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Wie weiter?

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Die Türkei befindet sich wieder in einer schweren Staatskrise. Nachdem Präsident Cevdet Sunay das dritte Rücktrittsgesuch des Premierministers Ferit Melen seit dessen Amtsantritt im Mai dieses Jahres abgelehnt hatte, verließen die fünf der sozialdemokratischen „Republikanischen Volkspartei“ angehörenden Minister das Kabinett und sprengten dadurch die Dreiparteienregierung Melen.

Mit dem Austritt von Ismet Inönü aus der einst von ihm mitbegründeten und lange Zeit angeführten „Republikanischen Volkspartei“ und der Niederlegung seines Abgeordnetenmandates in der „Volkskammer“ erreichte die Krise einen neuen dramatischen Höhepunkt. Aus der Umgebung Ismet-Paschas verlautete, die beiden Schritte des „großen alten Mannes der türkischen Politik“ seien nicht als endgültiger Abschied vom öffentlichen Leben zu werten. Der Politiker bereite vielmehr seine Rückkehr in die aktive Politik vor.

Es ist ein Bild von ergreifendem Zerfall, wenn der 88jährige engste Mitkämpfer des Staatsgründers Kemal Atatürk in Krieg und Frieden, langjähriger Staats- und Regierungschef und Oppositionsführer, gestürzt von jüngeren Mitarbeitern, kaum noch des Gehens fähig, halb blind und nahezu völlig taub, durch die Wandelgänge des Parlamentsgebäudes in Ankara tappt. Seine Gegner nennen ihn, der jahrzehntelang die staatliche Einheit und Kontinuität des Bosporuslandes verkörperte, heute respektlos „Ismet Pascha Se-nilowitsch“. Tatsache ist, daß sich der alte Herr selbst überlebt und als schlechter Verlierer erwiesen hat. Inönüs dramatische Geste, sich bei den Militärs als „Retter des Vaterlandes“ anzubiedern, stärkt also letzten Endes die auch dem Genera lstab noch immens suspekten Konservativen.

Wie es nun weitergehen soll, weiß in Ankara noch niemand. Eine Vorverlegung der Wahlen brächte höchstwahrscheinlich, darin sind sich alle Beobachter einig, wieder einen überwältigenden Sieg der „Gerechtigkeitspartei“. Eine Rückkehr Demireis zur Macht würde aber von den Militärs nicht hingenommen werden, sie argumentieren, daß das zur Wiederanfachung bürgerkriegsähnlicher Zustände führen müßte. Die naheliegendste Lösung wäre daher die Suspendierung des amtierenden Parlamentes und des Wahltermines und die Inauguration eines unpolitischen Technokratenkabinetts.

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