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Die schlampigen Kolonialisten

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In Ankara rüstet sich der türkische Außenminister Halak Bayulken für die nächste — und wichtigste — Station seines Besuchsprogramms arabischer Hauptstädte. Im zeitigen Frühjahr erwartet man ihn in Kairo. Zuvor hatte er Bagdad und Amman besucht und weilte um die Jahreswende — als erstes türkisches Regierungsmitglied — zu einem offiziellen Aufenthalt in Damaskus.

Türkische Regierungskreise bestreiten, daß diese Reiseserie eine neue Periode in der Außenpolitik des Bosporuslandes einleiten solle. Stellt man sie jedoch in einen Zusammenhang mit der in letzter Zeit feststellbaren restriktiven Entwicklung des Verhältnisses zu Israel, gelangt man zu genau dieser Vermutung.

Die Zentraltürkei wandte sich, nach der Auflösung des Osmanischen Reiches im ersten Weltkrieg, ganz ab von ihrem kleinasiatisch-arabischen Hinterland. Dafür waren weniger Rücksichtnahmen auf die Einwohner . der früheren türkischen Kolonien in Vorderasien und Nordafrika ausschlaggebend, als der Wunsch des „Türkenvaters“ Kemal Atatürk, das türkische Kernland zu einem vollständig europäischen Land zu machen. Man führte die lateinische Schrift ein, verbot die Mehrehe und nahm dem Islam den Status der Staatsreligion.

Nach 1948 erkannten die Türkei und der Iran als einzige islamisch-vorderorientalische Staaten Israel an und knüpften zu ihm zunächst konsularische Beziehungen. Zur Aufnahme voller diplomatischer Kontakte kam es indessen nicht, weil man in Ankara Rücksicht nehmen mußte auf die religiösen Gefühle der konservativen Bevölkerungsmehrheit. Mehrere Versuche scheiterten, und der israelische Generalkonsul Ephraim Elrom wurde in Istanbul eines der ersten Opfer der linksradikalen „Türkischen Volksbefreiungsarmee“.

Die Linken rechneten, nicht ganz zu Unrecht, mit dem Beifall der religiös-konservativen Rechten. Ihr Anschlag hatte aber auch einen greifbaren politischen Grund. In Ankara gibt man heute zu, daß der ermordete Elrom sehr enge Beziehungen zum israelischen Geheimdienst unterhielt und für diesen Informationen sammelte — über die TPLA-Stadtguerilleros wie über innertürkische Vorgänge. Israel war wohl schon damals besorgt über seinen schwindenden Einfluß am Bosporus. Ein Versuch des damaligen Premierministers Nihat Erim, die Beziehungen zu Israel als Wiedergutmachung für den Elrom-Mord und als Gegengewicht zur massiven Einmischung zweier arabischer Nachbarstaaten in die Abwehr der Stadtguerrilleros auf die diplomatische Ebene hinauf-ustufen, scheiterte am Einspruch des 'Außenministeriums.

Die Politik der Annäherung an die arabischen Nachbarländer und damit der Rückkehr der Türkei in ihr vorderorientalisches Umfeld erlebt ihren Höhepunkt gegenwärtig unter Außenminister Bayulken. Obwohl die Osmanen genau vierhundert Jahre lang alle heutigen Araberstaaten zu ihren Kolonien zählten und ihre schlampige und korrupte Verwaltung die Hauptschuld an der noch jetzt herrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Stagnation der arabischen Völker trägt, sieht man in den Türken weniger ehemalige Kolonialherren als in den Engländern, die vierzig, und den Russen, die fünfzehn Jahre lang den Ton angaben. Außenminister Bayulken ist im Irak und in Jordanien freundlicher empfangen worden als mancher andere westliche Staatsgast. In Kairo winkt ihm ein „großer Bahnhof“.

Die Araberstaaten wissen den Nutzen eines verhältnismäßig neutralen regionalen Bündnis- und Entwicklungshilfepartners zu schätzen. Schließlich hat man am Bosporus bereits fünfzigjährige Erfahrung mit dem Aufbau einer modernen Gesellschaft. Eine Erfahrung, die dem Entwicklungsstand und der Mentalität der Araber viel besser entspricht als das europäische Vorbild.

Nur in Syrien stieß Außenminister Bayulken auf Hindernisse. Damaskus beansprucht seit dem Ende des ersten Weltkrieges den ehemaligen Sandschak Alexandrette, der heute als Provinz Iskenderun zur modernen Türkei gehört. Auf syrischen Karten zeigt man ihn als syrisches Gebiet. Bayulken konnte seine Damaszener Gastgeber offenkundig nicht umstimmen. Nur zwei Wochen nach seiner Rückkehr drangen in Syrien ausgebildete TPLA-Terrori-sten in die Grenzprovinz ein, besetzten ein Dorf und lieferten Polizei und Armee ein blutiges Gefecht.

Ankara will an seiner proarabischen Außenpolitik dennoch festhalten. Die türkische Wirtschaft betrachtet die arabische Umwelt als natürlichen Markt für die Erzeugnisse neuer Industrien. Außerdem will man sich gegen ein Zerbröckeln der westlichen Allianz in der NATO, der die Türkei als Vollmitglied angehört, absichern. Man fürchtet hier zwar nicht die sich abzeichnende amerikanisch-sowjetische Entspannung, die europäische Truppenreduzierung und die Abrüstungskonferenz von Helsinki. Man kann sich aber vorstellen, daß dadurch sowjetische Kräfte für eine verstärkte Expansionspolitik im Mittelmeerraum frei werden. Dagegen will man sich in Ankara rechtzeitig sichern.

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