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Nichts Neues auf Zypern

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Die blutigen Vorfälle auf Zypern, wenige Tage vor dem Heiligen Abend, schlugen in der Türkei gerade in dem Augenblick wie eine Bombe ein, in dem sich im Hinblick auf die Pilgerreise Papst Pauls VI. auch in den islamischen Ländern des Vorderen Orients eine weihnachtliche Friedensstimmung auszubreiten begann.

Den aufmerksamen Beobachter konnte jedoch wohl das bürgerkriegsähnliche Ausmaß der Kämpfe überraschen, nicht aber die Tatsache der Auseinandersetzungen an sich. Denn die Spannung zwischen den beiden Bevölkerungsteilen der Insel hatte sich — von der Weltöffentlichkeit nicht beachtet — seit einigen Monaten bedenklich verschärft. Mitte September 1963 ließ Erzbischof-Präsident Makarios verlauten, er beabsichtige, eine Revision der zypriotischen Verfassung durchzuführen. Als Grund hierfür gab der zypriotische Regierungschef an, daß die im Jahre 1959 ausgearbeitete'Verfassung viel zu schwerfällig''' und unrealistisch sei und der Republik Zypern Beschränkungen auferlege, die sich mit der Souveränität eines unabhängigen Staates nicht vertragen. Das gleiche gelte für die der Inselrepublik von Großbritannien, der Türkei und Griechenland aufgezwungenen „Garantieverträge“ von Zürich und London, die somit den Prinzipien der UNO-Charta widersprechen.

Der Grundgedanke des verwickelten Verfassungswerkes ist ein von dem Vorhandensein zweier staatsbildender Volksgruppen ausgehender ethnischer Proporz, der in staatsrechtlicher Hinsicht ein No-vum darstellt. Er wurde seinerzeit mit verfrühtem Optimismus als interessanter Versuch des Zusammenlebens zweier verschiedener Völker in einem Staatswesen angesehen. Obwohl das tatsächliche Verhältnis der griechischen zur türkischen Bevölkerung ungefähr 80:20 beträgt, setzte die Verfassung von 1959 folgende Proporzschlüssel zwischen den beiden Volksteilen fest: Parlamentsabgeordnete 70:30, Anzahl der Minister 6:3, Beamtenstellen 70:30, Polizei 70:30, Zusammensetzung der auf Zypern vorübergehend stationierten griechischen und türkischen Truppen 60:40. Diese Bestimmungen waren offensichtlich auf den Schutz der türkischen Minorität zugeschnitten und stellten einen Schritt von der bisher üblichen Mehrheit-Minderheit-Regelung in Richtung einer echten Partnerschaft zweier gleichberechtigter Parteden dar.

Dieser ethnische Proporz ist nun den griechischen Zyprioten ein Dorn im Auge. Der Reformplan Makarios' sieht daher eine Revision folgender Verfassungsbestimmungen vor: Vetorecht des türkischen Vizepräsidenten, Trennung der Gerichte nach Bevölkerungsgruppen und ebensolche Teilung der Kommunalverwaltungen in den fünf größten Städten Zyperns, Nikosia, Famagu-sta, Limassol, Larnaka und Paphos. Das Ziel der konstitutionellen Änderungen ist also eine Vereinheitlichung und Straffung der Inselverwaltung auf Kosten der zypriotischen Türken in Form einer Beschneidung der ihnen zugestandenen Rechte und Sicherheiten, deren Einhaltung für sie sehr wichtig wäre.

Verständlicherweise stieß diese Absicht gleich nach Bekanntwerden bei den Türken auf schärfsten Widerstand. Noch im September verwarf der türkische Außenminister mit Nachdruck alle Revisionsversuche und betonte, die Türkei würde derartige Vorhaben mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln zu verhindern wissen. Diese Erklärung war in ernstem, ja beinahe drohendem Ton gehalten. Präsident Makarios ließ sich jedoch von den unmißverständlichen Äußerungen nicht einschüchtern und beharrte auf seinen Plänen. Der für eine Verfassungsreform notwendigen Zweidrittelmehrheit im Parlament glaubte er sich sicher, da von insgesamt 50 Sitzen 30 auf seine eigene Partei, die „Patriotische Front“, und fünf auf die kommunistisch inspirierte „Akel“ entfallen, die in diesem Fall als griechische Partei ebenfalls für Makarios gestimmt hätte. So legte er Ende November dem türkischzypriotischen Vizepräsidenten Kücük ein 13-Punktp-Programm mit den erwähnten Änderungsvorschlägen vor, welches dieser als indiskutabel zurückwies. Als am 16. Dezember 1963 auch die türkische Regierung die Verfassungsrevision als unannehmbar ablehnte, obgleich ihr die Vorschläge gar nicht unterbreitet worden waren, erklärte der Erzbischof-Präsident, es handle sich um eine interne Angelegenheit Zyperns und niemand, auch nicht die sogenannten „Garantiemächte“, habe das Recht, sich einzumischen.

Die Schüsse am 21. Dezember 1963 in der Altstadt von Nikosia ließen dann auch die Weltöffentlichkeit aufhorchen. Der erste Zwischenfall wurde dadurch ausgelöst, daß griechisch-zypriotische Polizisten wegen angeblicher Demonstrationsabsichten einen Personenwagen aufhielten und die türkischen Insassen zur Ausweisleistung aufforderten. Als die Türken diesem Befehl nicht folgten, kam es zu einem Handgemenge, wobei die Polizisten die Nerven verloren, in die Menge schössen und dabei zwei Türken töteten. Dies waren gewissermaßen die Startschüsse zu tagelangen Massakern zwischen Griechen und Türken, die von Tag zu Tag heftiger wurden. Am 25. Dezember 1963 sprach man bereits von einer „Bürgerkriegsatmosphäre“, und Nikosia war zu einer verbarrikadierten Frontstadt geworden. Vergebens beschworen Präsident Makarios und Vizepräsident Kücük die Bevölkerung, das Feuer einzustellen. Die Ereignisse überstürzten sich. Während die griechischen Freischärler, größtenteils mit automatischen Handfeuerwaffen ausgerüstet, im Vormarsch waren und türkische Dörfer in Flammen aufgingen — die Bewaffnung der türkischen Zyprioten beschränkte sich vorwiegend auf Jagdflinten —, brausten türkische Düsenjäger im Tiefflug über den klaren Winterhimmel Zyperns.

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