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ISMET INÖNÜ / DEMOKRAT OHNE OPPOSITION

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„Unsere Krankheit ist die Bitterkeit in der Politik“. — Ein Ausspruch des türkische Ministerpräsidenten Ismet Im 6nü, der sich gut als Leitmotiv für seinen Lebensabend verwenden ließe. Der greise Politiker sieht sich, wenn er die Bilanz seines Wirkens zieht, vor das Ergebnis eines unentschiedenen Kampfes zwischen Demokratie und autoritärer Herrschaft gesteil:. Der Historiker späterer Tage wird Inönüs Leben vielleicht in drei

deutlich voneinander getrennte Abschnitte unterteilen: Soldat und Diplomat unter Kemal Atatürk, dem Vater der modernen Türkei, Staatspräsident nach dem Tode\sei-nes Freundes Kemal, schließlich Symbol der durch Revolution} an die Macht gekommenen Demokratie.

Sicherlich ist nicht allgemein bekannt, daß der am 24. September 18S4 in Izmir (Smyrna) geborene Staatsmann hochdekorierter Offizier ist. Glänzende militärische Begabung machte ihn 1914 zum Ge-neralstabschef einer Armee im Range eines Oberstleutnants, der außerdem einer der ersten türkischen Offiziere ist, die vom deutschen Verbündeten das Eiserne Kreuz erhielten. Die Begegnung mit Mustafa Kemal, dem späteren Atatürk, den Ismet von der Kriegsakademie kannte, führte zu einer zwanzig Jahre dauernden Freundschaft der beiden Offiziere, die der Gestaltung der modernen Türkei einen unverkennbaren Stempel aufdrückte. Ismet, damals schon Staatssekretär im Kriegsministerium, wurde nach dem Zusammenbruch der alten Türkei von Kemal zum Generalstabschef der Befreiungsarmee ernannt, die den Feldzug gegen die griechischen Invasoren durchführte. Ismets Sieg bei Inönü, dessen Name ihm dann als Aus-

zeichnung verliehen wurde, machte ihn neben Atatürk zum bekanntesten Volksführer.

Nicht nur als Stratege, sondern auch als Diplomat bewährte sich der junge General. Als Führer der türkischen Delegation bei den Friedensverhandlungen von Lausanne 1923 beharrte Inönü erfolgreich auf der Forderung nach der türkischen Unabhängigkeit.

Nach Lausanne wird der populäre Ismet Pascha erster Ministerpräsident der neuen türkischen Republik. Die Freundschaft zwischen ihm und Atatürk sollte Unterpfand des Weges der Türkei zur modernen Demokratie werden. Erst kurz vor dem Tode Atatürks kam es zu einer Entfremdung zwischen den beiden Politikern: Inönü ließ sich am 20. September 1937 „krankheitshalber“ beurlauben und durch einen Minister vertreten, um schließlich am 25. Oktober endgültig zurückzutreten.

Wirklich bewegt wird das Leben Inönüs aber erst nach dem Tode Atatürks am 10. November 1938. Nicht ganz unangefochten kann er die Nachfolge seines Freundes im Amt des Staatspräsidenten antreten. Sein größtes Verdienst für seine Zeit als Präsident wird es immer bleiben, die Türkei aus dem zweiten Weltkrieg herausgehalten zu

haben, obwohl das Land mit Deutschland durch einen Nichtangriffspakt, mit den Aliierten durch ein Bündnis verbunden war. Die Innenpolitik dieser Zeit ist weniger ruhmvoll: Ismets Gegner nannten ihn damals einen rücksichtslosen Diktator, der keine Toleranz gezeigt und nicht den geringsten Widerspruch geduldet habe. Umso bemerkenswerter die nach 1945 vollzogene Schwenkung zur Demokratie, die ihm, dem Nachfolger Atatürks, zunächst frtilich wenig Glück brachte. Verfehlte Wahlgesetze, die Zulassung einer Oppositionspartei, das waren die Schritte, die Inönü für die Demokratisierung des Landes unternahm, und die ihn bitter enttäuschten. Die ans Ruder gekommenen Demokraten machten ihrem Namen nicht gerade viel Ehre. Erst der Staatsstreich der Offiziere vom 27. Mai 1960 brachte den alten General wieder zur Macht,

Auf die Frage, warum er seine Liebe zur Demokratie erst so spät entdeckt habe, soll Inönü erwidert haben: Er habe im Alter seine Irrtümer eingesehen, bedauere sie und wolle gutmachen, was gutzumachen sei. Allein schon diese Erkenntnis würde genügen, um Ismet Inönü einen bedeutenden Menschen und Staatsmann zu nennen.

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