt unter das Bild des Ismet Inönü, des letzten lebenden Heerführers des ersten Weltkrieges, unter dem österreichische Soldaten an den Dardanellen und in Syrien kämpften.

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