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Der alte Fudis zog sich zurck

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Der Rücktritt des greisen Regierungschefs Ismet Inönü am 13. Februar 1965 war für Kenner der innenpolitischen Verhältnisse der Türkei wohl keine Überraschung, doch glaubten anderseits auch seine erbittertsten politischen Gegner nie so recht daran, daß der an Macht gewöhnte „schlaue alte Fuchs“ eine seiner zahlreichen Rücktrittsdrohungen je wahrmachen könnte. Hatte ihm im Juni 1964 bei einer Vertrauensabstimmung im Parlament eine Mehrheit von nur vier Stimmen genügt, um darin die Bestätigung seiner Zypernpolitik und die Aufforderung zu einer Besuchsreise nach den USA, Großbritannien und Frankreich zu erblicken, so drohte er bei der diesjährigen Budgetdebatte, er werde zurücktreten, wenn die Opposition auch nur eine Stimme mehr bekäme als die Regierung. Tatsächlich hatte die Opposition dann — da auch die drei kleinen politischen Gruppen, die „Partei der Neuen Türkei“, die „Nationale Bauernpartei“ und die „Partei der Nation “gegen das Budget stimmten — ganze 28 Stimmen mehr. Von den 424 anwesenden Abgeordneten stimmten nämlich 197 für die Regierung, 225 dagegen, und zwei enthielten sich der Stimme. Da die Nationalversammlung 450 Sitze umfaßt, hätte die Opposition also nur noch eine Stimme benötigt, um auch die absolute Mehrheit zu erringen.

Es entbehrte nicht einer gewissen Tragik, als sich der 81jährige, völlig taube Premier im Parlament zum Wort meldete, obwohl bereits der Antrag auf Schluß der Debatte gestellt worden war und die Deputierten sich zur Abstimmung anschickten. Zögernd hielt der Greis inne und mußte mitansehen, wie die „red“- (Nein-) Stimmen immer mehr das Ubergewicht über die „kabul“-(Ja-) Stimmen bekamen. Hierauf gab er mit leiser Stimme seine Demission bekannt. 1

Damit dürfte die Ära der patriarchalischen Regierungsweise des letzten Kampfgefährten Atatürks ein Ende gefunden haben. Der „grand old man“ der türkischen Politik dürfte nunmehr endgültig das Ministerpräsidentenpalais auf dem Cankaya-Hügel in Ankara mit seiner Villa im vornehmen Istanbuler Stadtviertel Macka vertauschen! Ein neuerliches Comeback ä la Adenauer gilt als unwahrscheinlich Nach seinen Erfolgen als General im Befreiungskampf gegen die Griechen und als Delegationsführer bei der Friedenskonferenz in Lausanne 1923 hatte es Inönü an der Seite Atatürks verstanden, jahrzehntelang die Geschicke seines Landes maßgeblich zu beeinflussen. 1938 ging er aus den Diadochenkämpfen nach dem Tode Atatürks gegen Celal Bayar und Marschau Fevzi Cakmak als Sieger hervor und wurde „millJ. sef“, das heißt „Führer der Nation“.

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