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Atatürks Erben

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Wenn Offiziere Politikern Ultimaten stellen, schrillen die Alarmklingeln der Demokraten, und fast immer mit Recht. Nun ist es auch in der Türkei soweit. Die Chefs der drei Waffengattungen, geführt von Generalstabschef Mehmud Tagmac, forderten die Regierung auf, unverzüglich zurückzutreten, da Parlament und Regierung das Land an den Rand des Bürgerkriegs und in wirtschaftliche Unzufriedenheit geführt und das Vertrauen des Volkes verloren hätten. Ein Putsch, zweifellos. Anders ist das Vorgehen der türkischen Generalität nicht zu nennen.

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Wenn Offiziere Politikern Ultimaten stellen, schrillen die Alarmklingeln der Demokraten, und fast immer mit Recht. Nun ist es auch in der Türkei soweit. Die Chefs der drei Waffengattungen, geführt von Generalstabschef Mehmud Tagmac, forderten die Regierung auf, unverzüglich zurückzutreten, da Parlament und Regierung das Land an den Rand des Bürgerkriegs und in wirtschaftliche Unzufriedenheit geführt und das Vertrauen des Volkes verloren hätten. Ein Putsch, zweifellos. Anders ist das Vorgehen der türkischen Generalität nicht zu nennen.

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Aber ein Putsch türkischer Generäle ist mit einem Putsch griechischer Obristen nicht zu ^vergleichen. Aulfallend das lange Zögern der Militärs, bevor sie sich zu diesem politischen Kraftakt entschlossen. Dieses Zögern spielte sich sozusagen öffentlich ab, da war keine Spur von einem in tiefciter Geheimhaltimg vorbereiteten Kommandountemehmen. Auffallend waren aber auch die geradezu verlegenen Reaktionen der Generalität, die bereits vor Wochen beteuert hatte, sie wolle ein Obristenregime nach griechischem Muster um jeden Preis vermeiden, und die sich nun, nach dem Rücktritt der Regierung, einer weitgehenden Machtenthaltung befleißigt. Zweimal iist die moderne Türkei von diktatorischen zu demokratischen Regierungsforme» zurücdcgekehrt. Nach Atatürk, der ein fortschrittlicher, und nach Menderes, der ein reaktionärer Diktator war. Die Autobusfahrt von Istanbul nach Ankara führt durch eine grandioee, einsame Waldlandschaft, zeitweise durch tiefe Wälder, in der Türkei ist eines der größten Aullorstungs-projekte der Welt im Gange. Der Wald ist meist Staatsbesitz, zum Teil enteigneter Bauernwald — enteignet noch unter Atatürks Nachlol-ger Ismet Pascha, der sich nach seinen beiden großen Siegen über die Griechen, die er bei Inönü erfocht, Ismet Inönü rtannte. Die türkischen Wälder tragen zum Teil noch die auf den ersten Blick unsichtbaren Spuren gewaltiger Brände, die die Folge der Enteignung waren, gelegt von den Bauern, denen man die Wälder weggenommen hatte. Aber Inönü reagierte nicht wie ein Diktator, sondern wie ein Demokrat, und widersetzte sich nicht dem Verlangen nach Ireien Wahlen. Als das Volk, und das heißt in erster Linie die konservativen Bauern, gegen ihn entschied, gab er die Macht ohne einen Augenblick des Zögerns aus der Hand. Die Fahrt von Istanbul nach Ankara führt durch Täler, an Bächen entlang, an deren Ufern Weiden stehen, um diese Jahreszeit schmilzt der Schnee und die Weiden stehen kilometerweit im Wasser. Dann und wann ein hölzernes Dorf, zwischen den Häusern ein funkelnagelneues, aluminiumglänzendes Minarett; die von Atatürk ihres politischen Einflusses beraubte, zurückgedrängte Religion gewann vor allem unter Menderes, aber auch unter dem nun abgesetzten Demirel, beträchtlich an Terrain zurück, und der unter Atatürk ausßchließlidi in türkischer Sprache gestattete Ruf des Muezzins, der längst keine Stiegen mehr steigt, sondern am Fuß des Minaretts in das Mikrophon der Lautsprecher-anlage singt, tönt wie eh und je auf Arabisch über die Dächer. Eine Fortsetzung des Regimes Menderes hätte zur Verewigung einer neuen, nach Atatürk diesmal rechten Diktatur geführt. Ihr Ende ist bekannt. Die Armee putschte — gab die Macht aber in die Hand einer demokratischen Regierung zurücäc. Menderes wurde gehängt. Die von Duda festgestellte, „geradezu ängstlidie Bemühung um Aufrechterhaltung liberaler, demokratischer Grundsätze nach außen in der Diktatur", die so gar nicht zum Bild putschender Offiziere paßt, ist das Ergebnis einer verhältnismäßig frühen Prägung. Im neunzehnten Jahrhundert geht eine Reihe türkischer Intellektueller nach Frankreich, erst auf Staatskosten, später, unter dem reaktionären Sultan Abdülhamid II., als Emigranten. Dichter wie Sinasd, Ziya Pascha, Namik Kemal übersetzten Rousseau und Moliere, führten aber auch völlig neue Begriffe in die türkische Sprache ein: Hürri-yet (Freiheit), Halkoilik (Demokratie), Mesruliyet (Verfassung). Freilich, auch Vatan. Vaterland. Als die Türkei den Westen entdeckte, erfaßte der von den Dichtem vermittelte Kontakt mit den westlichen Ideen die „gebildeten Kreise" mit außerordentlicher Prägekraft. Den damals übernommenen Leitbildern eines bürgerlichen Liberalismus blieb die Türkei weitgehend bis heute treu. Türkische Intellektuelle, etwas später nach Frankreich ge-kommien, hätten die Türkei einen sehr viel gefährlicheren Weg führen können. Die frühe Festlegung auf das Ideal einer liberalen westlichen Demokratie immunisierte die Türkei gegen den Faschismus, diese Immunisierung hat allerdings die Ausrottung der armenischen Minderheit, d’iiesen düsteren Vorgriff auf Auschwitz, nicht verhindert (der jüngere, gebildete Türke von heute weiß darüber so gut wie nichts). Möglicherweise hat der Putsch der noch immer auf Atatürk, auf Laizismus und technischen Fortschritt eingeschworenen Offiziere die Türkei vor einem Ausbruch eines Nationalismus gerettet, der um so gefährlicher ist, als sein Mangel an eigenständigen Wurzeln \md Traditionen zu einer unerhörten Verletzlichkeit des allsgeprägten, aber in der Luft hängenden türkischen Nationalgefühls führte. Der Nationaidsmus der modernen Türkei ist ein Importartikel aus dem Westen, man weiß das in der Türkei und man haßt den Westen deswegen.

Demnirei versuchte, auf den konservativen Islam setzend, aber auch dem Nationalismus in seinen angeblich harmloseren Spielarten Zucker gebend, auf zwei Tigern zu reiten. In den letzten Jahren wurde eine Vielzahl von rechtsstehenden, nationalistischen Verschwörerzirkeln entdecket. Ausländer, die in der Türkei leben, registrierten einen immer höher brandenden Fremdenhaß. Bin wieniger korruptes, dabei aber demokratisches "Regiment würde in einem geänderten politischen Klima bessere Voraussetzungen für Reform-maßnahmen finden, eine Patentlösung für das mit weit über eineinhalb Milliarden. Dollar verschuldete Land mit der hohen Analphabeten-zaM und dem jährlichen Bevölkerungszuwachs von rund drei Prozent bei einem Nationaleinkommen von knapp 300 Dollar pro Jahr (was unter dem Portugals liegt) gibt es freilich nicht

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